70 Jahre Berliner Luftbrücke

Als vom Himmel Schokolade fiel

05:07 Minuten
Ein Flugzeug im Landeanflug auf Berlin, beobachtet von vielen Leuten.
Willkommener Lärm: die Luftbrücke über Berlin. © picture-alliance / akg-images
Von Sebastian Engelbrecht · 10.05.2019
Audio herunterladen
Am 12. Mai 2019 jährt sich das Ende der Berliner Luftbrücke zum 70. Mal. Ältere erinnern sich noch daran, als die "Rosinenbomber" die besetzte Stadt versorgten. Auch Veteranen wie der 98-jährige Pilot Gail Halvorsen halten die Erinnerungen wach.
Christa Bittner spielt ein Stück namens "Geburtstagsgruß" auf ihrem Flügel, umgeben von Schwarzweiß-Fotografien, von alten Stadtansichten Berlins. Heute ist sie 78 Jahre alt. Während der Berlin-Blockade war sie acht, wohnte mit ihrer Mutter im Wedding, im französischen Sektor. Die Sowjetunion hatte Autobahnen, Eisenbahnverbindungen und Schiffahrtswege nach West-Berlin abgeriegelt, weil die West-Alliierten in ihrem Teil Berlins die D-Mark eingeführt hatten.
"Ich weiß: Wenn ich meiner Mutter sagte: ‚Ich hab so einen Hunger‘, kriegte ich eine Ohrfeige. Die hatte ja auch Hunger. Es war so wenig, dass man also wirklich am liebsten am Daumen gelutscht hätte."
Im Zwei-Minuten-Takt landeten amerikanische und britische Maschinen auf den Berliner Flughäfen. Sie lieferten Trockenkartoffeln, Milchpulver, Mehl, Margarine – auch Kohle und Baumaterial – und versorgten so vom Juni 1948 bis zum Mai 1949 2,2 Millionen West-Berliner.

Fluglärm, der willkommen war

Christa Bittner blickt in den Berliner Himmel und sagt:"Wenn ich ein Flugzeug sehe und das fliegt hier rüber, freue ich mich. Stört mich der Lärm auch nicht, gar nichts."
Christa Bittner auf ihrem Balkon. Während der Berlin-Blockade des 2. Weltkriegs war sie acht Jahre alt und lebte mit ihrer Mutter im Wedding.
Während der Berlin-Blockade 1948/49 war Christa Bittner war acht Jahre alt und lebte mit ihrer Mutter im Wedding.© Deutschlandradio/Sebastian Engelbrecht
Der Fluglärm war den Berlinern willkommen – auch der damals 20-jährigen Anita Stapel. Sie wohnt heute in einem Reihenhaus in Lichtenrade im südlichen West-Berlin. Vor 70 Jahren lebte sie in Kreuzberg. Sie sagt: "Der Lärm war eben unentwegt, Tag und Nacht, aber niemand hätte sich beschwert darüber."

"Wir waren zum Glück im amerikanischen Sektor"

Der Militärgouverneur der amerikanischen Zone, Lucius Clay, setzte die Luftbrücke als Mittel gegen die sowjetische Blockade West-Berlins durch.
"Vor den Russen hatten wir immer Angst, vom Ende des Krieges an", erinnert sich Anita Stapel. "Und als die nun zumachten – weil man ja in dem Moment auch nicht wusste, was draus wird. Die wollten ja Berlin sozusagen ganz haben. Und davor hatten wir riesige Angst. Wir waren im amerikanischen Sektor. Zum Glück. Damals, da waren wir heilfroh. Denn Berlin wurde ja so aufgeteilt, dass man gar keine Wahl hatte. Da, wo man wohnte, da war man eben dann."
Der als "Rosinenbomber-Pilot" bekannt gewordene Gail Halvorsen steht am 21.11.2016 am Luftbrücken-Denkmal am Flughafen in Frankfurt am Main vor einem der historischen Flugzeuge des gleichen Typs, mit dem der ehemalige US-Pilot nach dem zweiten Weltkrieg die "Luftbrücke" nach Berlin geflogen war.
Der "Rosinenbomber-Pilot" Gail Halvorsen wird auch zum 70. Jahrestag der Luftbrücke wieder erwartet. Der 98-Jährige wurde berühmt, als er Süßigkeiten für die Kinder aus dem Flugzeug abwarf. © picture alliance/dpa/Boris Roessler
Der bekannteste amerikanische Pilot war der sogenannte "Candy-Bomber" Gail Halvorsen. Er ist heute 98 Jahre alt. Er erinnert sich: "Im Juli 1948 traf ich Kinder im Alter von acht bis 14 Jahren. Sie kamen an den Stacheldrahtzaun des Flughafens Tempelhof, und ich habe mich mit ihnen unterhalten, ungefähr eine Stunde lang. Dabei haben sie sich nicht einmal beklagt, nicht genug zu essen zu haben. Sie sagten: ‚Eines Tages werden wir genug zu essen haben. Aber wenn wir unsere Freiheit verlieren, werden wir sie nie wieder erlangen. Diese Kinder veränderten mein Leben."

Kleine Fallschirme mit Schokolade vom "Candy-Bomber"

Halvorsen bastelte kleine Fallschirme und befestigte Süßigkeiten daran. So landeten jeden Tag Schokolade und Bonbons für die Kinder in West-Berlin. Bald warfen Halvorsen und seine Crew täglich 425 Kilo Süßes ab. Davon hörte auch Christa Bittner. Sie lief zum Humboldthain, wo Halvorsen im Tiefflug die Kostbarkeiten verteilte.
"Und der Größte hat dann immer aufgepasst, dass auch die Kleinen was kriegten. Und einer hat mir dann Papier geschenkt – und da habe ich dran gerochen. Das roch nach Schokolade."
Die Luftbrücke war ein politisch und technisch waghalsiges Unternehmen. 41 Briten, 31 US-Amerikaner und 13 Deutsche starben bei Unfällen während der Luftbrücke. Die Entschiedenheit der westlichen Alliierten und ihre Sanktionen gegen die Sowjetisch Besetzte Zone führten am 12. Mai 1949 zum Einlenken der Sowjets.
"Wir wussten: Sie schaffen’s. Wir wollten das ja auch. Wir haben ja gehungert. Wir haben alles gemacht, was wir konnten, damit wir am Leben bleiben", sagt Bittner.

Aus Feinden wurden Helfer

Und Anita Stapel ergänzt: "Und vor allen Dingen die Tatsache, dass es da Menschen gab, die vorher unsere Feinde waren, die uns ja besiegt hatten. Und dass die plötzlich so humanitär handeln und den ehemaligen Feinden auch solche Pakete zukommen lassen. Das fand ich unglaublich."
Heute fragt sich Anita Stapel, warum das deutsch-amerikanische Verhältnis in den 70 Jahren seit Ende der Luftbrücke so gelitten hat. "Dieses Gefühl den Amerikanern gegenüber – das ist mir unfassbar, dass das heute auf diese Weise so in die Brüche ging."
Mehr zum Thema