60 Jahre "Göttinger Erklärung"

Kernphysiker gegen die atomare Bewaffnung

Carl Friedrich von Weizsäcker (r), Otto Hahn (l) und Walther Gerlach (M) treffen am 17. April 1957 im Bonner Palais Schaumburg ein, um mit Bundeskanzler Konrad Adenauer die von ihm scharf kritisierte "Göttinger Erklärung" zu diskutieren.
Carl Friedrich von Weizsäcker (r), Otto Hahn (l) und Walther Gerlach (M) treffen am 17. April 1957 im Bonner Palais Schaumburg ein, um mit Bundeskanzler Konrad Adenauer die von ihm scharf kritisierte "Göttinger Erklärung" zu diskutieren. © picture-alliance / dpa
Von Monika Köpcke · 12.04.2017
Die Bundeswehr war gerade erst gegründet, die Bundesrepublik Mitglied der NATO geworden - da forderte Bundeskanzler Konrad Adenauer die atomare Bewaffnung der Streitkräfte. 18 Kernphysiker um Carl Friedrich von Weizsäcker verurteilten die nukleare Abschreckungsdoktrin. In ihrer "Göttinger Erklärung" verweigerten sie vor 60 Jahren jede Mitarbeit an der Herstellung atomarer Waffen.
Konrad Adenauer: "Die taktischen atomaren Waffen sind im Grunde genommen nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie."
So definierte es Bundeskanzler Konrad Adenauer am 5. April 1957.
"Und es ist ganz selbstverständlich, dass wir nicht darauf verzichten können, dass unsere Truppen auch die neuesten Typen haben und die neueste Entwicklung mitmachen."
Eine mit Atomwaffen ausgerüstete Bundeswehr würde mehr Prestige und einen größeren Einfluss in der NATO bedeuten - davon war Adenauer überzeugt. Gleichzeitig wusste er um das Unbehagen der Deutschen gegenüber diesen Waffen. In der Öffentlichkeit musste er den nuklearen Ball also flach halten. Doch seine Formel von Atomwaffen als "Weiterentwicklung der Artillerie" geriet dann doch zu euphemistisch.
Carl-Friedrich von Weizsäcker(*): "Das hat dann unsere Gruppe mit einem gewissen Entsetzen erfüllt, diese sehr harmonisierende Äußerung. Und dann haben wir gefunden, jetzt müssen wir was dazu sagen."

Einmischung in die Politik

"Unsere Gruppe" - das waren für Carl-Friedrich von Weizsäcker die führenden Atomwissenschaftler des Landes. Er und einige seiner Kollegen forschten in Göttingen. Otto Hahn gehörte zu der Gruppe, ebenso wie Werner Heisenberg, Max von Laue oder Max Born - alle vier Nobelpreisträger. Insgesamt 18 renommierte Wissenschaftler fanden sich zusammen und taten etwas bis dahin Einmaliges: Sie mischten sich in die Politik ein.
"Wir fühlen uns verpflichtet, öffentlich auf einige Tatsachen hinzuweisen: Jede einzelne taktische Atombombe hat eine ähnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die Hiroshima zerstört hat."
Am 12. April 1957 ließen die Atomphysiker diese Erklärung in allen überregionalen deutschen Zeitungen veröffentlichen.
"Wir kennen keine technische Möglichkeit, große Bevölkerungsgruppen vor dieser Gefahr sicher zu schützen. Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, dass es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf Atomwaffen jeder Art verzichtet."

Atomare Bewaffung wurde zum Thema

Die Resonanz war riesig: Die atomare Bewaffnung wurde über Nacht das Thema. Und das vage Unbehagen wuchs nun zu einer manifesten Ablehnung heran. Konrad Adenauer schäumte. Im September standen Bundestagswahlen an. Sollte die Göttinger Erklärung ihm den Sieg vermasseln? Zwei Tage nach ihrer Veröffentlichung sagte er auf einer CDU-Veranstaltung:
"Zunächst bedaure ich, dass die Herren nicht mit mir gesprochen haben, ehe sie diese Erklärung veröffentlicht haben. Es ist das, so fahre ich fort, eine Erklärung, die rein außenpolitischer und militärpolitischer Natur ist und zu deren Beurteilung man eben doch Kenntnisse haben muss, die auch diesen Herren nicht gegeben sind, da sie nicht zu mir gekommen sind."
Schon bald sah Adenauer klarer. Sollte der Wahlsieg nicht gefährdet werden, musste eine rasche und öffentlichkeitswirksame Versöhnung her. Also lud er einige der Protestler ins Kanzleramt. Der Hausherr gab sich jovial, und nach siebenstündiger Beratung konnte man der Öffentlichkeit ein gemeinsames Kommuniqué präsentieren, in dem sich alle zu Frieden und Abrüstung bekannten. "Die Zeit" schrieb:
"Erfolgreich konnte Adenauer die Öffentlichkeit von einer Arbeitsteilung der folgenden Art überzeugen: Die Atomforscher folgten der Stimme ihres Gewissens und handelten aus ehrenwerten Motiven. Er als Kanzler müsse sich jedoch den harten Realitäten der Politik stellen. Im Kern wollten aber alle dasselbe: nämlich echte Abrüstungsvereinbarungen."

Göttinger Kernphysiker kehrten zurück an ihre Arbeit

Im September 1957 erhielt die CDU die absolute Mehrheit. Adenauer war es gelungen, die Angst vor Atomwaffen durch die Angst vor der Sowjetunion zu überlagern. Eigene Atomraketen wurden zwar nicht gebaut, aber die Regierung setzte nun die massive Stationierung von amerikanischen Atomwaffen in der Bundesrepublik durch. An den lautstarken Protesten dagegen beteiligten sich die Göttinger Kernphysiker nicht. Sie waren nach Adenauers Friedensschluss wieder zurück an ihre Arbeit gegangen: der Erforschung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken.
1987 sagte Carl Friedrich von Weizsäcker: "Wir waren alle der Meinung, dass wir für die Gefahr, die die Atombombe bedeutet, der Menschheit wenigstens ein sehr großes Geschenk machen. Nämlich eine praktisch unerschöpfliche und unter Garantie umweltfreundliche Energieform. Das war unsere Überzeugung."
(* Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version wurde der O-Ton fälschlicherweise Konrad Adenauer und nicht Carl-Friedrich von Weizsäcker zu geordnet. Das wurde korrigiert.)
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