Abenteuer-Coup mit Streichhölzern

Von Oliver Tolmein · 02.04.2008
In der Nacht des 2. April 1968 legte eine Gruppe um Andreas Baader Feuer in zwei Kaufhäusern in Frankfurt am Main. Es war ein Ausdruck des Protests der sozialistisch orientierten Studenten gegen den Konsum und die Kriegsführung im Vietnam. Nach anfänglicher Kritik, auch aus den eigenen Reihen, wurde der Brandanschlag als ein berechtigtes aufrüttelndes Zeichen gegen die Staatsmacht gewertet.
"Wann brennt das Brandenburger Tor
Wann brennen die Berliner Kaufhäuser
Wann brennen die Hamburger Speicher
Wann fällt der Bamberger Reiter
Wann pfeifen die Ulmer Spatzen aus dem letzten Loch"


Ein Gedicht von Thorwald Proll, das der 26-jährige Autor bei sich trug, als er festgenommen wurde, weil er in Verdacht stand, in der Nacht vom 2. auf den 3. April 1968 Brandanschläge auf zwei Frankfurter Kaufhäuser verübt zu haben. Für die Polizei war das Gedicht ein Indiz für Prolls Mittäterschaft an den Brandstiftungen, die als "menschengefährdende Brandstiftungen" in die Justizgeschichte eingingen, ein Vorwurf, dem Proll viel später entgegnete:

"Der juristische Begriff ’menschengefährdende Brandstiftung’ ist ja nur eingeführt worden, weil die Zeitzünder für dieses Feuer anzünden ist ja nachts passiert und da waren eben zwei oder drei Nachtwächter, die machten, oder Nachtwachen, die machten ihre Runde und das war dann eben so, dass Menschen hätten anwesend sein können und deshalb wurde es eben menschengefährdende Brandstiftung genannt. Aber unsere Sache war es eigentlich nicht, Gewalt gegen Sachen oder Gewalt gegen Menschen zu vermengen."

Der Sachschaden betrug damals knapp 600.000 DM. Außer Proll wurden am
4. April 1968 drei weitere Personen verhaftet und später angeklagt - Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Horst Söhnlein.

Gottfried Ensslin, der Bruder von Gudrun, erinnert sich an den Vorabend der spektakulären Aktion:

"Am Vorabend vor der Kaufhausbrandstiftung. Die kamen aus München und waren mit dem Auto unterwegs und haben Station in Cannstatt gemacht im Pfarrhaus. Und da waren alle vier da, alle vier Kaufhausbrandstifter. Groß debattiert wurde da nicht. Es war einfach ein Abenteuer-Coup, kam uns das vor. Wir wussten, dass die vielleicht was machen. Aber nur Thorwald Proll kam noch mal hoch die Treppe und sagte: Wir haben die Streichhölzer vergessen. Als Polit-Clown, das er ja dann war."

Bis dahin verlief der Protest der antiautoritären Studentenbewegung, so grundsätzlich ihr Anliegen war, doch in geregelten Bahnen. Gegen das Demonstrationsrecht- und die Straßenverkehrsordnung wurde verstoßen. Weitergehendes war bis dahin bloße Parole und revolutionäre Vision geblieben. Entsprechend dilettantisch war die Aktion durchgeführt worden: Materialien, die für die Sprengsätze verwandt worden waren, befanden sich bei der Verhaftung noch im Auto der Festgenommenen, auch handschriftliche Bauanleitungen und Fotos von anderen Kaufhäusern erleichterten der Anklagebehörde das Geschäft. Christiane Ensslin erinnert sich an die ersten Nachrichten von ihrer Schwester:

"Und ich hab das im Radio gehört und bin sofort runtergefahren und bin ins Polizeipräsidium, drückte den Knopf Aufzug, und der öffnet sich und drin steht meine Schwester mit zwei Beamten. Das war eine wunderbare Überraschung. Und ihr Satz war: Ich bin glücklich. Diesen Satz habe ich erst sehr viel später verstanden. In der Prozesserklärung sagte sie: Ich will etwas dagegen getan haben. Und ich nehme an, das meinte sie mit ’Ich bin glücklich’."

Allerdings blieb zu diesem Zeitpunkt noch sehr vage, wogegen das Quartett etwas getan haben wollte: Ein Bekennerschreiben zum Anschlag gab es nicht, die Erklärungen oszillierten anfangs vom Protest gegen die Konsumgesellschaft bis zum Widerstand gegen den Vietnamkrieg. Innerhalb des SDS und in der Studentenbewegung gab es sehr unterschiedliche Auffassungen über den Sinn und Unsinn dieses ersten gefährlichen Anschlags. Auch Konkret-Kolumnisten Ulrike Meinhof kommentierte das Ereignis kritisch:

"Die Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums durch Warenhausbrand unterscheidet sich qualitativ nicht von der systematischen Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums durch Mode, Verpackung, Werbung, eingebauten Verschleiß. So gesehen ist Warenhausbrandstiftung keine antikapitalistische Aktion, eher systemerhaltend. Den Schaden - sprich Profit - zahlt die Versicherung."

Die kritischen Reaktionen auf den Anschlag in den Kreisen der Studentenbewegung selbst hinderten die Öffentlichkeit allerdings nicht daran, Alarm zu schlagen. In der Deutschen Zeitung hieß es damals im Leitkommentar:

"Die Saat des SDS beginnt aufzugehen. Die Flammenzeichen von Frankfurt beweisen es. Sie sollten als das gewertet werden, was sie sind: als aufrüttelndes Menetekel für die für Sicherheit und Ordnung in unserem Staat Verantwortlichen."

Im Prozess wurden die vier Brandstifter später prominent verteidigt - und erfuhren jetzt auch die Solidarität und Unterstützung, die ihnen nach dem Anschlag selbst bisweilen fehlte. Auf die Strafe von drei Jahren Zuchthaus reagierte die linke Öffentlichkeit empört.