Abendmahl und Eucharistie

Gemeinsam an den Tisch des Herrn?

11:11 Minuten
Eine Hand reicht einen Abendmahlkelch. (Symbolbild)
Viele Christen würden Abendmahl und Eucharistie gern gemeinsam feiern, doch theologisch ist beides nicht ohne Weiteres miteinander zu vereinbaren. © unsplash / Jametlene Reskp
Anselm Schubert im Gespräch mit Christopher Ricke · 02.05.2021
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Trotz aller Gemeinsamkeiten: Die katholische Kommunion ist etwas fundamental anderes als das evangelische Abendmahl. Was sie dennoch verbindet und was sie dauerhaft trennt, erklärt der evangelische Kirchenhistoriker Anselm Schubert.
Christopher Ricke: Wir schauen uns jetzt eine der großen Hürden in der Ökumene an: die Abendmahlfeier bzw. die Eucharistiefeier. Da gibt es tatsächlich fundamentale Unterschiede zwischen evangelischen und katholischen Christen. Man kann nicht einfach so hin und her wechseln, sagen die einen. Andere sagen, das ist ein akademischer Streit, wir wollen gemeinsam feiern.
Anselm Schubert ist evangelischer Theologe, Professor am Institut für Kirchengeschichte der Uni Erlangen-Nürnberg und er hat vor drei Jahren eine historisch interessante Betrachtung vorgelegt, ein Buch mit dem Titel "Gott essen – eine kulinarische Geschichte des Abendmahls". Herr Schubert, normalerweise gehe ich davon aus, wir reden über Brot und Wein. Bei Ihnen lese ich aber Käse, ich lese Honig, ich lese Kokosnuss – da habe ich offenbar kulturhistorisch eine ziemliche Lücke. Können Sie mir die kurz schließen?
Anselm Schubert: Kulturhistorisch haben Sie die Lücke eigentlich eher weniger, Sie haben sie vor allen Dingen zeitlich. Denn Milch, Honig und andere Speisen waren beim Abendmahl der alten Kirche ursprünglich normal. Wir reden hier von den ersten drei Jahrhunderten der Kirchengeschichte.
In dieser Zeit war die Spendung des Sakramentes noch nicht unterschieden von dem, was wir heute das Agapemahl nennen, also das gemeinsame Essen der Gemeinde, in dessen Rahmen dann die Sakramente gespendet wurden. Das wurde unterschieden im 3. Jahrhundert. Seitdem müssen sich die Christen in der West- und Ostkirche nur noch mit Brot und Wein begnügen.

Wundersame Verwandlung

Ricke: Es gibt auch eine inhaltliche Unterscheidung, die ist deutlich jünger, denn die Reformation ist gerade mal 500 Jahre her. Es gibt einmal diese strenge Auslegung bei den Katholiken: Das Wesen von Brot und Wein wandelt sich wirklich zu Leib und Blut Christi, das ist die Wesensverwandlung. Andere Konfessionen sehen es entspannter. Wie ist es historisch zu diesem unterschiedlichen Eucharistieverständnis gekommen?
Schubert: Die Frage ist, was Sie mit dem Begriff "entspannter" meinen. Ich glaube, wenn wir auf die Diskussion schauen, die es momentan um den gemeinsamen Besuch eines Abendmahls gibt, kann man nicht sagen, dass die eine Kirche es unbedingt entspannter sieht als die andere. Aber es gibt Gründe für die Tatsache, warum beide Kirchen oder die verschiedenen Kirchen es unterschiedlich sehen.
Die Vorstellung, dass das Stück Brot und der Schluck Wein, den man in der Eucharistie nimmt oder gespendet bekommt, sich substanzhaft in den Leib Christi wandelt, ist schon sehr alt. Wir sprechen hier von der Zeit des 9. Jahrhunderts, wo zum ersten Mal solche Theorien entwickelt worden sind, um zu erklären, wie es sein kann, dass Christus beim Abendmahl oder in der Eucharistie gegenwärtig ist.

"Dies ist mein Leib"

Denn in der Bibel steht, das hat die Kirche auch immer festgehalten, dass er bei der Spendung des Abendmahls am letzten Abend vor seinem Tod gesagt hat: Dies ist mein Leib. Daraus hat man geschlossen, dass er sich selbst als gegenwärtig stiften will. So wird es auch überliefert in der ältesten Urkunde des Neuen Testamentes, im ersten Korintherbrief.
Jetzt war immer die Frage, wie denkt man sich das? Im 9. und 10. Jahrhundert ist man so weit, dass man sagt, Gegenwart einer Sache heißt: ihre reale Präsenz. Reale Präsenz wurde in diesem Fall substanziell gedacht. Man musste sich eine theologische Theorie überlegen, wie es sein kann, dass etwas, das wie ein Stück Brot und ein Schluck Wein aussieht, in Wirklichkeit der Leib Christi und das Blut Christi ist.
Porträt des Nürnberger Kirchenhistorikers Anselm Schubert
Der Nürnberger Kirchenhistoriker Anselm Schubert© privat
Dann kam man auf die Vorstellung, die den gängigen Praktiken der damaligen Philosophie entsprach, dass sich etwas möglicherweise in der Substanz wandeln kann, aber im Aussehen, in den äußeren Eigenschaften gleich bleibt. So hat man das dann für das besondere Wunder der Eucharistie erklärt, dass Christus hier dafür sorgt, dass aus einem Stück Brot und einem Schluck Wein substanziell, also innerlich, nicht von den äußeren Eigenschaften her, Leib und Blut Christi wird, aber die äußeren Eigenschaften von Brot und Wein erhalten werden. Das ist der Ursprung der Transsubstantiationslehre.

Leibhaftige Gegenwart und Gnade

Ricke: Sie haben es historisch eingeordnet, das liegt weit zurück und ist für Nichttheologen inzwischen recht schwer zu verstehen, auch für katholische vielleicht.
Schubert: Das weiß ich nicht, ob das so schwer zu verstehen ist. Meinen Studierenden muss ich es tatsächlich immer erklären, aber das sind auch keine Katholiken.
Ich glaube schon, dass, wenn das Zweite Vatikanum - ich nehme jetzt mal die katholische Position ein - sagt, dass die Eucharistie die Quelle und der Höhepunkt des geistlichen Lebens sind, dass damit dann gemeint ist, dass in dieser Quelle und im Höhepunkt des geistlichen Lebens die Realpräsenz Christi gedacht ist.
Zentral nach katholischer Weltanschauung ist die Vorstellung, dass wir es hier mit einer realen Wandlung der Elemente zu tun haben, sodass jeder Gläubige sicher sein kann, wenn er zu einer Eucharistie geht, die sachgemäß gespendet wird, also von einem Priester mit dem entsprechenden Weihesakrament innerhalb der katholischen Kirche, er sicher sein kann, dass tatsächlich Christus dort auch leibhaftig gegenwärtig ist und mit dem Gnadenerweis, den das bedeutet.

Denken in großen Zeiträumen

Ricke: Jetzt haben Sie gerade als evangelischer Theologe ganz bewusst den Blickwinkel eines katholischen eingenommen. Wie schwer fällt Ihnen das eigentlich?
Schubert: Nicht sehr, weil ich Kirchenhistoriker bin. Die Kirchengeschichte beginnt für einen Protestanten nicht erst mit der Reformation, sondern wir decken als Kirchenhistoriker natürlich auch die Zeit vor der Reformation ab. Die Theologiegeschichte mit all ihren schwierigen Distinktionen und Definitionen ist auch Teil des evangelisch-theologischen Geschäftes. Insofern ist Thomas von Aquin mir vielleicht nicht ganz so nah wie Martin Luther, aber kennen muss man ihn natürlich trotzdem.
Ricke: Ich versuche es mal, zeitlich noch ein bisschen mehr in die Gegenwart zu holen. Vielleicht war es tatsächlich schon ein historisches Ereignis, das man jetzt würdigen kann. Ich denke mal an einen ganz bestimmten Gottesdienst, der war 2003 am Rande des ökumenischen Kirchentags in Berlin, da feierten mehrere Hundert Menschen einen Abendmahlsgottesdienst nach katholischem Ritus, es waren aber alle eingeladen. Der Priester, der damals zelebriert hat, ist nicht mehr zahlendes Mitglied der katholischen Kirche. Jetzt mit 18 Jahren Abstand: War das auch ein historisches Ereignis oder eine Randnotiz der Geschichte?
Schubert: Kirchenhistoriker sind gewohnt, in ganz großen Zeiträumen zu denken. Bevor sich in der Kirche etwas verändert, vergehen nicht Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte, manchmal Jahrtausende.
Sie haben gerade selbst darauf hingewiesen, dass die Lehre, über die wir gerade sprechen, schon über tausend Jahre auf dem Buckel hat. Insofern ist das nach kirchenhistorischen Maßstäben noch viel zu früh, um zu sagen, ob 2003 eine epochale Wende in der Kirchengeschichte war. Ich würde sagen, eher nein. Aber lassen Sie uns doch mal in tausend Jahren dieses Gespräch wiederholen, dann schauen wir, ob es die epochale Wende war.

Komplexe theologische Probleme

Ricke: Vielleicht sind wir dann in tausend Jahren tatsächlich an einem ganz anderen Punkt. Wenn wir uns jetzt erst mal darauf verständigt haben, dass es die Position des Vatikan gibt, die sagt, die Unterscheidung zwischen einer katholischen Eucharistiefeier und einem protestantischen Abendmahl ist zu gravierend, als dass man wechselseitige Teilnahme ermöglichen kann. Wenn man diese Position verstehen kann, die Gläubigen aber dennoch gemeinsam feiern wollen, dann kann man vielleicht in der Geschichte der Kirche auch einen Lösungsweg finden. Vielleicht ist es das orthodoxe Brotbrechen, vielleicht ist es etwas anderes. Haben Sie einen Vorschlag?
Schubert: Nein, einen Vorschlag habe ich nicht, denn ich bin – und da danke ich dem Herrn – nicht der Präfekt der Glaubenskongregation. Das Problem ist in ganz vielfacher Weise verwickelt. Wir haben einerseits ein wirklich komplexes theologisches Problem, über das auch die Fachtheologen schon nicht einer Meinung sind, wenn Sie sich die Diskussionen um das Papier "Gemeinsam am Tisch des Herrn" anschauen. Wir haben auf der anderen Seite den Willen ganz vieler Gläubiger in allen christlichen Kirchen zur ökumenischen Gemeinschaft.
Das sind erst mal zwei Probleme, die sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen bewegen. Für einen Protestanten ist es natürlich relativ leicht zu sagen, lasst es uns doch einfach machen. Meine Kirche, die Bayerische Landeskirche und die angeschlossenen Kirchen in der EKD, laden alle getauften Christen zum Abendmahl ein. Wir haben damit theologisch überhaupt kein Problem. Das heißt, wir müssen hier tatsächlich in einer Art und Weise vorgehen, die den Namen "ökumenisch sensibel" verdient, so wie das jetzt auf dem Kirchentag in Frankfurt avisiert wird. Was das aber heißt, ist sehr schwierig zu entscheiden.

Sorge um das eigene Profil

Also, wir haben die Leute, die die Einheit wollen, und alle christlichen Kirchen, auch die katholische Kirche, sind der Meinung, dass die ökumenische Bewegung etwas Gutes ist, dass die wachsende Einheit der Christen innerhalb der einen Kirche Jesu Christi etwas Begrüßenswertes ist. Auch die Deutsche Bischofskonferenz geht davon aus und auch die katholische Kirche, wenn ich mir etwa das Ökumenedekret des Zweiten Vatikanums angucke.
Die Frage ist nur: Bis wohin geht eine Einheit, wo fängt der Punkt an, an dem man möglicherweise sein eigenes Profil in einer Einheit oder Gemeinsamkeit zu verlieren droht? Da hängt es nun an der Frage der eigenen Selbstwahrnehmung der jeweiligen Kirche. Die katholische Kirche hat ein Selbstbild und einen Kirchenbegriff, der es ihr schwer macht, einer Vereinigung oder einer Gemeinschaft mit anderen Kirchen einzugehen, die erklärtermaßen nicht römisch-katholisch sind.
Das heißt, die katholischen Kolleginnen und Kollegen, auch die katholischen Bischöfe, die jetzt gerade im Vorfeld des ökumenischen Kirchentages diese schwierigen Diskussionen führen müssen, sind in der komplexen Situation, einerseits dem Willen der Gläubigen entsprechen zu müssen und auch zu wollen und andererseits sich nicht grundlegend gegen die Prämissen der eigenen theologischen Überzeugung stellen zu dürfen.

Gemeinsamer Wille zur Ökumene

Warum das überhaupt ein Widerspruch ist, der Wille zur Ökumene, den ich auch bei den meisten katholischen Kolleginnen und Kollegen sehe, und die Selbstwahrnehmung als Kirche Christi, das ist eines der größeren Geheimnisse der, wie ich dann schon sagen würde, katholischen Theologie – und nicht der evangelischen Theologie. Man kann natürlich einfach auf die theologische Theorie pfeifen und ein gemeinsames Abendmahl anbieten oder durchführen. Nach evangelisch-theologischer kirchenrechtlicher Überzeugung ist das problemlos, bloß eben nach katholischer nicht.
So wird sich dann ein katholischer Priester, der ein solches Abendmahl, eine solche Eucharistie anbietet, fragen müssen, ob er die Einheit, die er mit den evangelischen Christen oder anderen Christen in diesem Gottesdienst herstellt, nicht auf Kosten der Einheit seiner Gemeinde mit seiner eigenen Kirche geht. Das ist eine Situation, um die ich keinen katholischen Kollegen, keinen katholischen Priester beneide, dass er sich sozusagen zwischen zwei Größen entscheiden muss.
Darin liegt letztendlich das Problem. Es ist ein Problem, für das es theologisch noch keine Lösung gibt, wo wir möglicherweise nur vorankommen, wenn wir in der Praxis ganz vorsichtig einen kleinen Schritt nach dem anderen gehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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