Abenteuer Fohlenauktion

Von Vanja Budde · 25.08.2006
Aufzucht der Fohlen, Decken der Stuten, Heu-Ernte im Sommer – Regisseurin Kerstin Hoppenhaus hat ein Gestütsjahr auf dem Pferdezuchthof Thormählen in Schleswig-Holstein dokumentiert. Mit "Das Gestüt" ist ihr eine Doku-Soap zwischen träumerischen Naturbildern und realistischer Alltagsschilderung gelungen.
Das Gestüt liegt malerisch inmitten riesiger Weiden. Reetdach, Kopfsteinpflaster, alte Bäume und ein freundlicher Hofhund: Idylle pur, sollte man meinen. Aber die Dokumentation schafft gekonnt die Gratwanderung zwischen traumschönen Naturbildern und der realistischen Schilderung des harten Alltags auf dem Hof.

"Es ist ein Morgen im Mai, aber die Ruhe täuscht: Es ist mitten in der Fohlensaison, die Produktion läuft auf Hochtouren."

Die Serie folgt dem Verlauf eines Züchterjahres. Es beginnt im Frühjahr, wenn die wertvollen Stuten die nächste Generation des Produktes Pferd auf die Welt bringen. Neugeborenes Fohlen zitternd im Stroh, ein Bild, das jeden Großstadtmenschen rührt. Für Andrea Michelchen ein anstrengender Job: Wochenlang schläft die Pferdewirtin kaum eine Nacht durch, wird vom Piepser aus dem Bett in ihrer bescheidenen Kammer im Stall gejagt. Privatleben hat die 25-jährige zierliche blonde Frau kaum.

"Hier ist das Privatleben. Ich fahr auch mal nach Hause, meine Freunde besuchen. Viele sagen, ‚äh, so viel Arbeit, willst Du nicht mal in Urlaub?’ Aber ich fänd das langweilig. Wenn ich jetzt nach Hause fahre, für ne Woche - nach fünf Tagen ist mir schon wieder langweilig, weil mich das nervt, dass ich irgendwie nichts richtig zu tun habe."

Andrea Michelchen ist eine der Hauptprotagonistinnen der Doku-Soap, aber nach und nach lernen wir sie alle kennen: den Lehrling Heinrich, der ein berühmter Springreiter werden will, Gergö aus Ungarn, der die jungen Pferde zureitet und beim Turnier immer so schreckliches Lampenfieber hat, die Haushälterin Frau Schlüter, die jeden Morgen mit dem Fahrrad aus dem Dorf kommt und den Chef selber: Harm Thormählen, ein Patriarch, der knallhart rechnen muss, aber jedes seiner Fohlen beim Freisprung über ein Hindernis fotografieren lässt und wie ein stolzer Vater die Bilder vorzeigt.

Viele erfolgreiche Sportpferde stammen aus seiner Zucht. Regisseurin Kerstin Hoppenhaus hat sich aber nicht deswegen für das Gestüt Thormählen entschieden, nachdem sie 20 Höfe besucht hatte. Sondern, weil bei Thormählen die Offenheit am größten war. 70 Drehtage haben sie und ihr kleines Team auf dem Hof verbracht. Keiner von ihnen hatte Ahnung von Pferden, was einen nicht naiven aber angenehm staunenden Blick auf das Gestüt zur Folge hatte.

"Der Reiz ist, das man wirklich in eine ganz andere Welt abtaucht. Was man auch, wenn man auf dem Land lebt, so nicht kennt. Ne Fohlenauktion ist wirklich ein Abenteuer, auch wenn man nicht kauft, wenn man nur guckt. Oder so ne Hengstkörung, oder wenn diese ganze Herde sich in Bewegung setzt: Das ist unheimlich schön, das sieht man nicht so oft, und es ist auch wenn man mit Pferden nichts am Hut hat mal interessant zu sehen wie anders man leben kann mitten in Deutschland."

Mit anders Leben hat Hoppenhaus Erfahrung: Sie war maßgeblich an der preisgekrönten Doku-Soap "Schwarzwaldhaus 1902" beteiligt und an "Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus". Für "Das Gestüt" verfolgte sie das Leben auf dem Hof ein ganzes Jahr: die Aufzucht der Fohlen, das neuerliche Decken der Stuten meist mittels künstlicher Besamung, die lebenswichtige Heu-Ernte im Sommer.

Bis spät in die Nacht rattern dann die Mähdrescher über die Wiesen, begleitet von der galoppierenden Herde unter einem weiß leuchtenden Mond. Auf dem Gestüt leben die Menschen und ihre Tiere noch im Rhythmus der Jahreszeiten. Kameramann Ralf Klingelhöfer hat sie in seinen Bildern eingefangen, die Sehnsucht nach Natur: Pferde schnauben, Frösche quaken und Hasen hoppeln bei Tagesanbruch über Feldwege.

"Wir haben auch wirklich zum Teil schon Entzugserscheinungen gehabt, wir haben uns in der Stadt gar nicht mehr wohl gefühlt. Als wir gedreht haben, das war immer schön, da wieder raus zu fahren. Und dann dieses Holsteinische und dann öffnet sich das und man sieht die Elbe."

Auch der knorrige Hofherr, der seine Lehrlinge streng an der Kandare führt, hatte offensichtlich einen Draht zum Team und lässt in einer Szene Gefühle erkennen, so weit ein Holsteiner Bauer das eben kann.

"Wenn ich mir nur vorstelle, ich sollte das verlassen hier! Also ich kann mir das nicht vorstellen, und ich möcht’s auch nicht. Schlimm!"

Sagt Harm Thormählen, dreht sich um und geht von der Kamera weg, in blauer Windjacke über die Weiden, die seine Familie seit mehr als 400 Jahren bewirtschaftet. Doch für die Fohlen schlägt im Herbst die bittere Stunde des Abschieds von ihren Müttern.

"Das ist wie mit den Kindern, wenn die in den Kindergarten kommen. Das geht jetzt zwei, drei Tage so und dann ist nachher auch Ruhe. Neuer Lebensabschnitt, dann geht’s alleine los. Dann schreien die auch nicht mehr."

Das Gestüt lebt vom möglichst teuren Verkauf der Pferde, es ist ein Wirtschaftsunternehmen, das verliert die Serie nie aus dem Blick. "Das Gestüt" ist eine Doku-Soap auf hohem Niveau, vom sonnigen Frühling bis zum grauen Matschwinter in der norddeutschen Tiefebene.

"In den nächsten Wochen wird es ruhiger auf dem Hof. Aber Ende Januar kommen schon wieder die ersten Fohlen. Dann beginnt ein neues Züchterjahr."

"Das Gestüt"
15 Folgen à 26 Minuten, 4 DVDs
37,24 Euro