75. Todestag von Oskar Schlemmer

Visionär eines neuen Menschen

Das Gemälde "Bauhaustreppe" (1932) in der Ausstellung "Oskar Schlemmer - Visionen einer neuen Welt" in der Stuttgarter Staatsgalerie
Oskar Schlemmers Gemälde "Bauhaustreppe" (1932) gilt heute als Ikone der Moderne. © picture alliance / dpa /Bernd Weißbrod
Von Anette Schneider · 13.04.2018
Oskar Schlemmer malte, zeichnete, entwarf Bühnenbilder und begeisterte sich für experimentelles Theater ebenso wie für Nonsens-Aufführungen. Kunst solle eine Weltanschauung vermitteln, darüber dachte der Bauhaus-Künstler schon während des Ersten Weltkriegs nach.
Abstrahierte Figuren schreiten durch lichte Räume, stehen vor großen Fensterfronten, sitzen an Tischen. Mit solchen "Visionen vom neuen Menschen" wurde Oskar Schlemmer in den 1920er-Jahren bekannt. In Gemälden, Wandbildern und Zeichnungen brachte er seine Ideen zur Meisterschaft. Um sie gerungen hatte er aber schon viel früher, so Ina Conzen, die 2014 in Stuttgart eine große Retrospektive des Künstlers kuratierte.
"Oskar Schlemmer hat schon während des Ersten Weltkrieges darüber nachgedacht, dass die Kunst eine besondere Vision haben sollte, dass sie Weltanschauung vermitteln sollte. Und daran hat er festgehalten bis zum Ende seines Lebens. Und er hat sich damit nach dem Krieg im Grunde eingeklinkt in eine ganze Künstlergeneration, die davon träumte, dass man dem Chaos des Ersten Weltkrieges eine harmonische Gegenwelt schaffen sollte."
1888 in Stuttgart geboren, hatte Schlemmer an der dortigen Akademie studiert. 1920 folgte er dem Ruf von Walter Gropius an das Bauhaus in Weimar. Nach der Novemberrevolution sollte dort eine radikal neue Lehranstalt entstehen, die die Trennung zwischen geistiger und praktischer Arbeit aufhob. Künstler wie Schlemmer, Lyonel Feininger, Paul Klee oder Wassiliy Kandinsky entwickelten hier als so genannte "Werkmeister" - etwa für Architektur, Design oder Kunst - die ästhetischen Grundlagen für eine neue Gesellschaft.
In dieser Atmosphäre wurden Schlemmers anfänglich flache Figuren-Kompositionen immer räumlicher.

Von allem Überflüssigen gereinigt

"Einfach durch den Gedanken: Dass dieser neue Mensch, auch eine besondere Lebenswelt braucht, eine besondere Architektur. Das war dann im Bauhaus diese lichte Architektur, die von allem Überflüssigen gereinigt ist."
Und dann entließ der Künstler seine Figuren von der Leinwand in den realen Raum!
"Bühne! Musik! Meine Leidenschaft! ... Der Phantasie freie Bahn. Hier kann ich neu sein, abstrakt, alles!"
Notierte Schlemmer 1925. Er reiste mit dem "Triadischen Ballett" durch Deutschland, in dem drei Tänzer verkleidet als Kegel, Kugel und Pyramide auftraten, und für das ihm Paul Hindemith die Musik geschrieben hatte.
Die Figuren "Triadisches Ballett" in der Werkschau von Oskar Schlemmer in der Staatsgalerie in Stuttgart.
Die Figuren "Triadisches Ballett" in der Werkschau von Oskar Schlemmer in der Staatsgalerie in Stuttgart. © picture alliance / dpa / Foto: Bernd Weißbrod
Er entwickelte absurde Pantomimen, humoristische Sketche und Bauhaus-Feste, wie das vom Februar 1929 in Dessau:
"Verrücktes Fest mit Glocken und Schellen und alles und jeder metallisch verkleidet. ... Auf der Bühne wurde mit eherner Zunge Blech geredet."

"Menschen der Zukunft" im "Bau der Zukunft"

Im Sommer 1932 - Schlemmer lehrte mittlerweile in Berlin - beschlossen die Dessauer Nationalsozialisten das Ende des Bauhauses. Als Reaktion entstand "Die Bauhaustreppe", Schlemmers wohl berühmtestes Bild. In ihm setzt er der Lehranstalt ein Denkmal, zeigt den "Menschen der Zukunft" im "Bau der Zukunft": Als Hintergrund wählte er eine für die Bauhausarchitektur typische, große Fensterfassade, durch die Licht strömt. Davor steigen mehrere Figuren eine Treppe hinauf, eine schwebt sie hinunter. Ina Conzen:
"Schlemmer positioniert sich eben auch als Künstler mit diesem Meisterwerk. Es ist sein letztes großes Bild, im September 1932 gemalt. Er hat in diesem Format einfach auch nicht mehr gearbeitet."

Oskar Schlemmer: "Die Depressionen halten an"

Wenige Monate später entließen die Nationalsozialisten Oskar Schlemmer und Kollegen wie Karl Hofer und Ludwig Gies als "destruktive, marxistisch-jüdische Elemente" aus ihren Professuren. Schlemmer galt als "verfemt" - und bot sich Goebbels dennoch als Künstler für das "neue System" an. Mit Gelegenheitsarbeiten hielt er sich über Wasser. Dann wurde er krank. Im Dezember 1940 notierte er:
"Die Depressionen halten an. Wenn eines, so hätte ich 1933 verschwinden sollen, ins Ausland, anstatt eben doch das unwürdige Schauspiel des Verkaufs seiner Seele um ein paar Silberlinge zu geben. Werde ich dieses nagenden Gefühls jemals Herr werden?"
Am 13. April 1943 starb Oskar Schlemmer im Alter von 54 Jahren in Baden-Baden. Da hing seine berühmte Bauhaustreppe schon seit zehn Jahren im New Yorker Museum of Modern Art. Das hatte im März 1933 das Gemälde aus einer kurz zuvor von den Nationalsozialisten geschlossenen Ausstellung in Stuttgart gekauft - und so vor dem Zugriff der Faschisten gerettet.
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