Abenteuer Bühne

Rezensiert von Wolf Eismann |
Der belgische Theaterregisseur Luk Perceval ist nicht nur auf deutschen Bühnen gern gesehen, sondern auch international gefragt. Im Buch "Luk Perceval - Theater und Ritual" reflektiert der Regisseur seine Theaterarbeit. Die besteht vor allem aus - Neugier. Ergänzt wird der Essay durch Gespräche mit seinen engsten Mitarbeitern.
Luk Pervecal: "Ich bin auf der Suche nach einem menschlichen Theater. Einem Theater, das nicht nur zeigt, wie monströs der Mensch ist, aber gleichzeitig auch, wie sehr er auf der Suche ist nach Liebe, nach Schutz. Und wie verletzbar und angreifbar der Mensch ist. Und wie wir eigentlich alle in unseren Sehnsüchten, in unseren Ängsten gleich sind. Wir sind alle Kinder von Vater und Mutter, also in dem Sinn ist das eine ewige archaische Ursituation. Und da geht Theater für mich viel weiter als die klassischen Unterhaltungsmedien wie Fernsehen."

Luk Perceval ist Regisseur. Theaterregisseur. 1957 in Belgien geboren, begann er in jungen Jahren als Schauspieler in Antwerpen. Längst ist er international gefragt, umworben von Intendanten, begehrt von Schauspielern.

In dem Buch "Luk Perceval - Theater und Ritual" stellt Dramaturg Thomas Irmer diesen Regisseur und dessen Arbeit vor. Auf rund 250 Seiten wird kein typisches Porträt geliefert, auch kein theaterwissenschaftlicher Diskurs, sondern eine Art Skizzenbuch, angereichert mit Zeichnungen und Fotos, das vielfältige Einblicke in Luk Percevals außergewöhnliche Theaterarbeit gewährt.

Luk Pervecal: "Theater ist auf seine Art und Weise eine Ritualisierung dieser Fragestellung nach dem Sinn des Lebens. Eine Frage, wofür wir versuchen, Antworten zu finden: in der Religion, in der Philosophie, aber auch in der Kunst. Aber der große Unterschied zwischen Theater und Religion ist, dass das Theater für die Figuren auf der Bühne eine Art von Erfahrung und Mitgefühl entwickeln kann, wozu Religion heutzutage nicht mehr fähig ist."

Seit dem letzten Jahr ist Luk Perceval Hausregisseur an der Berliner Schaubühne, doch er arbeitet regelmäßig unter anderem an den Münchner Kammerspielen, dem Schauspiel Hannover, aber auch in Stuttgart, Zürich und Wien. Mehrere Jahre war er zuvor in Antwerpen künstlerischer Leiter des Theaters "Het Toneelhuis", einer Plattform für experimentierfreudigen flämischen und niederländischen Regie-Nachwuchs. Der internationale Durchbruch gelang ihm zwei Jahre später mit seiner ersten deutschen Regie-Arbeit, "Schlachten!", einem spektakulären Shakespeare-Marathon.

Luk Pervecal: "Das Schöne an "Schlachten!" war, dass Zuschauer morgens um elf da saßen, als ob sie in die Kirche gingen. Und dass am Anfang noch eine gewisse Aufregung da war bei den Zuschauern und bei den Schauspielern: Kommen wir durch diesen Tag? Und wenn es dann losging, hat man gespürt, wie mehr und mehr während des Tages eine sehr starke Solidarität entstand zwischen Schauspieler und Zuschauer. Und für mich war das Allerschönste bei "Schlachten!", dass am Ende Zuschauer und Schauspieler spontan füreinander applaudierten. Das hat eine Form von Anerkennung gebracht, die ich ganz, ganz selten im Theater gespürt habe… - Nenne das Katharsis: Ich verstehe das Leiden, was auf der Bühne passiert, auch wenn es ein Leiden ist, das nicht aus meiner persönlichen Erfahrung kommt."

Zwölf Stunden dauerte die Inszenierung nach Shakespeares "Rosenkriegen", und Luk Perceval wechselte darin zwischen drastischem Volkstheater, psychologischem Bürgerdrama, Seifenoper à la Dallas und Denver und cooler Gewalt im Chic eines Tarantino-Films. "Schlachten!" war somit symptomatisch für Luk Percevals Regie-Arbeit, denn mit jedem Stück, das er auf die Bühne bringt, erfindet er quasi das Theater neu. Luk Perceval vertraut nicht auf das, was Kritiker so gern einen "eigenen Stil" nennen.

Luk Pervecal: "Ich glaube, dass die Kommunikation zwischen Zuschauer und Geschehen auf der Bühne nur dann existentiell und direkt ist, wenn auf der Bühne die Beteiligten nicht versuchen, die Weltmeisterschaft in der Darstellung zu gewinnen, sondern einfach vertrauen auf das, was passiert - und agieren aus dem, was sie sind. Das, was wir eigentlich als Zuschauer auch am meisten lieben. Wir sind nicht an Schauspielern interessiert, die ihr Bestes tun. Wir sind interessiert an Persönlichkeiten. In Frankreich nennt man das monstres sacrés: heilige Monster…"

Und so macht Luk Perceval eigentlich auch kein Theater für jenes versierte Publikum, das vor allem die eigenen Repertoire-Kenntnisse und ein gewisses kulturelles Interesse bestätigt wissen will. Vielmehr erschafft er auf der Bühne immer neue Abenteuer, die nur eines voraussetzen: Neugier.

Und wie diese Abenteuer entstehen, davon erfährt der Leser in dem Buch von Thomas Irmer. Ein von Luk Perceval geführtes Probentagebuch dokumentiert darin das Suchen, Scheitern und Entdecken im Spiel, zeigt, was das Spannende und Lebendige an der Theaterarbeit sein kann, wenn man den Mut hat, sich immer wieder in Frage zu stellen und neugierig auf Neues zu bleiben.

Ergänzt wird dieses sehr persönliche Material durch Interviews und Statements. Menschen kommen zu Wort, die mit Luk Perceval zusammen gearbeitet haben und immer wieder zusammen arbeiten: Bühnenbildnerin Katrin Brack, Schauspieler Thomas Thieme, die Intendanten Frank Baumbauer und Thomas Ostermeier, der Dramatiker Marius von Mayenburg.

Eine beigepackte DVD zeigt schließlich vier Viertelstunden Ausschnitte aus Luk Percevals Inszenierungen. So lässt sich eindrucksvoll auch die Entwicklung in der Arbeit Percevals nachvollziehen. Und während uns das Buch die Liebe des Regisseurs zum Theater vermittelt, bekommen wir mit dieser Lektüre gleichzeitig die Gelegenheit, das Urwesen des Theaters wieder zu entdecken.

Luk Pervecal: "Das schönste Theater, das ich am meisten liebe, findet statt in den Bahnhöfen. An öffentlichen Orten. Ich liebe es, mich irgendwo hinzusetzen und einfach zu gucken zu den Menschen. Weil das ist das Theater. Da sieht man die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit erzählt so viel. Erzählt gleichzeitig auch so wenig, weil was es erzählt, ist meine reine Projektion. Aber das ist das Theater."


Thomas Irmer (Hg.): "Luk Perceval - Theater und Ritual"
Alexander Verlag Berlin.