Wenn schon Tests, dann auch Bürgerrechte!
In den USA wurden zehn Affen zu Testzwecken mit Dieselabgasen bedampft, an der RWTH Aachen sollen menschliche Probanden den Schadstoffen ausgesetzt worden sein. Ein philosophischer Wochenkommentar von Florian Werner dazu, was das über das Mensch-Tier-Verhältnis sagt.
Eine Affenschande! Bei der moralischen Bewertung der sogenannten Monkeygate-Affäre sind sich ausnahmsweise alle einig. "Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen", ließ selbst Autokanzlerin Angela Merkel über ihren Regierungssprecher ausrichten: "Die Empörung vieler Menschen ist absolut verständlich." Ja, verständlich mag sie sein – aber selbst-verständlich? Keineswegs.
Empathiefähigkeit des Menschen
Denn es ist doch gelinde gesagt überraschend, dass uns das Schicksal von zehn Langschwanzmakaken, die vier Stunden lang Stickstoffdioxid inhalieren mussten, moralisch heftiger aufzuwühlen vermag als das jener 400.000 Menschen, die Schätzungen zufolge in Europa alljährlich aufgrund der Luftverschmutzung vorzeitig sterben.
In sage und schreibe 70 deutschen Städten wurden im vergangenen Jahr die EU-Grenzwerte für Stickoxide überschritten, ohne dass ein Aufschrei der Empörung aus dem Kanzleramt erscholl. Wir sind also offenbar durchaus in der Lage, über die engen Grenzen unserer Spezies hinweg Empathie zu empfinden.
In den ernst, ja manchmal nachgerade melancholisch dreinblickenden Javaneräffchenenaugen erkennen wir uns und unsere eigene Leidensfähigkeit wieder. Ausgerechnet das Antlitz der Affen gemahnt uns an unsere Humanität.
Das ist umso erstaunlicher, als den Primaten ein Status als vollwertige Subjekte verweigert wird. "Tests an Affen oder sogar Menschen" – das heißt natürlich: Das Leben der Affen ist weniger wert. Wissenschaftler sprechen gern davon, dass Tiere zu Forschungszwecken "verwendet" werden, man gewährt ihnen also gewissermaßen den Status von Gegenständen.
"Weniger als eins und doppelt"
Zugleich lässt man sie aber paradoxerweise gerade deshalb Dieselabgase einatmen, weil sie uns so enorm ähnlich sind; im Fall der Versuchsäffchen von New Mexico ging die Vermenschlichung ja sogar so weit, dass man den Tieren Zeichentrickfilme vorspielte, um sie zu beruhigen. Die Affen sind, um eine Formulierung des Theoretikers Homi Bhabha zu gebrauchen, "weniger als eins und doppelt", menschlich und nicht-menschlich zugleich. Ihr Antlitz, in dem wir uns wiederzuerkennen meinen, ist ein vielfach gebrochener Spiegel.
Wie aber lässt sich diese widersprüchliche Situation auflösen? Zwei Möglichkeiten. Erstens: Wenn man die Tiere tatsächlich nur als Gegenstände begreift, als reine Reiz-Reaktionsmaschinen, sind die Ergebnisse, die die Versuche an ihnen zeitigen, für uns Menschen empirisch fragwürdig. Dann sollte man etwaige Versuche tatsächlich, wie in Aachen geschehen, auf menschliche Probanden beschränken; diese haben zu den Tests immerhin, anders als die Affen, ihre Zustimmung gegeben.
Oder aber, zweitens: Man erkennt an, dass Javaneraffen wie wir Menschen ein subjektives Empfinden haben, und dass sie dieses, wenn nicht durch Worte, so doch immerhin durch Laute, Mimik und Körpersprache zum Ausdruck bringen können. Dann gilt es, diese Äußerungen zu interpretieren und als Ausdruck eines individuellen Willens ernst zu nehmen; man darf davon ausgehen, dass auch Pavianartige zur Bekömmlichkeit von Autoabgasen eine klare Meinung haben.
Staatsbürgerliche Rechte für Affen?
Und, nicht zuletzt: Wenn wir die Affen schon dazu nötigen, bei und mit uns zu leben, ja gar bisweilen als proto-menschliche Avatare für uns einzuspringen – dann dürfen wir ihnen nicht nur Pflichten aufbürden, sondern müssen ihnen, wie es etwa der politische Philosoph Will Kymlicka fordert, auch staatsbürgerliche Rechte zugestehen. Wenn die Empörung über die Tierversuche in New Mexico aufrichtig ist – dann können am Ende der Debatte nichts weniger als die Bürgerrechte für Javaneraffen stehen.