60 Jahre Deutsche Länder
Die Bezeichnung des Landes wechselt mehrfach in den ersten Nachkriegsjahren. Am 9. Juli 1945 wird mit Befehl der Sowjetischen Militäradministration das Land Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Zwei Jahre später streichen die Militärbesatzer Vorpommern aus dem Landesnamen. 1952, nun auf Veranlassung der DDR-Führung, verschwindet auch das Land Mecklenburg von der Karte.
Eine Verwaltungsreform gliedert das Land an der Ostsee in drei Bezirke auf: Rostock, Schwerin und Neubrandenburg. 1990 dann die nächste Zäsur. Mecklenburg und Vorpommern bilden wieder ein Bindestrich-Land. Der Bindestrich soll kulturelle Identitäten und landschaftstypische Eigenarten mit Recht auf Selbstverwaltung wahren - wie es in Artikel 1 Absatz 1 des Verfassungsentwurfs für Mecklenburg-Vorpommern heißt. Er berücksichtigt die Entwicklungen, Debatten und Vorbehalte seit 1945.
1945. Ende Juli. Amerikaner und Briten ziehen sich aus den von ihnen besetzten Teilen Mecklenburgs zurück. Die sowjetische Besatzungszone erstreckt sich nun über das Land Mecklenburg und den Teil der preußischen Provinz Pommern, der westlich der Oder liegt: Vorpommern. Mit dem SMAD-Befehl Nr. 5 vom 9. Juli wird das Land Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Die sowjetische Militäradministration, kurz SMA, übernimmt die Verwaltung. Bereits am 4. Juli 1945 wird eine deutsche Landesverwaltung errichtet.
Die Sowjets ernennen den Sozialdemokraten Wilhelm "Willi" Höcker zum Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Vor 1933 war er Landrat in Güstrow und Präsident des Landtags in Schwerin. 1946 vereinigt sich die SPD mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Auf der Landeskonferenz beider Parteien am 24. Februar 1946 in Schwerin sagt Höcker den Delegierten:
"Sie wissen, dass wir unseren Verwaltungsapparat nach Übernahme der Geschäfte von Grund auf gereinigt haben. Wir haben nicht den Fehler wiederholt, den wir 1918 begangen haben, indem wir die alten reaktionären Beamten auf ihren Stühlen sitzen ließen. Sondern wir haben diesmal ganze Arbeit gemacht und unseren Verwaltungskörper so aufgebaut, wie wir es für notwendig und erforderlich gehalten haben."
Bei den Landtagswahlen im Oktober 1946 erreicht die SED mit 49,5 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern das höchste Ergebnis in der Sowjetischen Besatzungszone. Höcker bleibt Ministerpräsident bis 1951.
Die Wirtschaft wird mehr ab- statt aufgebaut: Reparationsleistungen für sowjetische Kriegsverluste. Zugleich kämpft das Land mit Wohnungs- und Nahrungsmangel. Flüchtlinge und Vertriebene verdoppeln fast die Zahl der Einwohner gegenüber dem Vorkriegsstand. Der Flüchtlingsanteil liegt bei 40 Prozent.
Am 15. Januar 1947 erhält das Land Mecklenburg-Vorpommern eine neue Verfassung. Ab Februar 47 heißt es nur noch Land Mecklenburg, die Sowjets streichen nach der Auflösung Preußens den Namen Vorpommern. In den folgenden Jahrzehnten verschwindet er fast gänzlich aus dem offiziellen Sprachschatz, nicht aber aus dem Bewusstsein.
"Junkerland in Bauernhand" heißt die Losung der Bodenreform 1945/46. Alle Güter über 100 Hektar werden entschädigungslos enteignet. Auch Kriegsverbrecher, Funktionäre und Repräsentanten der NSDAP verlieren ihr Land.
Die SMAD verteilt das Land zu zwei Dritteln an Neubauern – an ehemalige Landarbeiter, Flüchtlinge und Vertriebene. Neben knapp 57.000 Altbauernstellen bestehen nun über 77.000 Neubauernstellen. Sie sollen ihre fünf bis zehn Hektar großen Landflächen selber bearbeiten. Günther Priest war damals 16 Jahre. Der erste und jüngste Neubauer in Bredentin bei Lüssow erinnert sich später:
"Erst hatte Großvater das noch. 48 ist der gestorben, denn hab ich das übernommen."
"Heute sind sie Komplexleiter, verantwortlich für wie viel Hektar?"
"Na wir haben rund 1500 Hektar in unserem Bereich."
"Wie viel Hektar hatten sie damals?"
"Wir hatten in der Regel alle so bis 10 Hektar."
"10 Hektar damals, 1500 heute, das ist schon ein Unterschied."
Die Umgestaltung der Landwirtschaft betrifft 54 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Mit der Bodenreform können die Flüchtlinge zum Teil integriert werden.
Ab 1952 schließen sich die Bauern – freiwillig oder unter Druck - in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zusammen. Im mecklenburgischen Dorf Plate bei Schwerin beantragt Großbauer Helmut Stender die Aufnahme in die LPG Typ 1.
"Der Hof als eigentlicher besteht nicht mehr. Aber er ist ja doch da, wird genossenschaftlich genutzt, bis eben wir in der Lage sind neue Ställe zu bauen und mit der notwendigen Technologie auszurüsten. Denn wir müssen ab von der Schiebkarre. Und das geht nicht alles von heute auf morgen. Aber wir sind auf dem besten Wege."
Doch Klein- und Mittelbauern werden unterdrückt und mit hohen Zwangsabgaben gequält: Landwirtschaftliche Geräte verteilen die Maschinenausleihstationen MAS. Sie benachteiligen die Nicht-LPG-Mitglieder. Zehntausende Bauern siedeln daraufhin in den Westen um. Dies führt dazu, dass am 17. Juni 1953 auch auf dem Land die Stimmung kippt. Der Aufstand wird von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen.
Nach der Wende beschäftigt der Streit um die Bodenreform das Land noch lange Zeit. Noch heute prägen große Strukturen Mecklenburg-Vorpommern im Bereich Ackerbau und Viehzucht. Was fehlt sind Betriebe, die die Erzeugnisse weiterverarbeiten.
1952 beschließt die DDR, die Verwaltung weiter zu zentralisieren und damit die Länder aufzulösen. Mecklenburg verliert seine Eigenständigkeit und wird in die drei Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg aufgeteilt. Die Bezirke erhalten eigene Parlamente, Bezirkstage und Bezirkshauptstädte.
An der Grenze zur Bundesrepublik wird eine fünf Kilometer breite Sperrzone errichtet. Unzuverlässige Bürger werden 1952 in der so genannten "Aktion Ungeziefer" in das Hinterland umgesiedelt. Mit der Abschottung nach Außen wird der wirtschaftliche Auf- und Ausbau in den Bezirken beschleunigt. Der Bezirk Rostock sucht die Nord- und Osteuropa-Anbindung zu stärken.
Der Bezirk Rostock erstreckt sich von der der Lübecker Bucht bis zum Oderhaff. Er ist die maritime Wirtschaftsregion in der DDR. Häfen, Werften und Fischerei bestimmen – neben Tourismus und Landwirtschaft – seine Wirtschaftskraft. Und die Stadt Rostock führt den Bezirk an.
Der Rostocker Hafen wird ab 1957 unter großen Anstrengungen ausgebaut als Hochseehafen und "Tor zur Welt". Auch die Hochseehandelsflotte wird ausgebaut. Werftdirektor Gebauer:
"Der technische Fortschritt in unserer Werft ist so zu organisieren, dass wir in kürzester Zeit das Weltniveau im Schiffbau erreichen, die Arbeitsproduktivität erheblich steigern und mit beitragen, den materiellen Wohlstand des Volkes zu heben."
Am 7. Oktober 1958, dem 9. Jahrestag der DDR, wird der Durchstich von der Ostsee zum Hafen am Südufer des Breitlings vollzogen und gefeiert.
"Wir haben herrlichen Sonnenschein und einen unendlichen Blick auf die spiegelglatte See. Zehntausende Rostocker, Männer. Frauen, Kinder, vor allem die Jugendlichen, die hier so fleißig mithalfen im nationalen Aufbauwerk, haben sich festlich gekleidet hier draußen versammelt. Sie stehen auf der neuen Ostmole vor allen Dingen, die in einer Rekordzeit von weniger als einem halben Jahr geschüttet wurde."
Die Werften bleiben bis zur Wende größter Arbeitgeber des Landes. Und auch nach der Wende spielen Werften und maritime Zulieferer die Hauptrolle für Mecklenburg-Vorpommern im industriellen Bereich. Die Hochseefischerei dagegen spielt eine vergleichsweise geringe Rolle. Nach der Wende wurde der Großteil der Hochseeflotte verschrottet oder ins Ausland verkauft.
1990 wird das Land Mecklenburg-Vorpommern zum zweiten Mal gegründet. Das beschließt die DDR-Volkskammer auf ihrer 27. Tagung, um sich danach selbst aufzulösen. Im Wahlkampf 1990 wird "Wohlstand für alle" versprochen. Nachdenklichere Politiker überlegen, wie die Wirtschaft gefördert werden kann, um damit den Mittelstand zu stärken. Aber die Hoffnungen werden nicht erfüllt. Arbeitsplätze brechen massenhaft weg. Agrarpolitisch ist das Land zu strukturschwach für den Konkurrenzkampf. Der Republikflucht vor der Wende folgt die Landflucht danach. Vor allem junge, qualifizierte und weibliche Arbeitskräfte verlassen das Land.
Ministerpräsident wird 1990 Alfred Gomolka von der CDU, geboren 1942 in Breslau. Von 1979 bis 1984 war er Stadtrat für Umweltschutz und Wasserwirtschaft in Greifswald. Seine Bestandsaufnahme nach hundert Tagen CDU/FDP-Regierung:
"Wir wollen die Infrastruktur, wir wollen vernünftige Straßen, Wege, Telefonverbindungen, eine Versorgung, eine Entsorgung und dazu dann Maßnahmen, die ästhetisch wirken, angefangen von einem vernünftigem Weg über die Pflege von Flurgehölzen und die Reinhaltung von Gewässern, damit dann beispielsweise solche flankierenden Wirtschaftsbereiche wie der Tourismus vernünftige Ausgangspositionen finden."
CDU und FDP hatten mit einer Stimme Mehrheit vor SPD und PDS die Regierung übernommen. Als Gomolka 1992 den Justizminister Born wegen "Illoyalität" entlässt, entzieht ihm die CDU-Landtagsfraktion unter der Führung ihres Vorsitzenden Eckhardt Rehberg das Vertrauen. Außerdem gerät Gomolka in der Werftenkrise um den Verkauf des ehemaligen Schiffbaukombinats an die Bremer Firma Vulkan unter Druck. Er tritt daraufhin am 15. März 1992 von seinem Amt zurück.
Die Diskussion um die neue Landesverfassung geht weiter. Die Bürger sind nicht so stark interessiert wie die Politiker.
Am 23. Mai 1993 beschließt der Landtag die Verfassung mit Zweidrittelmehrheit. Anderthalb Jahre später stimmen die Bürger in einem Volksentscheid dem Text mehrheitlich zu.
Die Lage und die industrielle Rückständigkeit Mecklenburg-Vorpommerns kommen der Natur zugute. Sie ist an vielen Stellen des Landes großflächig und unzerstört. Die Natur wird als "Standortfaktor" entdeckt, Politik und Wirtschaft sehen im "sanften Tourismus" einen Imagegewinn für das Land und langfristig Einnahmequellen. Die Idylle soll den Tourismus befördern und Arbeitsplätze schaffen.
1990, kurz vor der Selbstauflösung, beschließt die DDR-Volkskammer Großschutzgebiete für die Natur einzurichten; unter anderem den Nationalpark vorpommersche Boddenküste und den Müritz-Nationalpark. So wird das "Tafelsilber der Vereinigung" erhalten.
Michael Succow, inzwischen Träger des alternativen Nobelpreises, hatte sich dafür eingesetzt. Als stellvertretender DDR-Umweltminister ist er am Ziel:
"Die Naturschützer haben sich schon lange bemüht, ich habe auch vor 15 Jahren schon Eingaben an die Volkskammer gesandt, um einem Volk ein Nationalpark zu geben. Ich glaub alle Länder auf Erden haben Nationalparke, aber unsere gewesene Führung war ja sehr grün privilegiert, aber wollte nicht Nationalparke. Und nun haben wir die großartige Chance, die frei gewordenen Besitzungen dieser Leute, die eine hervorragende Natur haben, jetzt für diesen Volkswillen Nationalpark zu entwickeln."
Wie schon traditionell bleibt das Land stark abhängig von der Landwirtschaft und den Urlaubern. Vor allem die Region Vorpommern ist mit den Inseln Rügen und Usedom einer der Schwerpunkte des Tourismus in Deutschland. Aber auch die Ostseeküste mit dem Darss und die Mecklenburgische Seenplatte sind Anziehungspunkte für Erholungssuchende aus ganz Deutschland. Der Wandel zum Natururlaub dauert an, der Markt für Touristen aus dem Ausland gilt als noch entwicklungsfähig.
Nach dem Rücktritt Gomolkas 1992 wird Berndt Seite Ministerpräsident. Geboren 1940 im schlesischen Hahnswalde, gelernter Tierarzt, parteilos, trat er erst 1990 in die CDU ein. Er führt die CDU-FDP-Regierung weiter, 1994 koaliert er mit der SPD.
In Seites Amtszeit fallen die zweite Werftenkrise 1996 und: 1992 das rassistische Pogrom von Lichtenhagen. Rechtsradikale belagern die zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes im Plattenbaugebiet von Rostock. Vermeintlich biedere Bürger klatschen Beifall, auch als Steine fliegen und Molotow-Cocktails. Schließlich brennt das Gebäude. Polizei und Feuerwehr ziehen sich zurück. Führende Landespolitiker reagieren gar nicht, hilflos oder zu spät und signalisieren damit stillschweigend Einverständnis.
Seite: "Ich danke ausdrücklich den Polizeikräften für ihren aufopfernden Einsatz. Staat und Justiz werden alle rechtsstaatlichen Instrumente mit Entschlossenheit und Konsequenz einsetzen, um weitere Ausschreitungen zu verhindern und die Täter zu bestrafen."
Bei der Landtagswahl 1998, parallel zur Bundestagswahl, verliert die CDU. Die SPD unter Harald Ringstorff wird stärkste Kraft. 1939 in Wittenburg geboren, arbeitete er als Chemiker in der DDR-Schiffbau-Industrie. 1989 war er Gründungsmitglied der SDP in Rostock. Das Amt als Minister für Wirtschaft in der Großen Koalition gab er 1996 nach zwei Jahren auf und übernahm erneut den Vorsitz der SPD-Landtagsfraktion. Nun will er die PDS mit ins Regierungsboot hieven, ein Plan, der 1994 noch am Widerstand des damaligen SPD-Bundesvorsitzenden Rudolf Scharping scheiterte. Am 27. September 1998 bildet die SPD unter seiner Führung eine Koalition mit der PDS.
Er durchbricht damit ein bundesweites Tabu.
Ringstorff: "Es ist dies die erste Regierung in der Bundesrepublik, die von diesen beiden Parteien getragen wird. Wie immer, wenn es etwas neues, was bisher noch nicht da gewesenes gibt, schlugen auch bei uns die Wellen der Erregung hoch. Bereits jetzt, nach wenigen Wochen haben sich die meisten aufgeregten Stimmen wieder beruhigt. Und ich sage ihnen voraus, die verbleibenden werden sich auch noch beruhigen."
Mecklenburg-Vorpommern – mit Bindestrich, der verbindet und trennt. Mecklenburg und Vorpommern sind als Landschaften mit dem Recht auf Selbstverwaltung in der Verfassung festgeschrieben. Damit wurde nach der Wende den regionalen Identitäten Rechnung getragen. Praktisch verwirklicht wurden die regionalen Gebietskörperschaften nicht, so dass viele im Osten das Gefühl haben: "Mecklenburg vor Pommern."
Die Städte setzen wieder auf ihre Hanse-Tradition, die Stadtparlamente von Rostock, Wismar, Stralsund und Greifswald nennen sich "Bürgerschaft". Im Streit um den Sitz der Landesregierung ging Schwerin als Sieger gegen das doppelt so große Rostock hervor.
Mecklenburg-Vorpommern war und ist eine der industriell am wenigsten entwickelten Regionen Deutschlands. Traditionell stark ist nur die Werftenindustrie. Das an sich schon dünn besiedelte Land leidet weiter unter Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Einwohnerschwund; Schwerin ist keine Großstadt mehr.
Das Land setzt auf sanften Tourismus und umweltfreundliche Technologien. Die wirtschaftliche Anbindung an Skandinavien und Polen spielt eine große Rolle, die Ostseeautobahn A20 ist durchgängig befahrbar von Lübeck bis Stettin. Das Land wartet auf einen Aufschwung.
1945. Ende Juli. Amerikaner und Briten ziehen sich aus den von ihnen besetzten Teilen Mecklenburgs zurück. Die sowjetische Besatzungszone erstreckt sich nun über das Land Mecklenburg und den Teil der preußischen Provinz Pommern, der westlich der Oder liegt: Vorpommern. Mit dem SMAD-Befehl Nr. 5 vom 9. Juli wird das Land Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Die sowjetische Militäradministration, kurz SMA, übernimmt die Verwaltung. Bereits am 4. Juli 1945 wird eine deutsche Landesverwaltung errichtet.
Die Sowjets ernennen den Sozialdemokraten Wilhelm "Willi" Höcker zum Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Vor 1933 war er Landrat in Güstrow und Präsident des Landtags in Schwerin. 1946 vereinigt sich die SPD mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Auf der Landeskonferenz beider Parteien am 24. Februar 1946 in Schwerin sagt Höcker den Delegierten:
"Sie wissen, dass wir unseren Verwaltungsapparat nach Übernahme der Geschäfte von Grund auf gereinigt haben. Wir haben nicht den Fehler wiederholt, den wir 1918 begangen haben, indem wir die alten reaktionären Beamten auf ihren Stühlen sitzen ließen. Sondern wir haben diesmal ganze Arbeit gemacht und unseren Verwaltungskörper so aufgebaut, wie wir es für notwendig und erforderlich gehalten haben."
Bei den Landtagswahlen im Oktober 1946 erreicht die SED mit 49,5 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern das höchste Ergebnis in der Sowjetischen Besatzungszone. Höcker bleibt Ministerpräsident bis 1951.
Die Wirtschaft wird mehr ab- statt aufgebaut: Reparationsleistungen für sowjetische Kriegsverluste. Zugleich kämpft das Land mit Wohnungs- und Nahrungsmangel. Flüchtlinge und Vertriebene verdoppeln fast die Zahl der Einwohner gegenüber dem Vorkriegsstand. Der Flüchtlingsanteil liegt bei 40 Prozent.
Am 15. Januar 1947 erhält das Land Mecklenburg-Vorpommern eine neue Verfassung. Ab Februar 47 heißt es nur noch Land Mecklenburg, die Sowjets streichen nach der Auflösung Preußens den Namen Vorpommern. In den folgenden Jahrzehnten verschwindet er fast gänzlich aus dem offiziellen Sprachschatz, nicht aber aus dem Bewusstsein.
"Junkerland in Bauernhand" heißt die Losung der Bodenreform 1945/46. Alle Güter über 100 Hektar werden entschädigungslos enteignet. Auch Kriegsverbrecher, Funktionäre und Repräsentanten der NSDAP verlieren ihr Land.
Die SMAD verteilt das Land zu zwei Dritteln an Neubauern – an ehemalige Landarbeiter, Flüchtlinge und Vertriebene. Neben knapp 57.000 Altbauernstellen bestehen nun über 77.000 Neubauernstellen. Sie sollen ihre fünf bis zehn Hektar großen Landflächen selber bearbeiten. Günther Priest war damals 16 Jahre. Der erste und jüngste Neubauer in Bredentin bei Lüssow erinnert sich später:
"Erst hatte Großvater das noch. 48 ist der gestorben, denn hab ich das übernommen."
"Heute sind sie Komplexleiter, verantwortlich für wie viel Hektar?"
"Na wir haben rund 1500 Hektar in unserem Bereich."
"Wie viel Hektar hatten sie damals?"
"Wir hatten in der Regel alle so bis 10 Hektar."
"10 Hektar damals, 1500 heute, das ist schon ein Unterschied."
Die Umgestaltung der Landwirtschaft betrifft 54 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Mit der Bodenreform können die Flüchtlinge zum Teil integriert werden.
Ab 1952 schließen sich die Bauern – freiwillig oder unter Druck - in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zusammen. Im mecklenburgischen Dorf Plate bei Schwerin beantragt Großbauer Helmut Stender die Aufnahme in die LPG Typ 1.
"Der Hof als eigentlicher besteht nicht mehr. Aber er ist ja doch da, wird genossenschaftlich genutzt, bis eben wir in der Lage sind neue Ställe zu bauen und mit der notwendigen Technologie auszurüsten. Denn wir müssen ab von der Schiebkarre. Und das geht nicht alles von heute auf morgen. Aber wir sind auf dem besten Wege."
Doch Klein- und Mittelbauern werden unterdrückt und mit hohen Zwangsabgaben gequält: Landwirtschaftliche Geräte verteilen die Maschinenausleihstationen MAS. Sie benachteiligen die Nicht-LPG-Mitglieder. Zehntausende Bauern siedeln daraufhin in den Westen um. Dies führt dazu, dass am 17. Juni 1953 auch auf dem Land die Stimmung kippt. Der Aufstand wird von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen.
Nach der Wende beschäftigt der Streit um die Bodenreform das Land noch lange Zeit. Noch heute prägen große Strukturen Mecklenburg-Vorpommern im Bereich Ackerbau und Viehzucht. Was fehlt sind Betriebe, die die Erzeugnisse weiterverarbeiten.
1952 beschließt die DDR, die Verwaltung weiter zu zentralisieren und damit die Länder aufzulösen. Mecklenburg verliert seine Eigenständigkeit und wird in die drei Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg aufgeteilt. Die Bezirke erhalten eigene Parlamente, Bezirkstage und Bezirkshauptstädte.
An der Grenze zur Bundesrepublik wird eine fünf Kilometer breite Sperrzone errichtet. Unzuverlässige Bürger werden 1952 in der so genannten "Aktion Ungeziefer" in das Hinterland umgesiedelt. Mit der Abschottung nach Außen wird der wirtschaftliche Auf- und Ausbau in den Bezirken beschleunigt. Der Bezirk Rostock sucht die Nord- und Osteuropa-Anbindung zu stärken.
Der Bezirk Rostock erstreckt sich von der der Lübecker Bucht bis zum Oderhaff. Er ist die maritime Wirtschaftsregion in der DDR. Häfen, Werften und Fischerei bestimmen – neben Tourismus und Landwirtschaft – seine Wirtschaftskraft. Und die Stadt Rostock führt den Bezirk an.
Der Rostocker Hafen wird ab 1957 unter großen Anstrengungen ausgebaut als Hochseehafen und "Tor zur Welt". Auch die Hochseehandelsflotte wird ausgebaut. Werftdirektor Gebauer:
"Der technische Fortschritt in unserer Werft ist so zu organisieren, dass wir in kürzester Zeit das Weltniveau im Schiffbau erreichen, die Arbeitsproduktivität erheblich steigern und mit beitragen, den materiellen Wohlstand des Volkes zu heben."
Am 7. Oktober 1958, dem 9. Jahrestag der DDR, wird der Durchstich von der Ostsee zum Hafen am Südufer des Breitlings vollzogen und gefeiert.
"Wir haben herrlichen Sonnenschein und einen unendlichen Blick auf die spiegelglatte See. Zehntausende Rostocker, Männer. Frauen, Kinder, vor allem die Jugendlichen, die hier so fleißig mithalfen im nationalen Aufbauwerk, haben sich festlich gekleidet hier draußen versammelt. Sie stehen auf der neuen Ostmole vor allen Dingen, die in einer Rekordzeit von weniger als einem halben Jahr geschüttet wurde."
Die Werften bleiben bis zur Wende größter Arbeitgeber des Landes. Und auch nach der Wende spielen Werften und maritime Zulieferer die Hauptrolle für Mecklenburg-Vorpommern im industriellen Bereich. Die Hochseefischerei dagegen spielt eine vergleichsweise geringe Rolle. Nach der Wende wurde der Großteil der Hochseeflotte verschrottet oder ins Ausland verkauft.
1990 wird das Land Mecklenburg-Vorpommern zum zweiten Mal gegründet. Das beschließt die DDR-Volkskammer auf ihrer 27. Tagung, um sich danach selbst aufzulösen. Im Wahlkampf 1990 wird "Wohlstand für alle" versprochen. Nachdenklichere Politiker überlegen, wie die Wirtschaft gefördert werden kann, um damit den Mittelstand zu stärken. Aber die Hoffnungen werden nicht erfüllt. Arbeitsplätze brechen massenhaft weg. Agrarpolitisch ist das Land zu strukturschwach für den Konkurrenzkampf. Der Republikflucht vor der Wende folgt die Landflucht danach. Vor allem junge, qualifizierte und weibliche Arbeitskräfte verlassen das Land.
Ministerpräsident wird 1990 Alfred Gomolka von der CDU, geboren 1942 in Breslau. Von 1979 bis 1984 war er Stadtrat für Umweltschutz und Wasserwirtschaft in Greifswald. Seine Bestandsaufnahme nach hundert Tagen CDU/FDP-Regierung:
"Wir wollen die Infrastruktur, wir wollen vernünftige Straßen, Wege, Telefonverbindungen, eine Versorgung, eine Entsorgung und dazu dann Maßnahmen, die ästhetisch wirken, angefangen von einem vernünftigem Weg über die Pflege von Flurgehölzen und die Reinhaltung von Gewässern, damit dann beispielsweise solche flankierenden Wirtschaftsbereiche wie der Tourismus vernünftige Ausgangspositionen finden."
CDU und FDP hatten mit einer Stimme Mehrheit vor SPD und PDS die Regierung übernommen. Als Gomolka 1992 den Justizminister Born wegen "Illoyalität" entlässt, entzieht ihm die CDU-Landtagsfraktion unter der Führung ihres Vorsitzenden Eckhardt Rehberg das Vertrauen. Außerdem gerät Gomolka in der Werftenkrise um den Verkauf des ehemaligen Schiffbaukombinats an die Bremer Firma Vulkan unter Druck. Er tritt daraufhin am 15. März 1992 von seinem Amt zurück.
Die Diskussion um die neue Landesverfassung geht weiter. Die Bürger sind nicht so stark interessiert wie die Politiker.
Am 23. Mai 1993 beschließt der Landtag die Verfassung mit Zweidrittelmehrheit. Anderthalb Jahre später stimmen die Bürger in einem Volksentscheid dem Text mehrheitlich zu.
Die Lage und die industrielle Rückständigkeit Mecklenburg-Vorpommerns kommen der Natur zugute. Sie ist an vielen Stellen des Landes großflächig und unzerstört. Die Natur wird als "Standortfaktor" entdeckt, Politik und Wirtschaft sehen im "sanften Tourismus" einen Imagegewinn für das Land und langfristig Einnahmequellen. Die Idylle soll den Tourismus befördern und Arbeitsplätze schaffen.
1990, kurz vor der Selbstauflösung, beschließt die DDR-Volkskammer Großschutzgebiete für die Natur einzurichten; unter anderem den Nationalpark vorpommersche Boddenküste und den Müritz-Nationalpark. So wird das "Tafelsilber der Vereinigung" erhalten.
Michael Succow, inzwischen Träger des alternativen Nobelpreises, hatte sich dafür eingesetzt. Als stellvertretender DDR-Umweltminister ist er am Ziel:
"Die Naturschützer haben sich schon lange bemüht, ich habe auch vor 15 Jahren schon Eingaben an die Volkskammer gesandt, um einem Volk ein Nationalpark zu geben. Ich glaub alle Länder auf Erden haben Nationalparke, aber unsere gewesene Führung war ja sehr grün privilegiert, aber wollte nicht Nationalparke. Und nun haben wir die großartige Chance, die frei gewordenen Besitzungen dieser Leute, die eine hervorragende Natur haben, jetzt für diesen Volkswillen Nationalpark zu entwickeln."
Wie schon traditionell bleibt das Land stark abhängig von der Landwirtschaft und den Urlaubern. Vor allem die Region Vorpommern ist mit den Inseln Rügen und Usedom einer der Schwerpunkte des Tourismus in Deutschland. Aber auch die Ostseeküste mit dem Darss und die Mecklenburgische Seenplatte sind Anziehungspunkte für Erholungssuchende aus ganz Deutschland. Der Wandel zum Natururlaub dauert an, der Markt für Touristen aus dem Ausland gilt als noch entwicklungsfähig.
Nach dem Rücktritt Gomolkas 1992 wird Berndt Seite Ministerpräsident. Geboren 1940 im schlesischen Hahnswalde, gelernter Tierarzt, parteilos, trat er erst 1990 in die CDU ein. Er führt die CDU-FDP-Regierung weiter, 1994 koaliert er mit der SPD.
In Seites Amtszeit fallen die zweite Werftenkrise 1996 und: 1992 das rassistische Pogrom von Lichtenhagen. Rechtsradikale belagern die zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes im Plattenbaugebiet von Rostock. Vermeintlich biedere Bürger klatschen Beifall, auch als Steine fliegen und Molotow-Cocktails. Schließlich brennt das Gebäude. Polizei und Feuerwehr ziehen sich zurück. Führende Landespolitiker reagieren gar nicht, hilflos oder zu spät und signalisieren damit stillschweigend Einverständnis.
Seite: "Ich danke ausdrücklich den Polizeikräften für ihren aufopfernden Einsatz. Staat und Justiz werden alle rechtsstaatlichen Instrumente mit Entschlossenheit und Konsequenz einsetzen, um weitere Ausschreitungen zu verhindern und die Täter zu bestrafen."
Bei der Landtagswahl 1998, parallel zur Bundestagswahl, verliert die CDU. Die SPD unter Harald Ringstorff wird stärkste Kraft. 1939 in Wittenburg geboren, arbeitete er als Chemiker in der DDR-Schiffbau-Industrie. 1989 war er Gründungsmitglied der SDP in Rostock. Das Amt als Minister für Wirtschaft in der Großen Koalition gab er 1996 nach zwei Jahren auf und übernahm erneut den Vorsitz der SPD-Landtagsfraktion. Nun will er die PDS mit ins Regierungsboot hieven, ein Plan, der 1994 noch am Widerstand des damaligen SPD-Bundesvorsitzenden Rudolf Scharping scheiterte. Am 27. September 1998 bildet die SPD unter seiner Führung eine Koalition mit der PDS.
Er durchbricht damit ein bundesweites Tabu.
Ringstorff: "Es ist dies die erste Regierung in der Bundesrepublik, die von diesen beiden Parteien getragen wird. Wie immer, wenn es etwas neues, was bisher noch nicht da gewesenes gibt, schlugen auch bei uns die Wellen der Erregung hoch. Bereits jetzt, nach wenigen Wochen haben sich die meisten aufgeregten Stimmen wieder beruhigt. Und ich sage ihnen voraus, die verbleibenden werden sich auch noch beruhigen."
Mecklenburg-Vorpommern – mit Bindestrich, der verbindet und trennt. Mecklenburg und Vorpommern sind als Landschaften mit dem Recht auf Selbstverwaltung in der Verfassung festgeschrieben. Damit wurde nach der Wende den regionalen Identitäten Rechnung getragen. Praktisch verwirklicht wurden die regionalen Gebietskörperschaften nicht, so dass viele im Osten das Gefühl haben: "Mecklenburg vor Pommern."
Die Städte setzen wieder auf ihre Hanse-Tradition, die Stadtparlamente von Rostock, Wismar, Stralsund und Greifswald nennen sich "Bürgerschaft". Im Streit um den Sitz der Landesregierung ging Schwerin als Sieger gegen das doppelt so große Rostock hervor.
Mecklenburg-Vorpommern war und ist eine der industriell am wenigsten entwickelten Regionen Deutschlands. Traditionell stark ist nur die Werftenindustrie. Das an sich schon dünn besiedelte Land leidet weiter unter Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Einwohnerschwund; Schwerin ist keine Großstadt mehr.
Das Land setzt auf sanften Tourismus und umweltfreundliche Technologien. Die wirtschaftliche Anbindung an Skandinavien und Polen spielt eine große Rolle, die Ostseeautobahn A20 ist durchgängig befahrbar von Lübeck bis Stettin. Das Land wartet auf einen Aufschwung.