600 Jahre sächsische Wissenschaftsgeschichte

Von Ralf Geißler |
Johann Wolfgang von Goethe, Novalis, Friedrich Nietzsche, Gottfried Wilhelm Leibnitz, Erich Kästner, Angela Merkel: Die Namensliste der ehemaligen Studenten der Universität Leipzig ist prominent besetzt. In diesem Jahr begeht die Hochschule ihr 600-Jähriges Jubiläum. Das Jubiläumsjahr wird mit einer Sonderöffnung der universitären Kunstsammlung eingeleitet.
Universität Leipzig. Cornelia Junge führt durch die Kunstsammlung der Hochschule.

"Ja, wir stehen hier vor den wichtigsten Insignien, die die Universität überhaupt besitzt, das ist das Zepterpaar aus dem 15. Jahrhundert, genau von 1476."

Das Zepterpaar, auf das die Konservatorin zeigt, ist das älteste Kunst-Objekt der Leipziger Universität.

"Das sind silberne Stäbe, die mit vergoldeten Inschriften versehen sind. Sie haben Anfang des 16. Jahrhunderts vergoldete Blattkronen bekommen, die doch einiges her machen. Und man hat diese Stäbe in den akademischen Prozessionen voran getragen und damit auch das Ansehen der Universität als einer vom Landesherren mit Rechten versehenen Einrichtung in der Öffentlichkeit publik gemacht."

Wie bei einem höfischen Zeremoniell wurden die zwei Zepter an Festtagen durch Leipzig getragen. Und sie lagen auf dem Tisch des Rektors, wenn er bis ins 19. Jahrhundert hinein über die Vergehen seiner Studenten urteilte.

Die Zepter sind nur zwei von rund 60 Objekten, welche die Leipziger Universität seit heute in einer kleinen Ausstellung zeigt - zum Auftakt des Jubiläumsjahres. Zu besichtigen sind auch das Siegel von 1592, die Amtskette des Rektors, Gemälde von Lukas Cranach dem Älteren, Skulpturen und Stadtansichten von Leipzig. Mit der kleinen Schau will die Universität Appetit machen auf mehr, erzählt Projektleiter Rudolf Hiller von Gaertingen. Denn am 8. Juli öffnet die Hochschule ihre große Jubiläumsausstellung mit dem Titel "Entdeckung der Welt - Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften".

Rudolf Hiller von Gaertingen: "Dort legen wir den Finger auf die Weichenstellung in der Epoche der Aufklärung, wo eine starke Ausdifferenzierung von Disziplinen stattgefunden hat und wo auch in Sachsen Wegweisendes geleistet worden ist."

Im Alten Rathaus zu Leipzig wird dann bis Dezember unter anderem eine Rechenmaschine von Gottfried Wilhelm Leibnitz zu sehen sein. Die Naturaliensammlung der Apothekerfamilie Linck. Objekte, die an die großen Wissenschaftler und Studenten der Hochschule erinnern.

Rudolf Hiller von Gaertingen: "Ein besonders spannendes Objekt ist zum Beispiel die Leupoldsche Luftpumpe von 1709. Das ist also richtig ein großes Objekt wie so eine kleine Anrichte, ein barockes Möbel mit Furnier. Sie sieht eben aus wie eine barocke Kommode und da befinden sich oben drauf Messingaufbauten aus der Produktion des 18. Jahrhunderts. Und da konnte man dann eben aus zwei Metallhalbkugeln die Luft herauspumpen und anschaulich machen, welche Kraft ein Vakuum hat."

Die Gründung der Universität Leipzig vor fast 600 Jahren geht zurück auf einen Streit an der Universität Prag. König Wenzel der Vierte hatte dort den sächsischen, bayerischen und polnischen Professoren und Studenten das Mitspracherecht aberkannt. Diese zogen deshalb Richtung Sachsen und gründeten 1409 mit päpstlicher Erlaubnis und landesherrlicher Förderung eine neue Hochschule. Nach dem Prager Vorbild gliederte sich auch die Universität Leipzig in vier Fakultäten. Einschreiben konnte sich jeder freie Mann.

Enno Bünz: "Die mittelalterliche Universität war vollkommen offen."

Enno Bünz - Historiker an der Universität Leipzig.

"Es gab zwar schon ein allgemeines Schulwesen - vor allem in den Städten. Aber es gab keinerlei Voraussetzung oder Zeugnis, das man haben musste, um sich an einer Universität zu inskribieren. Ganz im Gegenteil: Wer nicht die nötigen Vorkenntnisse mitbrachte, wurde an der Artistenfakultät erstmal fit gemacht und lernte Latein, ohne dass man das Studium nicht bestreiten konnte."

Den ersten Jahrgang in Leipzig bildeten 369 Scholaren und 46 Lehrkräfte. Über die Jahre kamen immer mehr Exilanten aus Prag sowie neue Studenten hinzu.

Enno Bünz: "Leipzig war im 15. Jahrhundert die frequenzstärkste Universität im Deutschen Reich. Das heißt: Die Universität mit der höchsten Immatrikulationsziffer."

Gelehrt wurde fast ausschließlich in Vorlesungen. Abends vertieften die Studenten den Stoff in ihren Studentenbursen. In dieser Art Wohnheim bezogen alle Quartier, lernten, schliefen und speisten dort. Die Sitten waren rau. Erstsemestler mussten auch in Leipzig ein Aufnahmeritual über sich ergehen lassen - die Deposition. Die Neuen wurden als Tiere verkleidet und dann symbolisch wieder zum Menschen gemacht. Die Universität Leipzig ist die einzige Universität Europas, die noch das Originalzubehör für die Deposition besitzt.

Cornelia Junge: "Wir haben einen gewaltigen Rasierpinsel, eine winzig kleine Rasierschale. Ein riesiger Ohrlöffel. Wir haben Schmiedehämmer, die die Zähne ausreißen sollten. Hobel, mit denen der ungehobelte Klotz zu einem gehobelten gemacht wird. Wir haben auch wilde Rosenkränze dabei, die dem alten Studiosus zeigen sollten, dass er nichts weiß, denn es sind nicht entzifferbare Zeichen und Zahlen darauf, aber auch Zeichen, die ihn verhöhnen."

Immer wieder brachen bei der Deposition heftige Raufereien aus, bei denen es auch Tote gab. Schon im 16. Jahrhundert wurde das Ritual verboten. Goethes Vater bekam als einer der letzten die Instrumente zu seiner Immatrikulation in Leipzig gezeigt. Heute liegen die Gegenstände hinter einer Glas-Vitrine. Sie können in der Kunstsammlung der Universität besichtigt werden.

Service:
Die Ausstellung mit Objekten aus 600 Jahren Universitätsgeschichte ist bis zum 31. März im Rektoratsgebäude der Uni Lepzig zu sehen.
Öffnungszeiten: täglich von 11 bis 18 Uhr, außer Mittwoch: 13 bis 20 Uhr.