9/11 auf dem Prüfstand

07.09.2011
In den USA werden sie "Truther" genannt: Menschen aller Schichten, die mit oder ohne Kompetenz die offizielle 9/11-Version anzweifeln und nach dem wahren Tathergang suchen. Einige glauben an die stillschweigende, andere an die aktive Beteiligung amerikanischer Regierungs- und Geheimdienstkreise, weshalb "Lihop"- von "Mihop"-Theorien unterschieden werden ("Let it / Make it happen on purpose").
Die meisten großen Medien zumal in Deutschland unterstellen aber selbst den Fachleuten unter den "Truthern" schiere Verblendung; ihre Ideen firmieren als klassische Verschwörungstheorien.

In "11.9. Zehn Jahre danach" drehen Bröckers und Walther, gestützt auf Truther-Recherchen, den Spieß um. Sie diffamieren die "große Erzählung von Osama und den 19 Hijackern" samt dem amtlichen "Commission Report" als die eigentliche Verschwörungstheorie. In 38 knappen Kapiteln wird die offizielle 9/11-Version zerpflückt, auf Widersprüche abgeklopft, mit Gegen-Expertisen konfrontiert, bisweilen auch lächerlich gemacht. Am Ende jedes Kapitels werden Zeugen zu einem (fiktiven) Prozess vorgeladen, um der Wahrheitsfindung zu dienen.

Relativ bekannte Komplexe kommen zur Sprache. So der umrätselte Einsturz von WTC-Gebäude 7; die Distanzierung Bin Ladens von den Angriffen; die verblüffende Unfähigkeit der US-Luftwaffe am Tag des Terrors; das Auftauchen höchst erwünschter Terroristen-Testamente. Andere Aspekte sind weniger bekannt. Etwa, dass sich an Bord der entführten Flugzeuge Fernsteuerungsexperten der Rüstungsfirma Raytheon befanden; oder dass 2001 Militärübungen außerplanmäßig auf den 11. September vorverlegt wurden ("Ist das echt oder Teil der Übung?", fragten deshalb Militärs, als sie handeln sollten).

Jeder Leser tut gut daran, "11.9." zunächst ohne den Beistand anderer Literatur und am besten am Stück zu lesen. Der Sog wirkt dann am stärksten. Man wird hinabgezogen in den Zweifel. Sind die Unstimmigkeiten im Commission Report nicht wirklich riesig? Hat die US-Regierung nicht immerzu das Blaue vom Himmel erzählt, etwa, als sie Verbindungen zwischen Osama und Saddam konstruierte? Hatten nicht die Neocons Afghanistan- und Irak-Krieg längst geplant und sich ein "neues Pearl Harbour" gewünscht, damit alle mitziehen? Bröckers und Walther schreiben am packendsten dort, wo sie dem Sarkasmus frönen. Sie beanspruchen nicht die Wahrheit, behaupten jedoch: "Wir kennen die Lügen über den 11. September und wir wissen, wer sie in die Welt gesetzt hat." Nämlich die Bush-Administration samt Helfershelfern (eventuell gesteuert vom Mossad).

Am Ende stellen Bröckers und Walther ihre Geistesverwandtschaft mit Kopernikus und Galileo - nicht die Sonne kreist um die Erde... - allzu kokett heraus. Ihr Anti-Amerikanismus wird sinister, ihre Verdammung der "Mainstream-Medien" unkontrolliert. Trotzdem ist 11.9. als Konzentrat dessen, was irgendwie gegen die Standarderzählung spricht, lesenswert. In Fußnoten und Literaturverzeichnis tauchen konsequenterweise nur Parteigänger auf. Bevor man indessen auf ihre Seite wechselt, sähe man gern Beweise. Tatsächlich stillen Bröckers und Walther die Lust an der Konspiration, nicht aber spröde Erkenntnislust.

Andererseits: Unglaubwürdiger als die Cheneys und Bushs dieser Welt sind die Truther auch nicht. Das ist das größere Dilemma.


Besprochen von Arno Orzessek

Mathias Bröckers und Christian C. Walther:
11.9. - zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes
Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2011
Broschur; 320 Seiten; 16,99 Euro


Sammelportal 9/11 - Zehn Jahre danach