"A Serious Man"

Alexander Soyez im Gespräch mit Frank Meyer · 24.01.2010
"A Serious Man" gilt als einer der persönlichsten Filme von Ethan und Joel Coen, auch wenn die beiden Brüder dem widersprechen: "Das Umfeld stimmt mit unserer Kindheit einigermaßen überein, mehr aber nicht", sagt Joel Coen.
Frank Meyer: Gesa Ufer über den Film "A Serious Man" von Ethan und Joel Coen. Einer der wenigen Filmkritiker, der ein Interview mit den beiden Filmemachern bekommen hat, ist Alexander Soyez, und er ist jetzt hier bei uns im Studio.

Sagen Sie, die beiden, die gelten als genial, aber es geistert auch immer so durch die Berichte, das sind schon recht eigenwillige Käuze, diese beiden Brüder. Wie kauzig waren die beiden im Gespräch?

Alexander Soyez: Also sie gelten nicht unbedingt als seltsam, sondern sie gelten so ein bisschen als spröde und als etwas schwierig in ihren Antworten und in der Art und Weise, wie sie eben auch ihre Interviews geben, und sie geben auch nicht wirklich gerne Interviews.

Sie machen es wirklich deutlich seltener als andere Regisseure, und ich habe sie damals getroffen in Cannes zu "Ladykillers", da waren sie noch spröder, da waren sie wirklich sehr komisch. Diesmal waren sie wirklich sehr, sehr aufgeschlossen und geradezu in Fahrt, muss man sagen, weil wahrscheinlich die Kritiken auch hervorragend ausgefallen sind für "A Serious Man".

Meyer: Die sind auch bei uns hier in Deutschland hervorragend ausgefallen, und die Kritiker sind sich eigentlich einig, dass dieser Film, "A Serious Man", der privateste ist dieser beiden, der Coen-Bruder, dass der sehr viel mit ihrer eigenen Jugend und Geschichte zu tun hat. Bekennen sie sich dazu, sagen sie, ja, das ist unser Film, unsere Geschichte?

Soyez: Ich würde mal sagen, so die Grundhaltung, die die beiden dazu haben, ist ein bisschen Ja, ein bisschen Nein. Sie erkennen natürlich ganz genau, dass es persönliche Hintergründe gibt, und das sagen sie, aber eben autobiografisch ist der Film in keinem Fall, das sagt also Ethan Coen ganz, ganz deutlich, und Joel Coen auch.

Joel Coen: "Wir sehen es ja nicht als autobiografischen Film. Das Umfeld stimmt mit unserer Kindheit einigermaßen überein, mehr aber nicht."

Ethan Coen: "Wir waren ungefähr in dem Alter, aber es ist eben nicht so, dass irgendeiner der Charaktere für uns steht oder der Vater für unseren Vater. Und abgesehen vom allgemeinen Kontext sind die meisten Ereignisse frei erfunden. Wir waren in der Hebräisch-Schule, wir haben unsere Bar-Mizwa gefeiert, wir haben in einer ähnlichen Gemeinde gelebt und unser Vater war Akademiker. Alles andere, was diesem Mann passiert und was mit dem Jungen passiert, das ist alles frei erfunden."

Meyer: Der Film spielt in einem ganz bestimmten Jahr, 1967. Gibt es einen bestimmten Grund dafür, genau dieses eine Jahr?

Soyez: Es gibt natürlich ein paar Gründe, und diese paar Gründe haben nicht nur damit zu tun, dass sie selber 1967 Kinder waren.

Joel Coen: "Ganz grundsätzlich war uns diese Ära wichtig für diese Geschichte, weil wir in dieser Zeit Kinder waren, ungefähr in dem Alter des Jungen im Film. Warum wir uns ganz genau für 1967 entschieden haben, weiß ich gar nicht mehr. Jefferson Airplane, der Song ist wichtig im Film, und dieses Album gehört in den Frühling 67. Ob es das war, weiß ich gar nicht mehr. Wir hatten auch ganz am Anfang mal vor, den Sechstagekrieg zu erwähnen, der ja im Juni dieses Jahres war. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr so genau, weshalb wir uns spezifisch für 1967 entschieden haben. Die Dinge haben sich damals auch derartig schnell verändert, wenn ich so darüber nachdenke, dass diese Welt, wie wir sie jetzt zeigen, nur in einem kleinen Zeitfenster genauso existiert hat. Nur ein Jahr später, und alles wäre anders gewesen - der ganze Look, die Kleidung, die Frisuren. Die 68er wären dann auch im mittleren Westen angekommen, und danach haben wir nicht gesucht. Und wenn wir das Ganze mehr als ein Jahr früher hätten spielen lassen, wäre ebenfalls alles komplett anders gewesen."

Meyer: Also man hört, was die beiden da erzählen, diese Welt kennen sie ganz genau, eben ja auch die Welt ihrer eigenen Jugend und Kindheit. Das war ihnen offenbar sehr wichtig, diese Welt auch ganz genau so, wie sie sie in Erinnerung haben, in diesen Film reinzuholen?

Soyez: Auf jeden Fall. Man muss es sich natürlich einfach so vorstellen, die Kindheit ist ein prägender Zeitraum, das wissen wir alle. Wir erinnern uns immer daran, es gibt bestimmte Gefühle, bestimmte Gerüche, bestimmte Farben, bestimmte Stoffe, all das spürt man.

Und man merkt bei diesem Film ganz besonders, dass es wirklich sehr, sehr präziser Blick zurück ist. Und diese Welt zu zeigen, das war auch der tatsächliche Ursprung des Projektes. Und deswegen, so wenig sie das Label eigentlich eben mögen, steht auch immer wieder dieser Begriff im Raum: persönlichster Film, fast autobiografischer Film. Und sie stoßen sogar von alleine immer wieder darauf. Also man braucht eigentlich gar nicht danach fragen, sondern sie fangen im Grunde immer wieder neu an, darüber nachzudenken, ist es ein persönlicher Film, ist es kein persönlicher Film.

Joel Coen: "Die Sache ist doch die: Was heißt eigentlich persönlich? Die Antwort liegt darin, wie viel es mit einem zu tun hat, die Leute, das Setting, das Geschehen. Wir sind Juden, und das hat viel mit uns zu tun, es hat viel mit unserer Identität zu tun. Das ist unsere ethnische Identität und der Film handelt von Juden. Wir sind in Minnesota aufgewachsen, und man könnte uns als Filmemacher bezeichnen, die vom mittleren Westen geprägt sind. Wobei es schwer wäre, da jetzt die genauen Charakteristika aufzulisten, aber wie gesagt, es wäre dumm, das zu verneinen. All das zeigt der Film. Aber es stimmt eben auch, dass man all das, was man ist und woher man kommt, auch in alle anderen Filme mitnimmt, selbst wenn es in einem Film darum geht, dass ein Affe auf den Mond geschickt wird."

Meyer: Joel Coen, einer der beiden Filmemacher, zusammen mit seinem Bruder Ethan Coen hat er den Film "A Serious Man" gedreht, über den reden wir hier im Deutschlandradio Kultur mit Alexander Soyez. Er hat die beiden Filmemacher interviewt. Und jetzt ging es die ganze Zeit um die Frage, wie persönlich ist das eigentlich, wie autobiografisch, was hat das mit den beiden zu tun.

Schauen wir mal auf eine andere Seite: Es gibt brillante Schauspieler in diesem neuen Coen-Film, aber es gibt keine bekannten Namen, wie das früher ja meistens war in den Filmen der Coen-Brüder. Die haben mit Brad Pitt gedreht, mit George Clooney, mit John Goodman, mit vielen anderen bekannten Stars - und Filme ohne Stars, das geht ja in Hollywood eigentlich gar nicht. Warum jetzt diese Entscheidung für einen Film ohne bekannte Namen?

Soyez: Ja, zum einen ist es natürlich kein Hollywoodfilm im klassischen Sinne und auch nicht wirklich mit dem großen, großen Hollywoodgeld finanziert, das hätte man heute auch gar nicht mehr finanziert bekommen, dafür ist diese Geschichte einfach viel zu klein und viel zu speziell. Und so ein bisschen hatte ich auch das Gefühl, dass das jetzt einfach mal so eine Gegenmaßnahme ist, dass man sagt, okay, den machen wir mal ein bisschen kleiner. Aber es hatte auch wieder einen anderen Grund, und der hat dann wiederum doch etwas mit diesem Persönlichen und dem Echten zu tun.

Joel Coen: "Nun, auch das hängt damit zusammen. Wir wollten vor allem das Setting sprechen lassen. Es sollte sich echt anfühlen, wie ein Stück Leben aus der damaligen Zeit. Ein Filmstar hätte dabei nicht geholfen. Es sollte dieses Jedermann-Gefühl zu erkennen sein. Es ging nur darum, das Publikum in dieses fremde, exotische Universum eintauchen zu lassen."

Meyer: Also da ist manches anders, in diesem Coen-Film, was ist denn typisch daran? Daran werden auch die vielen Coen-Freunde hängen, die haben ja eine große Fangemeinde auch hier bei uns. Was ist typisch an diesem Coen-Film?

Soyez: Also der Film ist ja wirklich eine ganz spezielle Mischung, eine ganz seltsame Mischung aus typisch und völlig überraschend, und das gute, alte Coen-Modell ist natürlich: Sie lieben ihre Helden, aber sie lassen sie leiden, und zwar extrem und in fast jedem ihrer Filme. Die meisten Helden der Coen-Brüder könnte man fast als ihre Opfer bezeichnen, also wenn man sich da so einiges anguckt. Und in diesem Film treiben sie das Modell im Grunde völlig auf die Spitze, wie Gottesprüfungen scheinen diese Probleme, die diesen Mann ja anfallen geradezu, und dieses Leidenlassen, dieses wirkliche Quälen ihrer Helden, das ist typisch Coen.

Joel Coen: "Es ist ein besserer Antrieb, eine bessere Basis für eine gute Geschichte, wenn etwas Schlimmes, Böses passiert. Etwas Schlimmes führt zu etwas anderem, etwas Gutes bleibt einfach so. Dass wir oft diesen Weg gehen, hat wahrscheinlich mit dieser Dynamik zu tun."

Meyer: Also der Held kriegt eine Prüfung nach der anderen übergeholfen, das ist andererseits ja aber auch wieder eigentliche in typisches Erzählmodell im Film, oder? Der Held muss sich immer wieder von Neuem bewähren?

Soyez: Das ist absolut ein typisches Erzählmodell, und diese Logik, die beherrschen natürlich auch andere Filmemacher zur Genüge. Aber bei den Coens - und das muss man eben dazusagen und das erkennt man wirklich auch in all ihren Film - liegt so eine gewisse Form von, ja, man kann nicht mal liebevolle Schadenfreude sagen, sondern teilweise schon böswillige Schadenfreude. Sie lieben ihre Charaktere, aber Schadenfreude spielt schon immer da mit.

Joel Coen: "Ja, wir genießen das schon."

Ethan Coen: "Das ist witzig, wenn jemanden so etwas passiert."

Joel Coen: "Es ist Comedy in dem Unglück eines anderem."

Soyez: Joel Coen gibt da tatsächlich zu, dass er es genießt, und es hätte doch auch immer was Lustiges, wenn jemandem etwas Böses passiert, erklärt Ethan dann. Und Joel vollendet den Gedankengang damit, dass im Unglück anderer eben ein gewisser Teil des Humors liegt.

Meyer: Humor ist ja etwas, was wirklich wichtig ist für die Coen-Brüder, sie haben ja so einen sehr speziellen, sehr blutigen, sehr bösen Humor oft. Wie fällt der Humor denn hier aus, auch so blutig wie in anderen Filmen wohl nicht?

Soyez: Nein, blutig tatsächlich nicht, böse, bitter ja, aber was eben wiederum gleich ist zu all ihren Filmen, egal wie blutig oder wie böse oder wie bitter der Humor in ihren Filmen ist, er wird nie zum Selbstzweck. Und das finde ich wirklich auch extrem bemerkenswert. Man hat fast das Gefühl, dass die sich gar nicht entscheiden können, ob sie nun eigentlich eine Komödie machen wollen oder ein böses Drama. Und manchmal sind die Sachen, die wir als witzig empfinden, vielleicht auch gar nicht witzig gemeint, und manchmal genau umgekehrt. Und das geben sie tatsächlich auch zu.

Ethan Coen: So richtig entscheiden wir das nie vorher. Die Story ist die Story. Man kann lachen oder es lassen. Ein Mann besucht drei Rabbis könnte entweder die Aufstellung für eine Volksweise sein oder eben ein gespielter Witz. Man kann es sich aussuchen. Es ist beides - hoffentlich. Ich weiß ja nicht, ob es überhaupt funktioniert.

Meyer: Die beiden sind ja auch eine Ausnahmeerscheinung, weil die eben als Brüder Filme machen zusammen. Haben Sie mit denen darüber geredet, wie das eigentlich funktioniert?

Soyez: Ja, man erhofft sich da immer großartige Antworten, sozusagen der eine macht dies, der andere macht jenes, der eine ist mehr fürs Drehbuch, der andere hat so die ursprünglichen Ideen, aber da enttäuschen sie einen im Grunde immer wieder und wirklich in jeder Hinsicht, weil: Es ist einfach alles nur ganz profan.

Joel Coen: Es gibt kein System, wenn wir gemeinsam in einem Raum sitzen. Wir spielen die Szene durch, wir sprechend darüber, der eine sagt: Was hältst du davon? Und dann sagt der andere: In Ordnung, lass uns das probieren, oder nein, aber wir wäre es so und so? Es gibt da keine bestimmten Charakteristika, ganz normal, ein Hin und Her von Einfällen.

Meyer: Joel Coen gemeinsam mit seinem Bruder Ethan Coen interviewt von Alexander Soyez. Vielen Dank für Ihren Bericht. Der Film "A Serious Man" von den Coen-Brüdern ist seit Donnerstag in unseren Kinos.