Abgastests

Schummel auf dem Prüfstand? Völlig in Ordnung!

Ein VW Golf in bei einer Abgasuntersuchung in Hörselberg bei Eisenach
Ein VW Golf bei einer Abgasuntersuchung in Hörselberg bei Eisenach © imago stock & people
Von Matthias Gronemeyer |
Viele Autobesitzer müssen sich wohl damit abfinden, dass ihr Wagen nach dem VW-Abgasskandal nicht mehr derselbe ist wie vorher. Und schon drohen schärfere Abgastests. Matthias Gronemeyer kann darüber nur lachen. Tests, so sagt er, würden nie etwas über das wahre Leben aussagen.
Die Welt wird, da dürfte jeder zustimmen, zunehmend unübersichtlicher. Früher gab es bei Mercedes zwei Baureihen, inzwischen sind es etwa zwölf. Man kann in Deutschland zwischen gut 17.000 Studiengängen wählen und die sozialen Netzwerke offerieren Tausende potenzieller Lebenspartner.
In solch einer unübersichtlichen Welt, in der sich tausend Bewerber um einen Job bemühen, man nicht mehr weiß, welcher Reproduktionspartner für einen der richtige ist, welche Zahnpasta man benutzen oder eben welches Auto man kaufen soll, schafft der Test Orientierung - als Intelligenztest, Gentest, Ökotest oder eben Abgastest.
Und wenn man nicht nur seiner Umwelt, sondern auch sich selbst misstraut, dann greift man zum Psychotest.
Wo das Leben keine echten Herausforderungen mehr bereithält, es keine Drachen mehr gibt und damit auch keine Helden, müssen auch die Bewährungsproben simuliert werden. Und wo Waren kaum noch Gebrauchswert haben, sondern vorrangig einen Status ausdrücken, hilft gesteuerte Simulation, das schlechte Konsumgewissen zu beruhigen.
Tests sagen nichts über die Realität aus
Der Test ist eine ganz und gar künstliche Angelegenheit, und trotzdem neigt man dazu, ihn für die Wirklichkeit zu halten, gerade weil er so klare und einfache Resultate liefert. Noten von eins bis sechs, Energieeffizienzklasse A bis G, "Bester seiner Klasse": Das ist es, was man sich am leichtesten merken kann.
Unübersichtlichkeit steht dagegen unter Täuschungsverdacht, allerdings zu Unrecht. Ein Test liefert nur quantitative Ergebnisse, setzt Werte zueinander in Beziehung. Er kann kein qualitatives Urteil fällen.
Wenn koreanische Schüler im PISA-Test notorisch besser abschneiden als deutsche, belegen die Ergebnisse lediglich, dass der koreanische Schulalltag mehr einem Dauertest gleicht. Sie sagen nichts über die Qualität des Bildungssystems aus.
Und wer ein gutes Abitur hinlegt, ist trotz Hochschulreife noch lange nicht reif fürs Leben, sondern hat nur verstanden, wie man Erwartungen der Prüfer bedient, was für die weitere Karriere alles andere als hinderlich ist.
Der Götzendienst am Test geht schon so weit, dass derjenige als unmoralisch gilt, der sich seiner Vermessung verweigert. Er wird verdächtigt, etwas zu verbergen, im Schilde zu führen, am Ende gar schädlich für die Gesellschaft zu sein. Mindestens aber schätzt man ihn als dumm ein, weil er an seinen persönlichen Testergebnissen nicht interessiert sei.
Im Schummel liegt tiefere Einsicht
Ich habe daher Sympathie für Schummler und Trickser, Fälscher und Betrüger, die einer datenfixierten Gesellschaft vor Augen führen, dass die Wirklichkeit nicht in eine Tabelle passt.
Wer sich darüber empört, hängt einem naiven Weltbild an, ihm entgeht der aufklärerische Nutzen, den die VW-Diesel im Abgastest auf dem Prüfstand bewiesen. Die Ingenieure von Volkswagen haben ihren Motoren beigebracht, was viele Menschen nicht können: nämlich Realität von Simulation zu unterscheiden.
Das ist nicht nur eine technische Meisterleistung, sondern zeugt auch von tieferer Einsicht: Sei der, der du bist – und gib dem Test den Rest.

Matthias Gronemeyer, Jahrgang 1968, ist Hochschuldozent für Philosophie, Autor und Publizist. In seinem Buch "Profitstreben als Tugend?" hat er sich mit den Notwendigkeiten und Grenzen des Kapitalismus auseinandergesetzt. Zuletzt erschien von ihm "Trampelpfade des Denkens - Eine Philosophie der Desorientierung", wo er den Zusammenhängen von Digitalisierung und Demenz nachspürt. Er lebt in Stuttgart.

© Iris Merkle
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