Abenteuerliche Reise zum Selbstbewusstsein

Paul findet sich eines Morgens allein gelassen wieder, denn seine Eltern sind auf Nimmerwiedersehen in die Karibik entschwunden. Auf der Suche nach einem neuen Zuhause findet er heraus, dass er noch zwei Drillingsschwestern hat. Geschult an Kästner erzählt Spinnen höchst unterhaltsam von der Reifung eines überbehüteten Einzelkindes.
Als Erich Kästner seine Kinderklassiker verfasste, war es noch sehr ungewöhnlich, gleichzeitig für Kinder wie für Erwachsene zu schreiben. Peter Härtling wurde in den Siebziger Jahren Kästners adäquater Nachfolger, und heute schreiben viele Autoren sowohl für Kinder wie Jugendliche. Auch der Schriftsteller Burkhard Spinnen hat sich schon einmal aufs fremde Parkett gewagt und mit "Belgische Riesen" einen Riesenerfolg gehabt. Nun ist sein zweites Kinderbuch erschienen, "Müller hoch Drei". Da geht's um Drillinge, um Paul, Paula und Pauline Müller.

Burkhard Spinnen hat anscheinend einen Narren an Tieren gefressen. Wieder steht ein Vierbeiner im Mittelpunkt seines rasanten zweiten Romans "Müller hoch Drei": Piet Dienstag, ein völlig übergeschnappter junger Hund, der für viel Verwirrung sorgt. Doch der Reihe nach.

Paul erfährt eines Morgens von seinen Eltern, dass sie sich trennen wollen. Nicht voneinander, sondern von ihm! Sie reisen auf Nimmerwiedersehen in die Karibik und überlassen ihr überbehütetes Einzelkind seinem Schicksal. Doch Paul macht aus dieser absurden Ausgangssituation das Beste und nimmt sein Leben selbst in die Hand.

Auf der Suche nach einem neuen Zuhause stößt er auf die Tatsache, dass er selbst ein Drilling ist und seine Schwestern Paula und Pauline nach der Geburt zur Adoption frei gegeben wurden. Eine sehr turbulente Geschichte führt die drei Drillinge erst zusammen und dann samt Hund Piet Dienstag durch die ganze Republik. Von Neustadt über Berlin an die Ostsee, in die Berge und zurück.

Unübersehbar ist "Müller hoch Drei" eine Hommage an Erich Kästner. Nicht nur, dass Paul aus Neustadt stammt, nach Berlin reist und seinen Hund "Piet Dienstag" nennt. Die ganze Konstellation erinnert an "Emil und die Detektive": Die Kinder sind ganz auf sich gestellt und bestehen ihre verrückten Abenteuer mit viel Witz, Grips und "Schnauze".

Kästner-adäquat ist auch Burkhard Spinnens Humor, weshalb der Roman durchaus Tiefgang hat. Schon die Ausgangssituation ist abstrus, und ebenso schräg geht es weiter mit einem melancholischen Privatdetektiv und einer dauerschnupfengequälten Tante. Spinnen hat eine sprühende Phantasie, erfindet haarsträubende Episoden und technische Wunderwerke, konstruiert traumhafte Slapstickepisoden und entwickelt einen ungeheuren Wortwitz. Er zieht alle komischen Register vom albernen Klamauk bis zum schwarzen Humor und fackelt ein Feuerwerk an Doppeldeutigkeiten ab.

Man kann "Müller hoch Drei" aber auch als einen bittersüßen Beitrag zum Thema moderne Eltern lesen. Pauls Erziehungsberechtigte lassen ihren Sohn ja zugunsten der eigenen Selbstverwirklichung im Stich. Wohlstandsverwahrlosung nennt man dieses immer häufigere Phänomen. Wobei die Geschichte ja gut ausgeht: Der Stubenhocker wird unsanft aus dem Nest geworfen und entwickelt sich im Lauf seiner abenteuerlichen Reise zu einem selbstbewussten Jungen. Eine Emanzipationsgeschichte wie bei Kästner, wo das Muttersöhnchen ebenfalls mit seinen Problemen wächst.

Immer mehr Autoren der Erwachsenenliteratur schreiben heute auch für Kinder und Jugendliche. Denn die Kinder- und Jugendliteratur hat sich zu einem Genre mit hervorragendem Ruf entwickelt. Für die "lieben Kleinen" zu schreiben bedeutet eine echte Herausforderung, man darf sich nicht mehr von oben herabneigen, sondern muss ihnen auf Augenhöhe begegnen. Und das ist schwer! Wie schon Peter Härtling sagte: "Einfach zu schreiben, das ist gar nicht so leicht". Burkhard Spinnen hat wieder bewiesen, dass er es kann! So gut wie Kästner!

Rezensiert von Sylvia Schwab

Burkhard Spinnen: Müller hoch Drei
Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2009
292 Seiten. 17,90 EUR