90. Geburtstag von Hilmar Hoffmann

Hoffmann: Wir brauchen kulturelle Bildung

Der ehemalige Präsident des Goethe-Instituts, Hilmar Hoffmann, in seinem Arbeitszimmer in Frankfurt am Main.
Der ehemalige Präsident des Goethe-Instituts, Hilmar Hoffmann, in seinem Arbeitszimmer in Frankfurt am Main. © imago/ Heike Lyding
Hilmar Hoffmann im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.08.2015
Ein gutes Leben ohne kulturelle Bildung? Unmöglich, meint der frühere Präsident des Goethe-Instituts, Hilmar Hoffmann. Mangelnde Aufklärung sei auch ein Grund für Fremdenfeindlichkeit. Er sieht die Politik in der Pflicht.
Der frühere Präsident des Goethe-Instituts, Hilmar Hoffmann, wirft der Politik vor, den Wert kultureller Bildung nicht ausreichend anzuerkennen. Im Deutschlandradio Kultur beklagt er eine "Mentalität von Sparkommissaren", die ihren Wahlkampf nicht mehr auf Kultur, sondern auf Soziales ausrichteten: "Aber das nützt ja nichts, damit ein Mensch ein gutes Leben führen kann. Das kann er nur, wenn er aus den Töpfen der Kultur seine Nahrung beziehen kann und will."
Die Politiker, so Hoffmann, müssten endlich dafür sorgen, dass bereits in der Schule ästhetische Erziehung und musische Bildung auf dem Curriculum erschienen. Später sei es schwer, das nachzuholen, was in der Schule versäumt wurde.
Über die fremdenfeindlichen Übergriffe wie zuletzt im sächsischen Heidenau sagte der Kulturpolitiker, der heute 90 Jahre alt wird:
"Das bedeutet, dass es da wahrscheinlich keine kulturellen Institutionen gibt, die die Menschen aufgeklärt haben."
Mit Blick auf die schwierige Situation von Flüchtlingen und deren mangelnde Sprachkenntnisse sieht Hoffmann auch das Goethe-Institut in der Pflicht: Es wäre gut, "wenn das Goethe-Institut sich entscheiden könnte, sich in diesen Ländern, wo Krieg herrscht, Kurse anzubieten für Leute, die auswandern wollen - und zwar zu einem Preis, den sie bezahlen können".

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Sie lesen sich ein bisschen wie die Kulturgeschichte der Bundesrepublik: die Lebensstationen des Kulturpolitikers Hilmar Hoffmann. Und wer meint, er wisse schon, was dieser Mann so alles gemacht habe – tja, weit gefehlt.Klar, die meisten haben ihn noch als langjährigen Goethe-Instituts-Präsidenten in Erinnerung, und diese größte Mittlerorganisation für deutsche Sprache und Kultur, die hat ihm auch sehr inbrünstig gratuliert, denn Hilmar Hoffmann wird heute 90 Jahre alt, und wir gratulieren ihm auch von ganzem Herzen, haben aber, um die Feier nicht zu stören, vor der Sendung mit Hilmar Hoffmann gesprochen. Schönen guten Tag!Hilmar Hoffmann: Guten Tag!von Billerbeck: Ohne Sie, Herr Hoffmann, gäbe es vieles nicht. Nicht das Museumsufer in Frankfurt am Main, denn dort waren Sie Kulturdezernent und Stadtrat. Und Sie waren auch mal eben der jüngste Direktor einer Volkshochschule der Bundesrepublik. Und Sie haben auch gelehrt an vielen Orten, von Ramallah über Dresden bis Taschkent.Und wenn man Ihr Tun unter ein Motto stellen sollte, dann könnte man sich bedienen bei einem Buchtitel eines Buches, das Sie geschrieben haben: "Kultur für alle" hieß das. Und wenn Sie Bilanz ziehen, Herr Hoffmann, und mit 90 darf man das ja wohl, dann ist dieses "Kultur für alle" wohl immer noch Ihr großer Traum?Hoffmann: Na ja, das ist sozusagen ein "work in Progress", das muss lebenslang betrieben werden. Aber diese Utopie wird sich nie ganz verwirklichen lassen, weil eben doch wenige Menschen das Glück hatten, Abitur zu machen, und in der Schule gelernt haben, die Gesetze der Wahrnehmung oder der ästhetischen Erziehung dann beherzigen können, und das, was ihnen die Museen anbieten, als persönliche Bereicherung davontragen könnten.von Billerbeck: Aber mal abgesehen davon, dass viele diese Möglichkeiten gar nicht mehr haben – wenn wir alle nicht mehr auf dieser Erde weilen, dann bleibt, abgesehen von unseren Untaten, Atommüll und Zerstörung, auch etwas übrig, für das manchmal sehr bitter gekämpft werden muss, nämlich Kultur, Literatur, Musik, Bilder, Skulpturen – Kunst eben, oder Schönheit könnte man auch sagen.Hoffmann: Sie sagen es.In der Schule müsste ästhetische Erziehung auf dem Curriculum erscheinenvon Billerbeck: Muss man den heutigen Politikern das immer wieder klar machen, wenn die in ihren Sparzwängen eben immer gerne den Finger an die Kultur legen wollen?Hoffmann: Was die Politiker endlich machen müssten, dass in der Schule schon ästhetische Erziehung und musische Bildung auf dem Curriculum erscheint, denn später ist es schwer, über Volkshochschulkurse das nachzuholen, was Sie in der Schule versäumt haben.von Billerbeck: Warum ist das so schwierig, das klar zu machen? Das weiß doch eigentlich jemand, das ist doch eine Banalität.Hoffmann: Ja, hier hatte ja Roland Koch mich beauftragt, eine hessische Kulturkommission zu beauftragen, die Vorschläge dazu machen. Das haben wir gemacht, zwei Jahre lang. Es ist ein dickes Konvolut geworden, liegt in der Schublade und bleibt vergessen.von Billerbeck: Das ist kein optimistischer Ausblick, den Sie da liefern. Ich habe gerade neulich, ich glaube, in Thüringen gehört, dass bestimmte Dinge wie zum Beispiel das Theater, das früher ganz selbstverständlich dazu gehörte, heute eben gar nicht mehr den Stellenwert hat, sondern dass eben auch jüngere Politiker da Theater versus Buddelsand berechnen, und dass auch so eine Institution wie ein Theater dann gerne mal zur Disposition gestellt wird.Hoffmann: Na ja, das wurde ja nicht nur zur Disposition gestellt, sondern viele Theater in kleineren Städten sind ja geschlossen worden, und da hat sich auch außer vielleicht in der jeweiligen Stadt keiner drüber aufgeregt. In der Mentalität von Sparkommissaren ist auch der Wahlkampf nicht mehr auf Kultur eingestellt, sondern auf soziale Sachen, also Wohnungsbau und so weiter. Aber das nützt ja nichts, damit ein Mensch ein gutes Leben führen kann. Das kann er nur, wenn er aus den Töpfen der Kultur seine Nahrung beziehen kann und will. Aber das muss er gelernt haben.Theater können ihre Spitzenkräfte nicht mehr bezahlenvon Billerbeck: Und das müssen Politiker auch gelernt haben, denn wenn die Lage mies ist und die Krisen groß sind, dann fällt ja oft das Argument, dass Arbeitsplätze eben wichtiger sind als Kultur. Darf das gegeneinander abgewogen werden?Hoffmann: Nein. Die Arbeitsplätze sind ja auch in der Kultur. Das ist ja kein Argument. Das Argument ist hier zum Beispiel in Frankfurt, dass man dann drei Millionen beim Theater einfach streichen will, um die Tariferhöhungen aufzufangen. Aber drei Millionen bei einem Theater bedeutet, dass also die Spitzenkräfte nicht mehr bezahlbar sind. Und das sind die, die die Leute ins Theater holen.von Billerbeck: Dass man selbst in aussichtsloser Lage anders entscheiden kann, daran hat mich gerade ein Buch erinnert, das Daniil Granin geschrieben hat, das ist ja fast ein Altersgenosse von Ihnen, sein Buch "Mein Leutnant", und darin hat er also viel aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt und auch über das völlig zerstörte Leningrad erzählt, in dem die Überlebenden der Blockade in Erdlöchern hockten, hungerten und froren und dennoch beschlossen wurde, die Prachtpaläste der Zaren wieder aufzubauen. Ist dieses Denken, wie wichtig Kunst ist, Ihrer Ansicht nach ausreichend unter denen verbreitet, die heute die Entscheidungen treffen, ob das Geld hierhin oder dorthin geht?Hoffmann: Nein. Nein, nein. Sie haben völlig recht. Es braucht Einzelkämpfer. Wir hatten ja hier in Frankfurt auch die Frage, wird die Alte Oper wieder aufgebaut oder nicht. Und bis ich kam, war die SPD-Fraktion die Mehrheitsfraktion im Parlament, und die haben jedes Jahr wieder drüber diskutiert und sind immer zu der Entscheidung gekommen, die Oper nicht wieder aufzubauen. Das habe ich gleich im ersten Jahr geändert, und die Alte Oper steht wieder. Weil wenn man es wirklich will, muss man natürlich Kombattanten finden, um im Parlament solche Entscheidungen durchzusetzen. Das Goethe-Institut sollte Sprachkurse für Auswanderungswillige anbieten von Billerbeck: Nun waren Sie ja nicht bloß Kulturdezernent und Stadtrat in Frankfurt, sondern viele haben Sie vor allem als Goethe-Instituts-Präsident in Erinnerung, und da waren Sie ja, man könnte sagen, der oberste Vermittler deutscher Sprache und Kultur. Nun ist ja Deutschland ein Land, das derzeit Hunderttausende Flüchtlinge anzieht, die aber auch erleben, wie es immer wieder zu rassistischen Übergriffen auf sie kommt. Sie haben unterrichtet an vielen Orten – wie geht Ihnen das, wenn gerade in Dresden da Pegida demonstriert oder auch, wie jetzt in Heidenau, blanker Hass vor Flüchtlingsheimen ausgelebt wird? Hoffmann: Das bedeutet, dass es da wahrscheinlich keine kulturellen Institutionen gibt, die die Menschen aufgeklärt haben, also die Aufklärung der Französischen Revolution ist ja auch ein "work in Progress". Da kann ich aber gar keine Ratschläge geben, wie das zu ändern ist. Aber, weil Sie vom Goethe-Institut sprechen, wäre es gut, wenn das Goethe-Institut sich entscheiden könnte, in diesen Ländern, wo Krieg herrscht, Kurse anzubieten für Leute, die auswandern wollen, und zwar zu einem Preis, den sie also bezahlen können.von Billerbeck: Sprachkurse meinen Sie?Hoffmann: Sprachkurse, ja.von Billerbeck: Hilmar Hoffmann war mein Gesprächspartner, der Kulturpolitiker und einstige Präsident des Goethe-Instituts. Heute feiert er seinen Neunzigsten. Wir gratulieren und danken für das Gespräch, das wir natürlich vor der Sendung aufgezeichnet haben, damit er heute feiern kann. Danke Ihnen, und alles Gute, Herr Hoffmann!Hoffmann: Ich danke Ihnen vielmals! Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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