500 Jahre Luther vor dem Reichstag

Der Vater der Gedankenfreiheit

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"Luther vor Kaiser und Reich" - Gustav Königs Radierung von 1847 zeigt Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521
Hier wollte zum ersten Mal einer durchsetzen: "Ich darf denken, was ich will", meint Luther-Experte Joachim Knape über den Auftritt des Reformators beim Wormser Reichstag. © picture alliance / akg-images
Joachim Knape im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 16.04.2021
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Mit seiner Standhaftigkeit und dem Mut, für seine Überzeugungen einzutreten, ist Martin Luther auch heute noch ein Vorbild, findet der Rhetorikprofessor Joachim Knape. Doch das heißt nicht, dass sich heutige "Querdenker" auf Luther berufen könnten.
"Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen." Diese Sätze soll Martin Luther gesagt haben, als er vor genau 500 Jahren vor den Reichstag nach Worms zitiert wurde, um seine Thesen zu widerrufen.
Ob Luther das wirklich wörtlich so ausgedrückt hat, lasse sich angesichts von mindestens fünf überlieferten Varianten nicht nachweisen, sagt Joachim Knape, Seniorprofessor für allgemeine Rhetorik in Tübingen und Autor des Buches "1521: Martin Luthers rhetorischer Moment oder Die Einführung des Protests".

Gedankenfreiheit – das war damals etwas Neues

Aber zumindest sinngemäß stimmt das Zitat. Und das macht Luther zwar vielleicht nicht zum Vater der Meinungsfreiheit, aber doch zu dem, der in Sachen Gedankenfreiheit den Anfang machte.
Denn hier, so Knape, wollte zum ersten Mal einer durchsetzen: "Ich darf denken, was ich will." Das war aus damaliger Sicht keineswegs selbstverständlich.
"Im sozialen Bewusstsein damals war eigentlich die Grundauffassung, und da hat eigentlich zunächst auch niemand dran rütteln dürfen: Man darf nur denken, was alle denken, oder was die zuständige Wahrheitsagentur einem erlaubt zu denken, also in diesem Fall die Kirche."
Luthers Standhaftigkeit und dass er bereit war, sein Leben für seine Überzeugungen in die Waagschale zu werfen, findet Knape vorbildlich.

Ist das Narrenfreiheit oder Bürgerfreiheit?

Doch heißt das auch, dass jeder, der seine Meinung standhaft gegen Widerstände vertritt, mit Recht die Luther-Pose "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" für sich beanspruchen kann? So wie es manche gleichsam tun, die derzeit gegen die Coronaregeln protestieren?
Allein, dass solche Querdenker-Demonstrationen in großer Zahl stattfinden könnten, sei doch der Beweis, dass wir in ganz anderen freiheitlichen Verhältnissen lebten, wendet Knape ein. Er finde es auch nicht schlecht, dass die Politiker in den verschiedenen Städten mit einer gewissen Toleranz auf diesen Ausdruck von, sei es Narrenfreiheit oder Bürgerfreiheit, reagierten. "Denn ich meine, irgendwie gibt es vielleicht auch ein Recht auf Selbstgefährdung durch Ansteckung in diesen Gruppen."
(uko)

Joachim Knape: "1521: Martin Luthers rhetorischer Moment oder Die Einführung des Protests"
De Gruyter, Berlin 2017
366 Seiten, 51,95 Euro

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