Abgedreht und realitätsnah

Von Hartwig Tegeler |
"STRIPPED – Ein Leben in Kontoauszügen", das 2004 den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhielt, und Schlingensiefs "Rosebud" sind unter anderen auf der CD-Box "Lauschangriff/pop drei" versammelt. Sie dokumentiert, wie wenig altbacken Radiokunst sein kann.
" 30.10. EC-Automat. 30.10. Videomarkt Köln. 12 €minus. 31.10. 1860 München. Jahresbeitrag. 120 Euro minus."

Mein Gott, was für ein Schwachsinn! Ein Hörspiel, dass ich allein darin erschöpft, dass der Autor seine Kontoauszüge vorliest. Soll das etwa das neue Avantgarde-Hörspiel sein? – So oder sehr ähnlich lauteten einige erste Reaktionen, als vermeldet wurde, dass Stefan Weigl für "STRIPPED – Ein Leben in Kontoauszügen" im Jahre 2004 den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden bekam.

" Kontostand am 26.8.: 9,86 € plus. – Ihre Bank weiß alles. – Sehr geehrter Herr Weigl. Bei der Überprüfung unserer Unterlagen haben wir festgestellt, dass unsere Hausbank Ihre letzte Lastschrift zurückgestellt hat. "

Etwas mehr oder präziser: Eine ganze Menge mehr geschieht schon im Hörspiel "STRIPPED – Ein Leben in Kontoauszügen": Stefan Weigl stripped im wahrsten Sinne des Wortes: Erzieht sich aus, er entblößt sich, indem er seinen eigenen Kontoverlauf bis zum bitteren Ende – also vom Plus über Schulden, Entschuldung, bis Null – vorführt, in einerkomplexen Montage aus Zahlenkolonnen und Zitaten der Briefe der Bank:

" Da uns seit Anfang des Jahres rückläufige Habenumsätze auffallen, informieren Sie uns bitte, was die Ursache ist und wodurch Sie die Rückführung des Sollsaldos planen."

Und langsam, aber sicher, mit jedem neuen Plus oder Minus auf dem Kontoauszug wird "STRIPPED" zu einer Reise in den Abgrund, in den Abgrund einer bürgerlichen, sich schöngeredeten, in ihrer Gefährdung verniedlichten Existenz.

" Zinsenrestgebühren – 4,91 € minus. Ihr Kontostand am4.11. – Null!"

"STRIPPED", das ist ein Hörspiel, das ungemein fesselt, dramatisch ist und das – natürlich – auf Grund der gnadenlosen Zeitdiagnose packt, die da lautet: Wie weit stehen wir davon entfernt.

Fünf Beispiele der – wie die "FAZ" einmal formulierte –"Kölner Schule des Neuen Pophörspiels" der Wellen EinsLive und WDR 3 hat Random House Audio dankenswerterweise in diese CD-Box gepackt und den Beweis dokumentiert, wie wenig Radiokunst altbacken sein muss.

Weigls Existenz-Striptease, "Eisstadt" von Schorsch Kamerun, Walter Filz' Satire "Pitcher" über das Schicksal der Stimmen in einem Zeitalter, in dem nichts mehr authentisch sein mag, oder Christoph Schlingensiefs "Rosebud":

" Achtung! Das nun folgende Hörspiel arbeitet mit Sensokulikalfrequenzen. Menschen ohne politische Haltung können im Raum verschwimmen. Test, Test. – Bist du dumm oder was. Kryptisches Hörspiel Rosebud."

Schlingensiefs "Rosebud" – 2002 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet - ist, nun ja, ein Gleichnis über Radikalismus, Privatheit und Politisierung – abgedreht, durchgeknallt, vergnüglich und – nur mal so unter uns – irgendwie auch nicht so recht verständlich oder vielleicht doch alles ein akustisch-radiophones Happening?

Auf alle Fälle sind "Rosebud" wie all die anderen Hörstücke in der Box geprägt von Musik. Es geht hier inerster Linie nicht um Sinnproduktion – etwas, das den Machern zutiefst suspekt ist -, sondern um die Hinterfragung des Sinns im Geiste des Sounds.

" Nein, es sind nicht bestimmte Ereignisse außerbei Blut, sonst nicht. "

So zeichnet Edgar Lipki in "Battle Field Eye" im SinnePaul Virillos – in einer 55 Minuten langen Montage historische wie zeitgenössische Kriegsgesänge von Homer bis zum CNN-Reporter nach.

" Gefechtsfeld Troja. "

Eine Montage, die ein Song ist – wenn man so will -, und die getrieben wird vom Rhythmus der gitarrenlastigen Musik in einer coolen Ästhetik des Schreckens. Es istschrecklich und schön, was Edgar Lipki vorführt, und damit natürlich auch schrecklich schön, und es stellt sich die Frage, ob das Hörstück "Battle Field Eye" tatsächlich"eingefahrene Wahrnehmungsmuster irritiert", wie der Rezensent der "Süddeutschen Zeitung" schrieb, oder sie letztlich nur bedient.

Auch wenn immer wieder etwas zum Widerspruch anregt beidem einen oder anderen an den fünf Hörspielen – Was will man eigentlich mehr vom Radio? - , so sind sie immer wieder beides: spannend und nervig, aufregend und irritierend, manchmal unerträglich verliebt in die eigene Form, dann wieder unter die Haut gehend – aber egal wie unterschiedlichnahe einem Lipki, Filz, Weigel, Schlingensief und Schorsch Kamerun mit ihren Arbeiten gehen mögen: Sie alle reiben sich an unserer Realität – aber tatsächlich(wie der Waschzettel der Hörspielbox ausnahmsweise treffendkonstatiert), tatsächlich "im Takt der Zeit".

5 Pop-Hörspiele von: Christoph Schlingensief, Walter Filz, Edgar Lipki, Stefan Weigl und Schorsch Kamerun
CD-Box mit 5 CDs – Laufzeit: ca. 300 min Produktion: WDR
Erschienen bei: Random House Audio – Preis: 29,50 €