Abenteuer Arktis

Rezensiert von Kim Kindermann |
Theodor Lerner zählte zu den Männern, die Ende des 19. Jahrhunderts die Polargebiete erkundeten. Kälte, wochenlange Dunkelheit und Furcht vor Skorbut konnten sie nicht von ihren Reisen abhalten. Seine Expeditionstagebücher sind nun als Buch unter dem Titel "Polarfahrer. Im Banne der Arktis" erschienen.
Kälte, wochenlange Dunkelheit, Furcht vor Skorbut, Einsamkeit und mageres Essen, egal wie groß die Entbehrung, sie konnte Theodor Lerner nicht abhalten, auf Polarreisen zu gehen. Zu groß war der Enthusiasmus, die Liebe zum ewigen Eis und wohl auch die Sehnsucht nach Ruhm und Ehre, um den Journalisten dauerhaft zu Hause zu halten. Kurzerhand verband er daher Beruf und Leidenschaft: 1896 reiste Theodor Lerner im Auftrag der Berliner Zeitung "Die Woche" nach Spitzbergen, um von dort über den Polflug des schwedischen Ballonfahrers Salomon Andrée zu berichten. Es war seine erste eigene Polarreise, der bis 1914 noch sechs weitere folgen sollten.

Sie alle beschreibt Theodor Lerner in seinem auf Tagbucheintragungen basierenden Buch "Im Banne der Arktis" mit viel Liebe zum Detail: So erhält der Leser nicht nur spannendes Insiderwissen über die insgesamt sieben Expeditionen, wie etwa die Rettungsaktionen für vermisste Kollegen wie den Deutschen Herbert Schröder-Stranz oder über Lerners 15wöchige Überwinterung im ewigen Eis, sondern man erfährt auch bis in kleinste, wer sich wie am besten vor der Kälte zu schützen wusste, wer welches Tier erlegt hat, wer wann Küchendienst hatte und was wann gegessen wurde. Ausführlich beschreibt Theodor Lerner etwa, dass man Omelett wegen mangelnder Milch auch hervorragend gut mit Robbenblut anrühren kann, dass Eissturmvögel köstlich munden und nach Moschus und Tran riechen und gegen den Hunger auch schon mal ein kräftiger Tabak hilft.

Es sind genau diese detaillierten Schilderungen, die das Buch so spannend machen. Man ist von Anfang an mit dabei: Spürt fast schon körperlich, was die Polarfahrer auf sich nahmen, um in Pionierarbeit den Nordpol zu erforschen. Der Leser miterlebt den Forscherdrang, Leidenschaft und erhält gleich auch Einblick in ihr hasardeurhaftes Auftreten etwa bei der Eisbärenjagd, wo ohne Sinn und Verstand jedes Tier erlegt wird, dass den Männern vor die Flinte kommt.

Gleichzeitig wird auch schnell deutlich, dass hinter so mancher Forschungsexpedition, auf die sich Theodor Lerner begeben hat, oft auch politische und wirtschaftliche Interessen stecken. Zumal der Journalist vergebens versuchte, die Kohlevorkommen Spitzbergens für deutsche Unternehmen zu sichern. Aber genau das zu lesen macht Spaß. Zumal man einer Zeitreise ähnlich in diese Ende des 19. Jahrhundert noch größtenteils unbekannte Welt mit eintaucht, denn obwohl die Zeit der großen kolonialen Entdeckungsreisen schon vorbei war, waren die Polargebiete noch relativ unerforscht. Und so bangt man förmlich mit, wenn Andrée seinen Ballon startet, man hofft, auf die Rettung des im Eis eingeschlossenen Schiffes "Isle de France" und fürchtet mit, wenn sich plötzlich riesige Eisspalten vor den Polarforschern auftun.

Dass diese Reise in die Vergangenheit so überaus echt wirkt, liegt sicher auch an Theodor Lerners altmodisch wirkender Sprache und seinem altbacken wirkenden Humor. So beschreibt der Journalist seinen Einsatz "mit Feuereifer", gesellige Abende "atmen" in Lerners Schilderung "Begeisterung und Vertrauen" und die Mitreisenden werden immer hoch förmlich mit Titel samt gesellschaftlicher Stellung und - falls vorhanden - Orden vorgestellt. Das Buch zeugt damit von alten, vergangenen Zeiten, ohne dabei langweilig zu sein. Vielmehr ist "Im Banne der Arktis" ein authentisches Zeugnis, das vom Mut und auch vom Übermut der Männer zeugt. Männer, die im Buch auch ein Gesicht bekommen: Denn von Anfang an hatte Theodor Lerner eine Kamera auf seinen Reisen dabei. Und so schaut man auf vielen der insgesamt 82 Schwarz-Weiß-Fotographien in die ernsten Gesichter dieser Polarforscher. Man sieht sie vor ihren Schiffen positionieren, sieht wie sie sich stolz über einen erlegten Eisbären beugen oder wie sie sich frierend in Zelten zusammenkauern. Dabei wirken die Bilder oft widernatürlich starr, kalt und unwirklich – eben ganz so wie die Landschaft, vor deren Hintergrund sie entstanden sind. Aber auch das hat seinen ganz eigenen Charme: Zieht es doch den Leser selbst noch mehr in den Bann des Buches und seiner Geschichte - einer abenteuerlichen und lebendigen Geschichte, die Theodor Lerner zwar schon 1930 - ein Jahr vor seinem Tode - zu Papier brachte, die aber erst jetzt einen Verlag fand. Zum Glück: Denn die 317 Seiten des Buches sind es wirklich wert, gelesen zu werden. Auch heute noch.

Theodor Lerner: Polarfahrer. Im Banne der Arktis.
Herausgegeben von Frank Berger
Oesch Verlag, Zürich, 2005
317 Seiten mit 82 Fotographien und Kartierungen
19,90 Euro