55 Jahre Mauerbau

Steile Mauer-Thesen provozieren Opferverbände

Der Regierende Bürgermeister Berlins, Müller, gedenkt der Opfer des Mauerbaus am 55. Jahrestag.
Der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, gedenkt der Opfer des Mauerbaus am 55. Jahrestag. © imago / STPP
Von Kemal Hür · 13.08.2016
Der Verein "Unentdecktes Land" hat in Berlin zur Erinnerung an die "Sicherung der Staatsgrenze der DDR" demonstriert: Die Mauer sei eine Notlösung gewesen, die DDR habe sie nicht gewollt. In der Nähe gedachten Opfervereine der Toten an der ehemaligen Grenze.
Diskussion Polizei - Demonstrant:
– "Ich müsste Sie bitten, diesen Veranstaltungsbereich zu verlassen."
– "Handeln Sie jetzt aus eigener Initiative, oder hat sich der Veranstalter beschwert?"
– "Der Veranstalter hat sich beschwert…"
Der Mann, den die Polizistin bittet, sich zu entfernen, ist Karl-Wolfgang Holzapfel, Vorsitzender der "Vereinigung 17. Juni 1953". Er hält ein Schwarz-Weiß-Foto hoch, auf dem ein toter Mann hinter einem Stacheldraht zu sehen ist.
"Das ist ein Foto von der Ermordung Peter Fechters, der am 17. August 1962 an der Mauer nahe dem Checkpoint Charlie erschossen wurde und verblutet ist. Und wir gehen spontan mit diesem Foto hierher zu der Demo, weil wir kritisieren, dass hier behauptet wird: Die Mauer ist gefallen, nur damit wieder Kriege geführt werden. Und das ist eine Unverschämtheit angesichts der vielen Toten an der Mauer. Dagegen wehren wir uns."
Holzapfel und einige andere, die ähnliche Fotos mitgebracht haben, protestieren am Brandenburger Tor gegen eine Kundgebung des Vereins "Unentdecktes Land". Die These, die Holzapfel unverschämt findet, steht auf einem etwa 50 Meter langen Transparent, das die Mitglieder des Vereins im Halbkreis hochhalten. Darauf steht: "Diese Grenze wurde aufgehoben, damit wir gemeinsam wieder in den Krieg ziehen." Der Sprecher des Vereins, Ringo Ehlert, nennt die Kundgebung eine "antimilitaristische Aktion". Deutschland sei seit dem Mauerfall wieder eine Kriegsnation. Dagegen richte sich die Aktion. Das bedeute aber nicht, dass sich sein Verein die Mauer zurück wünsche, so Ehlert:
"Die DDR wollte diese Mauer nicht. Es war eine Notlösung. Die DDR wollte ja eine Lösung haben, ein einheitliches, demokratisches, entmilitarisiertes Deutschland. Diese Notlösung musste ja sein, weil der Westen praktisch mit einer separaten Währungsunion und mit massiven Sabotageakten, auch mit massivem Abzug von Arbeitskräften den Staat DDR dazu gebracht hat, dass er ausblutet. Und er musste aus ökonomischen Gründen diese Mauer errichten."
Zynische Worte in den Ohren der Menschen, die nur hundert Meter weiter der Menschen gedenken, die bei ihrem Fluchtversuch an der Mauer erschossen wurden. Unmittelbar vor dem Brandenburger Tor stehen zwei graue Kasten-Wagen der Stasi. Darin wurden Gefangene transportiert. Heute am Jahrestag des Mauerbaus stehen sie hier zur Besichtigung.

Die Schuld soll letztlich bei den Opfern liegen

Mehrere Opfervereine erinnern an den 13. August 1961 und die Folgen der deutschen Teilung. Der Vorsitzende der "Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft" und Vizepräsident des Brandenburgischen Landtags, Dieter Dombrowski, kann es nicht fassen, dass 27 Jahre nach dem Fall der Mauer einige immer noch die DDR-Diktatur verteidigen:
"Das macht mich nicht wütend, das macht mich traurig, dass es Menschen gibt, die auch heute das Schießen auf Menschen als deren eigenes Verschulden letztendlich karikieren und nicht die Schuld sehen bei dem Staat, der die Menschen daran gehindert hat, ihre bürgerlichen Rechte wahrzunehmen und zum Beispiel zu reisen."
Dombrowski erinnert nicht nur an die Toten an der Mauer. Er setzt sich auch für eine Entschädigung und Rehabilitation von Opfern des DDR-Regimes ein. So gebe es nach wie vor Nachteile bei der Rente. Auch solle sich der Staat nicht nur auf das Gedenken beschränken, sagt Dombrowski.
"Gedenken ist wichtig, aber es müssen auch die berechtigten Belange von Opfern nicht als unerfüllbar hingenommen werden, sondern man muss sich damit beschäftigen. Die Politik ist im Moment dazu nicht bereit. Nehmen wir das Thema Zwangsarbeit zum Beispiel; hier ist null Bereitschaft bei der Politik, sich damit zu beschäftigen, das Thema Zwangsarbeit auch sei es ideell oder materiell abzugelten."
In Berlin wurde heute mit zahlreichen Veranstaltungen an den Beginn des Mauerbaus vor 55 Jahren erinnert. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller legte an der Gedenkstätte Bernauer Straße in Erinnerung an die 138 Opfer der Mauer einen Kranz nieder.