525 Jahre nach Vertreibung der Juden

Eine Synagoge für Palermo

Evelyne Aouate (in der Mitte) mit Mistreitern des "Sizilianischen Instituts für jüdische Studien" – und der gestifteten Menorah
Evelyne Aouate (in der Mitte) mit Mistreitern des "Sizilianischen Instituts für jüdische Studien" - und einer Menorah © Igal Avidan
Von Igal Avidan · 16.09.2018
Eine jüdische Gemeinschaft auf Sizilien hofft auf ein eigenes Gotteshaus. Eine katholische Kapelle könnte zur Synagoge umgewidmet werden - 500 Jahre nach der Vertreibung der Juden von der Mittelmeerinsel durch die damaligen spanischen Herrscher.
Wenn Massimilano Mazzola durch die stillgelegte Kapelle St. Maria del Sabato führt, fällt er auf. Denn der 31-jährige Katholik trägt eine Kippa auf dem Kopf. Er studiert Hebräisch und lernt die jüdischen Speisevorschriften – Mazzola will jüdisch werden. Damit ist er ein Hoffnungsträger für die kleine Gruppe in Palermo. Denn diese kämpft darum, in der verwaisten Kirche die erste Synagoge auf Sizilien seit der Vertreibung der Juden vor über 500 Jahren zu errichten.
Mazzola liest den Text von der Marmortafel im Eingangsraum vor, die auf die christlichen Stifter zurückgeht, die hier früher am Samstag eine Armenküche betrieben:
"Die Samstagsgemeinde gründete im August 1601 zu ihrer eigenen Erbauung und zur Verehrung der Mutter Gottes dieses heilige Oratorium Marias".

"Ich dachte, die einzige Jüdin in Palermo zu sein"

Massimiliano Mazzola kommt im Auftrag der prominentesten Jüdin auf Sizilien, Evelyne Aouate. Die pensionierte Geschäftsfrau, die in Paris aufgewachsen ist, gründete 1991 das "Sizilianische Institut für jüdische Studien", dessen Präsidentin sie heute ist.
Aouate: "25 Jahre lang dachte ich, dass ich die einzige Jüdin in Palermo sei. Dann stellte ich auf einmal fest, dass dies nicht stimmt, denn ich begegnete anderen Juden. Erst durch das Institut begannen wir, gemeinsam und privat jüdische Feiertage zu begehen."

Der Pastor ist solidarisch

Und das mit Hilfe des Rabbiners Pierpaolo Punturello, der vom israelischen Verein "Shavei Israel" zur Betreuung der kleinen jüdischen Gruppe entsandt wurde. Ihre Feste können die einheimischen Juden seit einigen Jahren im Versammlungssaal der Waldenser-Kirche feiern. Der evangelische Pastor Peter Ciaccio solidarisiert sich mit den Juden, denn auch seine kleine Gemeinde musste jahrelang von einem gemieteten Saal zum anderen umziehen, bevor sie eine eigene Kirche bauen konnte.
Ciaccio: "Als unsere jüdischen Freunde uns baten, den Shabbat oder das Pessachfest bei uns zu feiern, habe ich gleich zugesagt. Rabbiner Punturello erzählte mir, dass, als die Alliierten 1943 nach Palermo kamen, sie nach einem Ort suchten, wo ihre jüdischen Soldaten das Pessachfest feiern konnten. Das taten sie ausgerechnet in dieser Kirche!"

Aufarbeitung der judenfeindlichen Geschichte Siziliens

Doch die jüdische Gruppe will nicht immer nur zu Gast sein. Deswegen fragte Evelyne Aouate Anfang 2017 beim Erzbischof von Palermo Corrado Lorefice nach, ob die Juden in der ehemaligen katholischen Kapelle eine Synagoge einrichten dürften. Drei Wochen später kam die positive Antwort. Für Pfarrer Pietro Magro, der den interreligiösen Dialog im Bistum leitet, ist dies Teil der Aufarbeitung der judenfeindlichen Geschichte Siziliens, die in der Vertreibung 1493 kulminierte.
Magro: "Wir als christliche Gemeinde und ich persönlich bedauern sehr, dass die Juden in jener Zeit aus Sizilien verjagt worden sind. Hier war 1492 die größte jüdische Gemeinde in Europa! Der Erzbischof beabsichtigt, diese Wunde zu heilen. Er will, dass diese kleine Gemeinschaft von Juden den hier seit 1493 abgebrochenen Weg wieder aufnehmen kann."

"Das erste Mal, das die Kirche den Juden etwas gibt"

Doch dieser Weg ist voller Hindernisse. Die Juden von Palermo werden zwar die katholische Kapelle frei nutzen dürfen, diese bleibt aber weiterhin kirchliches Eigentum. Nach zähen Verhandlungen wurde die Nutzung im September 2017 vertraglich festgelegt. Evelyne Aouate erklärt:
"Ein kirchliches Gesetz begrenzt den Verkauf von Immobilien und erlaubt die Nutzung für maximal neun Jahre. Ich wollte einen Vertrag für 30 Jahre, habe aber schließlich einem für zweimal neun Jahre zugestimmt, also insgesamt 18 Jahre. Aber das ist immerhin das erste Mal, dass die Kirche den Juden irgendetwas gibt."

Vertragspartner des Erzbistums ist die Jüdische Gemeinde in Neapel, 750 Kilometer entfernt und doch von Palermo aus die nächste eingetragene jüdische Gemeinde. Über den provisorischen jüdischen Bet- und Versammlungsort in der Kapelle, italienisch "Oratorio", freut sich die pensionierte Unternehmerin Sylvia Kary. Sie pendelt zwischen Deutschland und Palermo und unterstützt Evelyne Aouate tatkräftig, damit diese eine selbstständige jüdische Gemeinde gründen kann.
Pfarrer Pietro Magro
Pfarrer Pietro Magro© Igal Avidan
"Ich warte darauf, dass wir eine echte Synagoge haben, die uns wirklich gehört. Aber für mich ist eine Zwischenlösung mit dem Oratorio besser als nichts. Aber bevor wir eine Synagoge haben, müssen wir erst einmal eine unabhängige jüdische Gemeinde werden. Und das bedeutet im Klartext, dass wir einen Minjan brauchen, das heißt, zehn Männer, zehn jüdische Männer."

Den orthodoxen Regeln folgen

Die 72-jährige Sylvia Kary und ihre 77-jährige Freundin, beide liberale Jüdinnen, müssen den Regeln der orthodox ausgerichteten Union der jüdischen Gemeinden in Italien folgen, um eine Synagoge errichten zu können.
Kary: "Ohne Minjan können wir keine jüdische Gemeinde gründen, ohne jüdische Gemeinde können wir nicht eine juristische Form gründen, ohne eine juristische Form können wir nichts fordern. Ohne was zu fordern können wir nichts kaufen."
Doch der Umbau zur Synagoge ist aufwendig: Das Kreuz über dem Eingang müsste entfernt, ein Thoraschrank eingebaut und Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Als anerkannte jüdische Gemeinde in Palermo könnte die kleine Gruppe den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangen und öffentliche Gelder für den Bau einer Synagoge erhalten.

Straßenschilder auf Hebräisch im jüdischen Viertel

Die Stadt Palermo begrüßt jedenfalls ihre Initiative, die zum wachsenden touristischen Interesse an der jüdischen Geschichte Siziliens passt. Bereits Ende der 1990er Jahre wurden im früheren jüdischen Viertel, der Giudecca, Straßenschilder auf Hebräisch installiert. Der weltoffene Bürgermeister Leoluca Orlando, der in Deutschland studiert hat, darf dennoch nicht den Stadthaushalt für die Synagoge bemühen.
Orlando: "Die Stadtverwaltung kann nicht für das Eigentum von Anderen Geld bezahlen, aber wir haben versucht einen Sponsor zu finden. Ich denke, wir müssen zusammen mit dem Institut, das heißt zusammen mit Evelyne, eine Pressekonferenz organisieren und fragen: Wer ist bereit, einen Beitrag zu geben?"

Eine amerikanische Jüdin spendete

Die Bemühungen um eine neue Synagoge in Palermo bewegten schon eine amerikanische Jüdin so sehr, dass sie eine handgeschriebene, sehr teure Thorarolle spenden will. Jemand anders schenkte eine Menorah, die Evelyne Aouate stolz beim Gespräch präsentiert. Sie ist zuversichtlich, dass man zehn jüdische Männer in Sizilien finden kann, die in Palermo eine Gemeinde gründen:
"Wir sind nicht die einzigen Juden auf Sizilien. Auch in Sirakus und Katania leben einige. Wenn wir Shabbat in der Synagoge feiern würden, könnten wir diese ‚neuen Juden’ einladen und bestimmt das nötige Quorum von zehn jüdischen Männern, den Minjan, erreichen."
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