50 Jahre Musical „Haare“

Jahrmarkt für die protestierende Jugendseele

Das Ensemble des Musicals "Haar" in München im Jahr 1968.
Das Ensemble des Musicals "Haare" in München im Jahr 1968. © imago / United Archives
Von Laf Überland · 24.10.2018
Ein Musical, das neue Facetten in der Popkultur eröffnete: „Haare“, die deutsche Adaption des amerikanischen Vorbilds "Hair" wurde vor 50 Jahren das erste Mal aufgeführt. Ein Stück, das die damalige Wert- und Moralvorstellung der Gesellschaft revolutionierte.
Darsteller mit nackter Haut und wirrem Haar, bei buntem Licht und lauter Musik, riefen zu Orgien, Drogengenuss und "Rassenvermischung", wie man damals noch sagte, auf:
"Hair" kam aus Amerika, wo zumindest in San Francisco das Hippietum der Freizügigkeit und Freiheit gerade zu Grabe getragen worden war. Aber in New York hatte am Broadway die bürgerlich-kompatible Zweitnutzung des Aufbruchsgefühls große Erfolge gefeiert!
Dieses schillernde, bunte Kuddelmuddel von lauter freundlichen Menschen, die viel Musik hörten und liebenswerte esoterische Religionen vor sich hertrugen, die hübsch aussahen und sehr exotisch: Das war der Grundstoff für ein marktträchtiges Musical - und vor allem traten diese Hippiewesen in der Regel ja in ganzen Herden auf, was für die Bühne sehr effiziente Ballettszenen versprach.

Der Startschuss für "Haare"

Von der amerikanischen Originalfassung kamen nach Deutschland kaum mehr als die Hits: "Let the sunshine in" und "Aquarius". Aber sechs Monate nach dem Start am Broadway brachte der Showbetrieb der Unterhaltungsindustrie das Musical über die rebellische Subkultur auch in die Bundesrepublik als "Haare"!
"Haare" war ein Jahrmarkt für die sehnsüchtig protestierende Jugendseele, und es wurden ja alle brennenden Themen abgehandelt wie in einem Katalog der Subkulturideen: Umwelt, Gleichheit, Wehrdienst. Ja, und auch Drogen und das alle Erlösung versprechende Wassermannzeitalter!

Auch was für Mama und Papa

Zwar war gesellschaftlich für die Durchsetzung der freieren Liebe eher Oswalt Kolle zuständig, für die Militärproblematik die Kriegsdienstverweigerer und für die saubere Luft die Bürgerinitiativen - aber das ursprünglich ziemlich aggressive, jedoch lieblich eingedeutschte Musical konnte bei jedem ankommen! Besorgte Mütter stellten fest: Ach, so schlecht sind die gar nicht. Väter sahen: Auch da gibt’s Patrioten und Nicht-Arbeitsscheue.
Und zur Sicherheit waren im Booklet der deutschen Plattenaufnahme dann wertvolle Erklärungen "Zur Analyse der Hippie-Philosophie" abgedruckt sowie ein Reklamegedicht für Poly-Haarkosmetik: "Herrlich ist's, nach haar'gen Träumen Haar für Haar mal durchzuschäumen, zu frisieren, zu blondieren, ondulieren, schön zu pflegen und zu legen, wenn es stumpf und traurig spricht: Vergiß mich nicht! Vergiß mich nicht!"
Donna Gaines - machte später mit anderer Musik als Discoqueen Donna Summer Karriere, aber Su Kramer sang schon bald in der ZDF-Hitparade "Warum sind Menschen nur so herzlos" mitten hinein in die Würstchen und den Kartoffelsalat auf dem Wohnzimmertisch. Und Dieter-Thomas Heck lobte dann ihr soziales Engagement.

Der Trost für verunsicherte Jugendliche

Ganz schnell gehörte Haare zum Unterhaltungskanon der "Lange-Haare-aber-gepflegt!-Umbruchsgesellschaft". Und die schärfsten politischen Spitzen hatte der Regisseur ja sowieso aus dem deutschen Text gestrichen, weshalb die Übersetzer des Stückes vorm Premierentheater Flugblätter gegen die Verniedlichung verteilten!
Aber von all dem kriegte der Jugendliche draußen im Lande nichts mit – erst recht, als eben die Langspielplatte die frohe Botschaft verteilte: Für die langhaarigen, schrecklich jungen und verunsicherten Gymnasiasten war Haare in jener durcheinanderen Zeit ein echter Trost!
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