80 Jahre Christo

"Wir lieben unsere Kunst, weil wir unsere Freiheit genießen"

Der Künstler Christo, aufgenommen am 11.2.2009 während einer Pressekonferenz in Lausanne in der Schweiz
Der Künstler Christo bereitet zurzeit in Italien sein nächstes Projekt vor: eine riesige schwimmende Brücke. © picture-alliance / dpa / Dominic Favre
Der Künstler Christo im Gespräch mit Vladimir Balzer · 13.06.2015
Er werde Jeanne Claude immer vermissen, sagt Christo an seinem 80. Geburtstag, besonders ihren kritischen Geist. Als Werk der Freiheit bezeichnet er die gemeinsame Arbeit, von der der Künstler noch immer in der Wir-Form spricht - auch bei aktuellen Projekten.
Vladimir Balzer: Wie haben Sie heute gefeiert?
Christo: Ich denke nie an meine Geburtstage ... Jeanne Claude hat immer gesagt: unsere Projekte sind unsere Art zu feiern.
Balzer: Ich erreiche Sie gerade am Mobiltelefon am Iseo-See in Italien, nicht weit von Bergamo. Ihr nächstes großes Projekt. Nächstes Jahr fertig – jetzt beginnt die Arbeit: eine über drei Kilometer lange schwimmende Brücke über den See. Sie führt auf eine Insel. Was war diesmal die größte technische Herausforderung?
"Wir machen Dinge nie noch einmal"
Christo: Diese schwimmende Brücke besteht aus 200.000 Polyester-Kuben, hergestellt werden sie rund um die Uhr. Und dann müssen wir dafür 170 Anker werfen, 90 Meter tief! Aber, wenn man nächstes Jahr drauf laufen wird, dann wird man das Gewicht des Wassers direkt an den Füßen spüren.
Balzer: Wir Deutschen verdanken Ihnen den verhüllten Reichstag – vor 20 Jahren hat dieses Werk die ganze Republik beschäftigt. Sie haben das Reichstagsgebäude erst richtig sichtbar gemacht. Sie haben es verwandelt und damit auch die Hauptstadt des vereinigten Deutschlands ganz neu wirken lassen. Jetzt gibt es eine neue Herausforderung für Sie. Das Schloss wird wieder aufgebaut. Der Rohbau ist fertig. Wie wäre es damit? Wollen Sie nicht das Schloss verhüllen?
Christo: Wir machen Dinge nie noch einmal. Es wird nie wieder ein verhülltes Gebäude geben, nie wieder umhüllte Inseln im Meer, nie wieder Tore wie im Central Park. Diese Projekte waren einmalig! Das Aufregende war doch, dass wir nicht wussten, wie es ging. Jetzt wissen wir es und machen was anderes.
Balzer: Warum nehmen Sie eigentlich nie staatliche Gelder an? Andere Künstler haben damit weniger Probleme.
"Unsere Werke sind Werke der Freiheit"
Christo: Ich bin in Bulgarien geboren, ein Land hinter dem Eisernen Vorhang: meine Mutter aus Mazedonien, mein Vater halber Tscheche. Ich bin alleine in den Westen geflohen, nach Wien, Schweiz, Paris 1958. Ich gebe keinen Millimeter meiner Freiheit an niemanden. Unsere Werke sind Werke der Freiheit. Niemand kann sie kaufen, der Eintritt ist frei! Deswegen lieben wir unsere Kunst, weil wir unsere Freiheit genießen.
Balzer: Aber so dauern Ihre Projekte auch länger ... Jahrzehnte!
Christo: Der Prozess ist wichtig! Es ist eine Reise von den Ideen zu den Objekten. Darauf kommt es an. Wir treffen dabei die verschiedensten Leute: japanische Reisfarmer, deutsche Politiker, Rangers in California. Alles normale Leute! Vielen Künstlern bleibt das verwehrt.
Balzer: Noch mal zurück zum verhüllten Reichstag vor 20 Jahren. Sie mussten damals massive Widerstände überwinden. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?
"Kohl hat die Reichstagsverhüllung noch wichtiger gemacht"
Christo: Selten genug, dass ein Kunstwerk in einer Parlamentsdebatte diskutiert wird. Die Erlaubnis hätte damals sehr einfach von der Präsidentin erteilt werden können, aber der Kanzler Kohl bestand auf einer Abstimmung. Kohl wurde Teil des Spiels! Er hat die Reichstagsverhüllung noch wichtiger gemacht.
Balzer: Vor sechs Jahren ist Ihre Partnerin Jeanne Claude gestorben. Wie hat sich ihre Kunst seit dem verändert?
Christo: Ja, das ist schwer. Ich werde nie drüber wegkommen. Ihr Neffe und mein Neffe haben für sie gearbeitet, Vladimir und Jonathan. Und jetzt arbeiten sie für mich. Manchmal gehe ich zu ihnen und frage, was Jeanne Claude jetzt denken würde.
Balzer: Sie ist auf eine gewisse Weise noch da. Man merkt das auch, weil sie immer von "wir" sprechen, auch wenn es um aktuelle Projekte geht. Sie war Ihre künstlerische Partnerin. Aber als Mensch – da fehlt Sie ihnen doch auch?
Christo: Ich werde sie mein ganzes Leben lang vermissen. Mir fehlt ihr kritischer Geist. Manchmal haben wir uns angeschrien und gedroht uns gegenseitig umzubringen! So etwas war so wichtig für mich und das fehlt.
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