70. Jahrestag der indisch-pakistanischen Teilung

Der ewige Bruderkrieg

Grenzpolizei in der Kaschmir-Region in Ramgarh. Der Zaun trennt das durch Indien kontrollierte vom pakistanisch kontrollierten Kaschmir.
70 Jahre sind Indien und Pakistan geteilt: Grenzpolizei in der Kaschmir-Region in Ramgarh. © dpa / AFP/epa
Von Jürgen Webermann und Silke Diettrich · 14.08.2017
Nachdem die Briten sich aus Indien zurückzogen, kam es zu Mord, Flucht, Krieg - und schließlich zur Teilung von Indien und Pakistan. Auch 70 Jahre nach der Unabhängigkeit Indiens gibt es also kaum Grund zu feiern. Hindus und Moslems stehen sich weiterhin feindselig gegenüber.
Es ist ein bizarres Schauspiel, jeden Abend, kurz vor Sonnenuntergang.
Der Grenzübergang Wagah verwandelt sich in eine Arena. Auf beiden Seiten stehen Tribünen, sie sind voll besetzt. Es ist ein Volksfest zwischen Stacheldrähten, Grenztürmen, Flutlichtmasten und Maschinengewehren.
"Pakistan Zindabad!" - Lang lebe Pakistan, rufen hunderte Pakistaner auf ihrer Seite. Grenzschützer marschieren in schwarzen Paradeuniformen. Sie tragen Hüte, die an den Federbusch eines Pfaus erinnern. Sie rennen geradezu auf das grün-weiß gestrichene Grenztor zu. Angefeuert vom Takt der Trommeln.

Der einzige Grenzübergang zwischen Pakistan und Indien

Jeder Schritt, jede Sekunde dieser Zeremonie ist mit den Indern abgestimmt. Auf der anderen, der indischen Seite, sind die Uniformen zwar beigefarben, aber ebenso pfauenähnlich. Hier rufen sie "Hindustan Zindabad!" - Lang lebe das Land der Hindus! Zeitgleich öffnen die Pfauensoldaten symbolisch die Tore. Für einen Moment stehen sich die Grenzer gegenüber, Brust raus, das Kinn hoch gestreckt.
Jeden Tag verwandelt sich der Grenzübergang Wagah Border in eine Arena
Jeden Tag verwandelt sich der Grenzübergang Wagah Border in eine Arena© ARD Studio Neu Delhi
In Wagah, zwischen dem indischen Amritsar und dem pakistanischen Lahore gelegen, wird die Teilung des indischen Subkontinents jeden Tag aufs Neue zelebriert. Wagah ist der einzige Grenzübergang zwischen Pakistan und Indien. Wer die Grenze überqueren will, läuft zu Fuß durch die tagsüber leeren Arenen. Bewaffnete Soldaten beobachten argwöhnisch jeden Schritt. Einem "Namaste" – Guten Tag auf Hindi – für den letzten indischen Soldaten direkt an der weiß gestrichenen Grenzlinie folgt das "Salaam Aleikum" für den ersten pakistanischen Soldaten direkt dahinter. Ein großes Bild von Mahatma Gandhi ziert die indische Seite, ein Bild des Staatsgründers Jinnah die pakistanische.

Als Großbritannien pleite war, hat es Indien aufgegeben

Tea Time in Islamabad, der pakistanischen Hauptstadt. Muhammad Akram Khan bittet um Entschuldigung. Es könne sein, dass das Gedächtnis ihm Streiche spiele, sagt er. Dann atmet er kurz tief durch, nippt an seinem Tee, schließt die Augen und erinnert sich.
"Ich wurde 1941 in einem kleinen Dorf in der Nähe des Flusses Beas geboren, es hieß Gadriwal. Das liegt heute in Indien. Ich kann mich noch gut an die Kindheit dort erinnern. Ich habe im Fluss Schwimmen gelernt. Nur im Monsun war der Strom zu reißend. Sonst konnten wir immer dort schwimmen."
Der pensionierte Armee-Offizier Akram Khan musste als Kind seine Heimat verlassen, später war er in sämtlichen Kriegen gegen Indien dabei
Der pensionierte Armee-Offizier Akram Khan musste als Kind seine Heimat verlassen, später war er in sämtlichen Kriegen gegen Indien dabei© ARD Studio Neu Delhi
Gadriwal war damals ein friedlicher Weiler. Sechs Jahre lang lebte Akram Khan dort. Seine Nachbarn waren überwiegend Muslime. Aber das sei damals egal gewesen, sagt Khan - bis die Weltpolitik auch Gadriwal erreichte.
"Im Sommer 1947 waren wir im Dorf. Es waren Ferien. Mein Vater war Lehrer. Dann erfuhren wir, dass das Dorf von Hindus angegriffen werden soll. Wir mussten flüchten. Wir sind nachts über den Fluss, in Booten. Tagsüber haben wir uns aus Angst vor den Hindus in den Feldern versteckt. Drei Nächte lang waren wir unterwegs, bis wir die Hauptstraße nach Lahore erreichten. Dort waren riesige Menschenmassen unterwegs."
Im Punjab, Akram Khans Heimat, war in jenem Sommer 1947 die öffentliche Ordnung zusammen gebrochen. Jahrzehntelang hatten die Menschen in Britisch-Indien für ihre Unabhängigkeit gekämpft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Kolonialmacht Großbritannien pleite. Sie entschloss sich, das Vizekönigreich Indien aufzugeben. Die Anführer der Muslim-Liga, Muhammad Ali Jinnah, und der Chef der indischen Kongresspartei, Jawaharlal Nehru, hatten sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auf ein einheitliches Staatsgebilde einigen können. Die Hindus waren in Britisch-Indien in der Überzahl. Jinnah befürchtete, dass die Muslime in einem gemeinsamen Staat politisch keine Chance hätten. Der britische Vizekönig Lord Mountbatten stimmte Jinnahs Forderung nach einer Aufteilung zu. Die Federstriche auf der Landkarte zog ein britischer Jurist, Sir Cyril Radcliffe. Radcliffe hatte keine Ahnung von Indien. Aber er hatte eine einfache Idee: Bezirke mit muslimischer Mehrheit sollten zu Pakistan, der Rest zu Indien gehören. Gemischte Gebiete wurden einfach geteilt, so auch das ehemalige Königreich Punjab.

"Die Leiche meines Vaters haben sie in den Fluss geworfen"

Millionen Menschen entschlossen sich nach der Bekanntgabe der neuen Grenzen innerhalb weniger Stunden zur Flucht. Gurbhajan Kaur stammt aus einer wohlhabenden Sikh-Familie. Sie lebte in dem Teil des Punjab, der zu Pakistan gehören sollte. Gurbhajan war damals, 1947, neun Jahre alt:
"In dieser Nacht heulten auf einmal die Sirenen. Leute haben gerufen: Ihr müsst weg, ihr müsst weg! Wir hatten ein riesiges Haus und haben versucht, alles, was wir besessen haben, auf Holzkarren zu packen. Mein Vater ist zu den Ställen gegangen, um die Tiere zu holen. Dort haben sie ihn umgebracht. Seine Leiche haben sie einfach in den Fluss geworfen."
Unsere eigenen Verwandten hätten uns umgebracht, wenn uns die Muslime zu nahe gekommen wären, erzählt Gurbhajan Kaur
Unsere eigenen Verwandten hätten uns umgebracht, wenn uns die Muslime zu nahe gekommen wären, erzählt Gurbhajan Kaur© ARD Studio Neu Delhi
Gurbhajan starrt auf den Wohnzimmertisch und knetet ihre knöchernen Hände. Ihre Enkel sitzen um sie herum, die wollen ihre Geschichten sonst nie hören, sagt die 79-Jährige. Bis heute könne sie sich vor allem noch an ihr Gefühl von damals erinnern: die nackte Angst, die sie die gesamte Flucht über begleitet hat:
"Wir waren völlig verstört. Vor allem wir Mädchen haben uns sehr gefürchtet. Die Männer in unserem Treck hatten Dolche unter dem Tierfutter versteckt."
Die Waffen dienten nicht nur dazu, sich gegen Muslime zu verteidigen.
"Wenn unsere Männer Gefahr gewittert hätten, hätten sie uns Mädchen mit den Dolchen umgebracht."
Anderswo warfen Väter ihre eigenen Töchter in Brunnen. Keine Frau sollte den Feinden in die Hände gelangen. Dennoch wurden viele entführt oder vergewaltigt, Musliminnen von Hindus und Hindufrauen von Muslimen. Tagelang lief die neunjährige Gurbhajan mit ihrer Familie durch den Schlamm in Richtung Indien. Der Monsunregen prasselte auf die Flüchtlinge herab. Zeitungen aus dem Jahr 1947 berichten, dass es Mitte August ohne Unterbrechung 60 Stunden lang geregnet hatte. Unzählige Karawanen schleppten sich über Feldwege, Bahngleise und Straßen über die neue Grenze. Tausende Kinder und alte Menschen starben vor Erschöpfung am Wegesrand.
Sardar Waryam Singh sitzt auf einer Pritsche vor seinem Bauernhof. Um seinen Kopf hat er einen karierten Turban gebunden. Singh gehört zur Religionsgruppe der Sikhs. Auch er musste ins heutige Indien fliehen, wie Gurbhajan Kaur.
Sardar Singh erinnert sich an Hunde, die Leichen gegessen haben
Sardar Singh erinnert sich an Hunde, die Leichen gegessen haben© ARD Studio Neu Delhi
Heute ist Singh 82 Jahre alt. Grauer, langer Bart, tiefe Falten auf der Stirn. Aber seine Erinnerungen an die Flucht sind noch jung geblieben.
"Viele Menschen sind vor meinen Augen umgebracht worden. Sie haben die Kehlen der Menschen durchgeschlitzt. Ich habe alle die Leichen auf den Straßen liegen sehen. Meine Welt war plötzlich zertrümmert. In den Dörfern, durch die wir durchgelaufen sind, lagen überall Knochen. Ich habe Hunde gesehen, die tote Menschen gegessen haben."
Der berühmt gewordene, friedliche Freiheitskampf Mahatma Gandhis endete in Chaos und Gewalt. Mehr als eine Million Menschen starben. Bis zu 20 Millionen verließen ihre Häuser. Diejenigen, die ihre neue Heimat Pakistan oder Indien erreichten, standen vor dem Nichts.

Pakistans schwerste Stunde: der Verlust von Bangladesch

Beraubt. Beschossen. Begraben. Gurbhajan Kaur war in eine reiche Familie hinein geboren worden. Ihre wertvollsten Schätze lagen auf Holzkarren, die sich auf der Flucht überschlugen oder im Schlamm stecken blieben. Als sie mit ihrer Familie in der Nähe von Amritsar auf der indischen Seite ankam, besaß sie nur noch das, was sie am Leib trug:
"Ein Onkel hat uns erst einmal auf seinem Hof aufgenommen. Später hat uns die indische Regierung ein Stück Land hier im Punjab zugeteilt, das war sogar noch größer als das, was wir in Pakistan besessen hatten."
Tagelang sind Menschenkolonnen durch diese Felder gestapft, vor genau 70 Jahren
Tagelang sind Menschenkolonnen durch diese Felder gestapft, vor genau 70 Jahren© ARD Studio Neu Delhi
Akram Khan ahnte 1947 noch nicht, dass die Flucht aus seinem Heimatdort nicht das einzige Abenteuer bleiben sollte. Seine Geschichte ist eng verbunden mit den Folgen der Teilung, mit dem Trauma – und der ewigen Feindschaft zwischen Indien und Pakistan, die bis heute andauert.
Khan erzählt von seinem Einsatz 1965 in Sialkot an der Grenze zu Indien. Damals brach ein Krieg zwischen beiden Staaten aus. Khan war ein einfacher Soldat in der pakistanischen Armee, der indische Panzer abschießen sollte.
"Aber in Wahrheit haben wir nur versucht, zu überleben. Wir haben uns tagsüber fast nur versteckt, und als es dunkel war, sind wir weggerannt. Ich war dreimal im Feld. Ich glaube, ich habe keinen einzigen Panzer erwischt."
Der Krieg endete ohne einen Sieger. Aber er vertiefte die Gräben zwischen Indern und Pakistanern. Nach 1965 errichteten beide Staaten Stacheldrahtzäune an der gemeinsamen Grenze. Akram Khan stieg in der Armee auf - und erlebte 1971 Pakistans wohl schwerste Stunde: den Verlust des heutigen Bangladesch. Damals hieß das Land noch Ost-Pakistan. Es lag tausend Kilometer vom restlichen Pakistan entfernt. Nirgends war die britische Grenzziehung absurder als hier. Aber in Ost-Pakistan lebten nun einmal vor allem Muslime. Die pakistanische Armee führte dennoch einen brutalen Krieg gegen das bengalische Volk, dessen Mehrheit unabhängig werden wollte. Hunderttausende Zivilisten wurden ermordet. Indien griff in den Konflikt ein. Mitten im Dschungel kämpfte Akram Khan mit seiner Einheit gegen die vorrückenden Inder – bis ihn mehrere Kugeln aus einer Maschinenpistole trafen.
"Ich bin gestürzt, habe mich versteckt und versucht, die Blutungen mit einem Tuch zu stillen. Dann wurde ich bewusstlos. Als ich wieder zu mir kam, gab mir jemand Wasser. Es war ein indischer Soldat."
Die indische Armee rettete Akram Khan das Leben. Zehn Monate lang wurde er in einem Krankenhaus südlich von Neu-Delhi gepflegt und dann in ein Gefangenenlager gebracht. Später durfte er nach Pakistan zurück kehren. Den Krieg hatte seine Armee verloren. Bangladesch hatte sich von Pakistan abgespalten.

Auch Kaschmir wurde geteilt

Mit dem Verlust von Bangladesch musste sich Pakistan abfinden. Anders ist die Lage im Kaschmirtal im Himalaya. 1947 hatte sich der Maharaja von Kaschmir, ein Hindu, entschlossen, sein Fürstentum in den indischen Staat einzugliedern. Um das zu verhindern, schickte Pakistan freiwillige Kämpfer und Soldaten. Die meisten Kaschmiris sind Muslime. Indien hielt die pakistanischen Kämpfer zwar auf. Aber das Kaschmir wurde geteilt. Statt einer Grenze gibt es eine so genannte "Line of Control".
Auch 70 Jahre nach der Teilung von Indien und Pakistan ist kein Frieden in Sicht in Kaschmir
Auch 70 Jahre nach der Teilung von Indien und Pakistan ist kein Frieden in Sicht in Kaschmir© ARD Studio Neu Delhi
Beide Staaten beanspruchen das gesamte Kaschmirtal für sich. Indien nennt den pakistanischen Teil "von Pakistan okkupiert". Pakistan nennt ihn dagegen "Azad Kaschmir", was so viel wie freies Kaschmir heißt. Regelmäßig schießen beide Seiten Granaten über die "Line of Control". Fast alle Kriege zwischen beiden Staaten entzündeten sich an der offenen Kaschmir-Frage.
Sayeeda ist wütend auf Indien. Sayeeda ist 65 Jahre alt und lebt in Srinagar im indischen Teil Kaschmirs. Sie ist pensionierte Lehrerin. Die Teilung Britisch-Indiens 1947 und auch des Kaschmirtals hat Sayeeda nicht erlebt. Dafür aber die Teilung ihrer eigenen Familie.
"Mein Onkel war damals, in den 50er-Jahren, Schüler. 1954 verschwand er auf einmal für einen Monat. Unsere Familie ging zur Polizei, sie wusste nicht, wo er war. Dann meldete er sich: aus Rawalpindi in Pakistan."
Die Grenzen in Kaschmir waren damals noch durchlässiger. Und Sayeedas Onkel wollte, wie so viele Kaschmiris, in einem muslimischen Staat leben. Pakistan hatte sich nach der Teilung zur "Heimstatt aller Muslime" ausgerufen. Sayeedas Onkel lebte sich gut ein, aber Kontakt zu den Verwandten in Srinagar konnte er zunächst nicht halten. Die Spannungen und Kriege führten dazu, dass Inder und Pakistaner kaum noch miteinander kommunizieren konnten. Erst in den 60er-Jahren erreichte Sayeedas Familie ein Brief, geschrieben vom kleinen Sohn des Onkels. Der Name des Jungen: Sayeed. Er wurde in Pakistan geboren. Als Sayeeda von dem Brief erzählt, beginnt draußen ein Imam mit dem Abendgebet.
"Als wir den Brief erhielten, weinten alle, die ganze Familie. Mein Vater küsste den Brief, wieder und wieder."
In den 80er-Jahren sah sich schließlich die ganze Familie wieder: Sayeedas Schwester Tabassum heiratete ihren Cousin Sayeed, der den Brief damals geschrieben hatte. Sie zog zur Familie des Onkels nach Pakistan. Anfangs war Sayeeda von der arrangierten Hochzeit ihrer Schwester begeistert.
"Ich konnte aus den Briefen sofort erkennen, dass Sayeed brillant war. Er arbeitete damals für die Luftfahrtbehörden. Wir gingen davon aus, dass er in England oder vielleicht sogar mal bei uns in Indien an der pakistanischen Botschaft stationiert werden könnte. Aber dann brach der Aufstand im Kaschmir aus."

Hoffnung auf Autonomie

Indien hatte den Kaschmiris stets Autonomie versprochen, aber diese Zusagen nicht eingehalten. Als dann 1987 auch noch lokale Wahlen zu Gunsten der pro-indischen Kräfte gefälscht wurden, brach ein bewaffneter Aufstand aus. Pakistan schickte gut ausgebildete "Gotteskrieger". Der pakistanische Geheimdienst baute Terrorgruppen auf, die bis heute aktiv sind. Junge indische Kaschmiris beteiligten sich am Aufstand. Indiens Armee reagierte brutal – Zehntausende verschwanden in den 90er-Jahren.
Der Konflikt um Kaschmir hat schon zu mehreren Kriegen geführt, Menschen wie hier in Srinagar sind zermürbt von den andauernden Auseinandersetzungen
Der Konflikt um Kaschmir hat schon zu mehreren Kriegen geführt, Menschen wie hier in Srinagar sind zermürbt von den andauernden Auseinandersetzungen© ARD Studio Neu Delhi
Sayeeda musste alle Briefe, alle Fotos ihrer Schwester und ihres Cousins aus Pakistan vernichten. Die indischen Soldaten hätten so gut wie jedes Haus in Srinagar durchsucht, erinnert sie sich. Und ein Brief mit pakistanischem Absender hätte das Todesurteil bedeuten können.
"Auch jede Telefonverbindung war unterbrochen. Wir hatten damals einfach keinen Kontakt mehr nach Pakistan. Es gab auch keine Briefe mehr. Das war hart. Mein Vater starb 1999. Als er schon schwer krank war, schrieb er dem indischen Präsidenten. Er schrieb: Wenn Sie ein Herz haben, erlauben Sie meiner Tochter in Pakistan, wenigstens einmal hierher zu kommen und mich zu besuchen."
Aber der indische Präsident reagierte nicht. Denn 1999 brach wieder einmal ein Krieg zwischen Indien und Pakistan aus. Sayeeda konnte ihrer Schwester nicht einmal vom Tod des Vaters berichten. Sie rief einen Verwandten in den USA an – er telefonierte dann mit der Schwester in Pakistan. Auch zur Beerdigung der Mutter im Jahr 2015 konnte Tabassum nicht ins indische Kaschmir reisen. Immerhin gab es jetzt das Internet und Whats App als Telefonersatz.
"Als meine Mutter starb, rief Tabassum immer wieder an, unter Tränen. Sie wollte ein Visum beantragen. Aber auch nach Wochen wollten sie ihr kein Visum geben. Sie weinte und weinte. Als meine Tochter heiratete, war es das Gleiche. Sie hat sechs Tage lang für ihre Familie nicht mehr gekocht, gar nichts gemacht. Sie lebt komfortabel in Pakistan, aber die Trennung ist zu viel für sie."
Sayeeda will ein unabhängiges Kaschmir und offene Grenzen zu Pakistan, damit ihre Schwester endlich wieder kommen kann. Aber darauf würde sich Indien niemals einlassen, ist sie sich sicher. Sayeeda ist zu gebrechlich, um nach Pakistan zu reisen. Die alte Dame aus Srinagar und ihre Schwester werden sich wohl so schnell nicht wieder sehen.
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Jeder Schritt, jede Sekunde der Zeremonie an der Wagah Border ist abgestimmt© ARD Studio Neu Delhi
In Wagah, dem einzigen Grenzübergang zwischen Indien und Pakistan, nähert sich die abendliche Parade dem Ende. Trompeter schmettern ihre Fanfaren, Offiziere in Pfauenkostümen brüllen in langgezogenen Tönen die Befehle. Einpeitscher sorgen auf den Tribünen für Stimmung.
Zwei Soldaten holen die Fahnen ein. Auf die Sekunde genau, völlig synchron, falten sie die Tücher ein. Zwei andere Soldaten marschieren zu den Grenztoren, dem grün-weißen auf pakistanischer Seite und dem orange-weiß-grünen auf indischer. Einen kurzen Moment lang stehen sie sich gegenüber und schauen sich in die Augen. Dann reichen sie sich die Hand, ganz kurz, ganz fest. Die Tore fliegen zu. Die Menschen verlassen das Niemandsland. Es herrscht wieder Stille, zwischen Stacheldrahtzäunen, Wachtürmen und Maschinengewehren.
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