70 Jahre Bretton Woods

"Die einzigen Nicht-Krisenjahre des Kapitalismus"

Juli 1944: John Maynard Keynes (l) während der Tagung von Bretton Woods in einem informellen Gespräch mit dem chinesischen Finanzminister H.H. Kung.
Der Ökonom John Maynard Keynes (links) bei der Konferenz von Bretton Woods 1944 im Gespräch mit dem chinesischen Finanzminister H.H. Kung © dpa/ picture alliance
Moderation: Liane von Billerbeck · 22.07.2014
Ohne das Weltwährungssystem von Bretton Woods, das vor 70 Jahren beschlossen wurde, hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg weder Wiederaufbau noch Wirtschaftswunder gegeben, meint der Ökonom Heiner Flassbeck. Und das sei vor allem einem Mann zu verdanken: John Maynard Keynes, dem "geistigen Vater" dieses Systems.
Liane von Billerbeck: Es ist 70 Jahre her, als im kleinen Örtchen Bretton Woods ein folgenschweres Abkommen unterzeichnet wurde, der Vertrag von Bretton Woods, der ein Weltwährungssystem beschloss, an den Dollar gekoppelt. Was wir heute für ein Weltwährungssystem brauchen, das frage ich den Ökonomen Heiner Flassbeck.
Er hat viele Jahre für die UNCTAD gearbeitet, die UN-Organisation für Handel und Entwicklung, und nun, seit er dort ausgeschieden ist, betreibt er flassbeck-economics, um die wissenschaftliche Basis der Volkswirtschaftslehre zu erweitern. Das wollen wir jetzt gleich mit Ihnen tun, Herr Flassbeck, ich grüße Sie!
Heiner Flassbeck: Guten Morgen!
von Billerbeck: Wir sind ja nicht alle VWLer, deshalb ein kurzer Blick noch mal zurück: Ohne Bretton Woods kein Wiederaufbau, stimmt das?
Flassbeck: Ja, da hat Herr Winkler vollkommen recht, ohne Bretton Woods hätte es den Wiederaufbau nicht gegeben. Nicht nur in Deutschland, wir verklären das immer ein bisschen in Deutschland, weil wir sagen, es gab ein deutsches Wirtschaftswunder, nein, es gab ein globales Wirtschaftswunder, das muss man zunächst mal zur Kenntnis nehmen, andere Länder sind auch sehr stark gewachsen, Frankreich, Italien, Japan, USA, selbst England ist relativ stark gewachsen.
Also, es gab ein durchaus westlich-globales Wirtschaftswunder und das hat mit Bretton Woods zu tun, mit den Regeln, die man gesetzt hat, aber auch mit der Politik, die gemacht wurde, mit der amerikanischen Politik. Denn die amerikanische Geldpolitik, also die Zinssetzung durch die amerikanische Notenbank war entscheidend für das ganze System.
Entscheidender Erfolgsfaktor: Eine "beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik"
von Billerbeck: Aber das Abkommen von Bretton Woods vereinbarte ja, dass der Dollar die Leitwährung wurde, die Weltleitwährung. Welche Vorteile hatten die USA davon?
Flassbeck: Da gibt es viele Theorien drüber, ich bin kein großer Anhänger davon, dass da die USA besonders profitiert hätten. Natürlich haben sie bis heute aber noch ein gewisses Privileg dadurch, dass der Dollar jederzeit eingetauscht werden kann, aber das gilt jetzt im heutigen Nichtsystem auch noch, dass alle Leute Dollar akzeptieren. Also, andere Länder verschulden sich in Dollar und sie akzeptieren jederzeit Dollar als Schuldwährung sozusagen. Insofern, dieses Privileg haben die USA nicht verloren, das hatten sie auch damals.
Aber das Entscheidende war nicht dieses Privileg für die Amerikaner und der Vorteil, den die Amerikaner hatten, sondern das Entscheidende war in meinen Augen ganz klar die Wirtschaftspolitik, die gemacht wurde: Es wurde eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik gemacht, die Beteiligung der Menschen am Produktivitätsfortschritt war absolut selbstverständlich und es wurden internationale Handelsungleichgewichte verhindert.
Bei dem ganzen Bretton Woods muss man immer einen wichtigen Namen erwähnen, nämlich John Maynard Keynes. Das war der geistige Vater des ganzen Systems und der hat genau diese Dinge auch im Sinn gehabt, nämlich Vermeidung von Handelsungleichgewichten und hohen Beschäftigungsstand.
von Billerbeck: Aber genau dieser Keynes hatte damals ja den sogenannten Bancor vorgeschlagen, also so eine Art Korb, der sich aus mehreren Währungen zusammensetzt. Wie sollte denn das funktionieren?
Flassbeck: Ja, das wäre vielleicht besser gewesen. Das hätte so funktioniert, wie wir es später in Europa gemacht haben, mit dem ECU, also dem Vorläufer des Euro. Man hat sozusagen eine Kunstwährung, gegenüber der die anderen Währungen gekoppelt sind und auch dann abgewertet werden können, wenn es notwendig ist, auch aufgewertet werden können, aber das sozusagen eine gemeinsame Recheneinheit bedeutet.
Nur, dann hätte man wiederum vermutlich eine stärkere internationale Organisation gebraucht, nämlich einen wirklichen internationalen Währungsfonds. Der wurde ja damals gegründet, aber einer, der tatsächlich Einfluss auf die Geldpolitik in dieser Welt nimmt. Und das wollten die Amerikaner nicht und deswegen haben sie darauf beharrt, eine Kopplung an den Dollar zu machen.
Aber das ist im Grunde keine so entscheidende Frage. Keynes hat sich in dieser Frage nicht durchgesetzt, aber in allen übrigen Fragen hat er sich sehr weitgehend durchgesetzt. Und das kann man gar nicht unterschätzen in seiner Bedeutung. Denn man muss heute sehen: Diese 20 Jahre Bretton Woods sind sozusagen die einzigen Nicht-Krisenjahre des Kapitalismus, kann man fast sagen. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, des gesamten Kapitalismus, wo man wirklich gesehen hat, zu welchen Leistungen dieses System, die Marktwirtschaft in der Lage ist, was man herausholen kann, wie viel Wohlstandsmehrung möglich ist.
Das alles wurde unter Bretton Woods erreicht, danach war das alles nicht mehr so toll, dann haben wir erst mal Abschaffung des Wachstums gehabt, dann haben wir sehr viele Krisen gehabt ... Also, Bretton Woods war schon extrem außergewöhnlich.
von Billerbeck: Und Bretton Woods war richtig die Ursache dafür, dass die ganze Zeit ein Wirtschaftswachstum stattfand und dass wir relativ krisenfrei im Westen damals gelebt haben?
Flassbeck: Das würde ich so sagen, genauso ist es, ja. Bretton Woods war dafür verantwortlich, weniger Ludwig Erhard als John Maynard Keynes war dafür verantwortlich, den ja alle für einen schrecklichen Linken halten, der immer nur Staatsschulden machen will, was völliger Unsinn ist. Aber der Punkt ist, man muss sehen: Wir haben danach ja wieder ... Manche sagen auch, es war die Aufbauphase nach dem Krieg, da musste das ja alles automatisch wachsen ... Wir haben inzwischen so viele Aufbauphasen gehabt in Ostdeutschland, in Osteuropa, wo nichts gewachsen ist, wo nichts automatisch ging!
Ja, woran liegt das? Weil wir die falsche Wirtschaftspolitik betrieben haben, weil unter Bretton Woods eine richtige Wirtschaftspolitik betrieben wurde. Wie gesagt, das Wichtigste war die beschäftigungsorientierte Gesamtwirtschaftspolitik, aber auch Geldpolitik, die Zinspolitik, und die Beteiligung der Menschen am Produktivitätsfortschritt, das war ein entscheidender Punkt, der das ganze System vorangebracht hat. Und das wurde danach alles aufgegeben, im Zuge der neoliberalen Revolution wurde das alles aufgegeben, haben wir das alles über Bord geworfen.
Und was zeigt sich: Der Kapitalismus ist extrem krisenanfällig und er kommt aus dieser Krise nicht mal mehr heraus. Er kommt ja aus dieser Krise, die 2008 angefangen hat, nicht heraus. Wir sind im Jahre fünf, sechs nach der Krise und nichts passiert! Alle reden darüber, gibt es vielleicht mal ein bisschen Aufschwung ... Und das zeigt, Bretton Woods war von einem ganz anderen Geist beseelt, und dieser Geist war sehr viel sinnvoller, er hatte sehr viel mehr Verständnis für das, was wirklich in einer Marktwirtschaft passiert, als alle Geister hinterher.
Dem geplanten Währungssystem der BRICS-Staaten fehlt eine "Philosophie"
von Billerbeck: Nun gibt es ja aber derzeit Vorschläge für ein neues Weltwährungssystem, das eben nicht mehr an den Dollar gekoppelt ist. Und die kommen von den Schwellenländern, also Brasilien, Russland, Indien, Südafrika, China. Und die haben ja schon so eine Art Mini-Währungsfonds und eine Entwicklungsbank gegründet. Das klingt doch, als wollen diese Länder den USA und dem Rest der Welt mal den dicken Daumen zeigen?
Flassbeck: Ja, wenn es so wäre, wäre es ja schön! Ich bin da ein bisschen skeptisch, denn das ist zwar ein Ansatz, der Ansatz ist richtig und wichtig, aber er geht bei Weitem nicht weit genug. Und was vor allem diese Länder nicht sehen, sie müssen im Hinblick auf die Philosophie, die hinter einem solchen System steht, eine neue Philosophie entwickeln, und das kann wieder nur eine alte sein, nämlich eine keynesianische. Und das tun sie nicht, sondern sie schaffen nur neue Institutionen.
Aber richtig ist der Gedanke! Warum? Weil wir gesehen haben, es gibt kein Weltwährungssystem, und das, was wir haben, diese floatenden Wechselkurse, funktioniert nicht, es funktionieren auch Währungsunionen zum Teil nicht, weil wir sie nicht verstehen, in Europa, das ist schrecklich, dass wir das nicht begriffen haben und sie falsch managen, schrecklich für den Rest der Welt, weil, viele Länder, Südamerika, wären gerne dem europäischen Vorbild gefolgt. Also müssen sie sich zusammenschließen, um auch eine andere Politik machen zu können.
Denn der Internationale Währungsfonds hat bisher immer nur das neoliberale Credo vertreten und überzieht die Länder mit neoliberalen Vorschriften, sobald sie in Schwierigkeiten kommen, und das wollen sie genau nicht mehr. Und deswegen versuchen sie einen Alleingang. Aber dieser Alleingang, wie gesagt, ist noch nicht ausgereift, und da müssen sie noch sehr viel mehr tun.
von Billerbeck: Heiner Flassbeck war das. Mit dem Ökonomen sprach ich über das Abkommen von Bretton Woods, das vor 70 Jahren verabschiedet wurde. Ich danke Ihnen!
Flassbeck: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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