50. Todestag von Frank O'Hara

Gedichte als Ersatz für Telefonate

Der Eingang zum MoMa - Museum of Modern Art - in New York City.
Frank O'Hara arbeitete im Museum of Modern Art in New York City. © imago/Levine-Roberts
Von Ruth Fühner · 25.07.2016
Musik, Tanz und die bildende Kunst waren seine großen Lieben - und den Stoff zu seinen Gedichten fand Frank O'Hara auf der Straße. Eines seiner bekanntesten entstand auf der Staten Island Fähre, auf dem Weg zu einer Lesung. Vor 50 Jahren starb der Lyriker durch einen Unfall.
"Lana Turner ist zusammengebrochen!
Ich trottete so daher und plötzlich
Fing es an zu regnen und zu schneien
Und du sagtest es würde hageln
Aber Hagel schlägt dir auf den Kopf
Hart, also schneite und regnete es
Tatsächlich und ich war so in Eile
Dich zu treffen doch der Verkehr
Benahm sich genauso wie der Himmel
Und plötzlich sehe ich eine Schlagzeile
Lana Turner ist zusammengebrochen!"
Schnee über Manhattan, ein Mann hastet zu einem Treffen, eine Schlagzeile trifft in die Magengrube: das Gedicht vom Zusammenbruch der Hollywood-Ikone Lana Turner ist Frank O'Hara pur. Urban, unmittelbar, durchlässig fürs Triviale und die Populärkultur - und vor allem: an ein Du gerichtet. Frank O'Hara war ein begnadeter Kommunikator, er war fast ständig verliebt (immer in Männer), und viele seiner Gedichte waren schlicht Ersatz für ein Telefongespräch.

Vom Postkartenverkäufer zum Kurator

Geboren 1926 in Baltimore, wollte O'Hara eigentlich Konzertpianist werden. Seine ersten Gedichte veröffentlichte O'Hara als Student, und als er 1951 nach New York kam, schloss er sich einem Kreis an, der als New York School of Poets berühmt werden sollte. Aber der fast noch wichtigere Impuls kam aus der Begegnung mit der bildenden Kunst. In diesem Fall war es das Museum of Modern Art, das zum Schauplatz einer typisch amerikanischen Karriere wurde: vom Postkartenverkäufer zum Kurator. Hier schloss O'Hara Freundschaft mit den künftigen Stars der Avantgarde - von Willem de Kooning über Jackson Pollock bis Jasper Johns.
"Wir …, die Dichter, verbrachten einen Teil unserer Zeit in der Bar der Literaten, dem San Remo, und den anderen in der Bar der Künstler, der Cedar Tavern. Im San Remo diskutierten wir und tauschten den neuesten Klatsch aus; in der Cedar Tavern schrieben wir oft Gedichte, während wir den Diskussionen und dem Klatsch der Künstler zuhörten ... Ein interessanter Nebenaspekt dieser sozialen Aktivitäten bestand darin, dass die meisten von uns … Dichtern in den Malern das einzige offene Publikum für unsere Gedichte fanden."
Und O'Hara versuchte in Worte zu fassen, was er bei seinen Malerfreunden sah. Nicht nur in Essays und Kritiken, auch in Gedichten:
"Mike Goldberg fängt zum Beispiel
Ein Bild an. Ich komme zufällig rein.
‚Setz dich und nimm einen Schluck', sagt
Er. Ich trinke; wir trinken. Ich blicke
Auf. ‚Du hast ja SARDINEN dadrin.'
‚Ja, irgend was musste dahin.'"
Heißt es in der Übersetzung von Rolf Dieter Brinkmann.

In der Mittagspause gekritzelt

1965 erschien die legendäre erste Gedichtsammlung O'Haras - die "Lunch Poems", so genannt, weil er sie während seiner Mittagspause am MoMA schrieb.
"Ich hab Mittagspause und da geh ich
Spazieren zwischen den bienengelben
Taxis. Zuerst den Bürgersteig runter
Wo Arbeiter ihren dreckig
glänzenden Torso mit Butterbroten
und Coca-Cola füttern, gelbe Helme
auf. […]
Dann auf der
Hauptstraße, wo Röcke um Knöchel
Wippen und über Luftschächte hoch
Geblasen werden."
Als Student hatte O'Hara mit einer Vielfalt poetischer Formen experimentiert. Seine späteren Gedichte aber folgten keinem Gesetz mehr, sondern dem zufälligen Eindruck. Sie entstanden wie nebenbei, auf der Straße, im Büro oder in der Kneipe.
"Ich glaube nicht an Gott, also brauche ich nicht Strukturen anzufertigen, die sich ausgearbeitet anhören … ich liebe nicht mal Rhythmen, Assonanzen und all den Kram … Das Gedicht befindet sich schließlich zwischen zwei Personen anstatt zwischen zwei Seiten. Mit aller Bescheidenheit gebe ich zu, dass es der Tod der Literatur sein könnte, so wie wir sie bislang kennen."

Eine Provokation für die Zeitgenossen

O'Haras scheinbar formlose Mischung aus Alltagsbanalität und Witz, Reportage und surrealen Bildern wirkte provokant auf die Zeitgenossen - und begründete, für ihn einigermaßen überraschend, seinen Ruhm. Auf einmal wollten alle seine Gedichte lesen – aber woher nehmen? Jahrelang hatte er sie achtlos in Manteltaschen, Küchenschubladen und Umzugskisten gestopft. Dazu, diesen Wust zu ordnen, sollte er nicht mehr kommen.
Erst 40 Jahre alt, wurde Frank O'Hara am 25. Juli 1966 bei einem nächtlichen Spaziergang am Meer von einem Strandtaxi überfahren. Seine Künstlerfreunde, zu deren Ruhm er nicht unerheblich beigetragen hatte, sorgten dafür, dass sein Werk zugänglich gemacht und weiterverbreitet wurde.