50 Jahre "Großgörschen 35"

"Weg, sich in den Kunstmarkt einzuschleichen"

Das Ölgemälde "Asphalt" des Malers Tim Eitel, ausgestellt in der Kunsthalle Tübingen (2008).
Der Künstler Tim Eitel gehörte mit seinen Gemälden zu den Künstlern, die Christian Ehrentraut Mitte der 2000er-Jahre in der Produzentengalerie Liga vertrat. © picture alliance / dpa / Marijan Murat
Moderation: Britta Bürger · 05.06.2014
Der Galerist Christian Ehrentraut arbeitete einst für die kommerziell geführte Produzentengalerie Liga, um die herum der Leipziger-Schule-Boom entstand. Er sieht in dieser Organisationsform ein ideales Experimentierfeld - für Künstler und Galeristen.
Britta Bürger: Es begann in einer Fabriketage in Berlin-Schöneberg. Vor 50 Jahren gründete sich dort eine Selbsthilfegalerie Berliner Künstler, benannt nach ihrer Adresse, "Großgörschen 35". Ab heute erinnert das Berliner Haus am Kleistpark mit einer Ausstellung an diese erste deutsche Produzentengalerie nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Künstler organisierten und finanzierten ihre Galerie selbst, und dabei konnte es, wie im Fall des Malers Markus Lüpertz, durchaus mal zu offenen Rechnungen kommen:
Großgörschen 35 – Thorsten Jantschek über die legendäre Produzentengalerie, die vor 50 Jahren in Berlin gegründet wurde und jetzt in einer Ausstellung im Berliner Haus am Kleistpark gewürdigt wird. Damals, in den politisch aufgeheizten 60er-Jahren, war dieses Modell ja verbunden mit einem dezidiert antikapitalistischen Anspruch. Doch welches Motiv und welche Bedeutung haben Produzentengalerien eigentlich heute in einer Zeit, in der der Kunstmarkt zur milliardenschweren Goldgrube geworden ist. Das habe ich den Galeristen Christian Ehrentraut gefragt. Er hat selbst Anfang der 2000er-Jahre die Produzentengalerie Liga gemanagt, aus deren Umfeld der Malereiboom der Neuen Leipziger Schule entstand. Gab es bei den Leipziger Künstlern auch noch diese politisch motivierte Distanz zum Kunstmarkt, oder ging es genau darum, möglichst schnell in den Markt hineinzukommen?
Christian Ehrentraut: Ich glaube, das liegt immer ganz, ganz nahe beieinander. Sobald man eine Galerie gründet, möchte man natürlich auch ein Publikum erreichen, und im Zweifelsfall auch ein Publikum, das Geld bezahlt für die Arbeiten, die produziert werden von den Künstlern. Und auch bei Großgörschen damals war durchaus auch der Anspruch da, Arbeiten zu verkaufen, aber eben nicht über die klassischen Kanäle, in denen Kunst vermittelt worden ist, und in den etablierten Galerieformen.
Bei uns war es damals ähnlich und gleichzeitig ganz anders. Die Künstler sind alle gerade von der Hochschule in Leipzig gekommen, haben ihre Diplom- und Meisterschülerprüfungen hinter sich gehabt, hatten keine Galerierepräsentationen, aber natürlich das Bedürfnis, ihre Arbeiten auch einer Öffentlichkeit zu zeigen. Als Galerie ist es ganz häufig so, bei den etablierten Galerien, dass die Künstler Tag für Tag reinkommen, ihre Mappen präsentieren möchten und ausgestellt werden wollen. Und um aus dieser Verlegenheit rauszukommen, gab es eben die Initiative von den Künstlern, das in die eigene Hand zu nehmen, eben auch, wie damals bei Großgörschen, Geld zusammenzulegen, einen Raum anzumieten und jemanden zu suchen, der für sie die Galeriearbeit macht. Das war in dem Fall ich.
Ziel: Biografien aufpolieren
Es war angelegt über zwei Jahre, und innerhalb von diesen zwei Jahren gab es natürlich einerseits das Ziel, dass man zwei Einzel- und zwei Gruppenausstellungen jeweils machen würde für die Künstler innerhalb von diesen zwei Jahren, um einfach die Biografie aufzupolieren. Wo man schreiben konnte, es gab eine Einzelausstellung in Berlin, was damals natürlich gerade der boomende Ort gewesen ist, und eben nicht in Leipzig, wo die Leute damals überhaupt nicht hingekommen sind. Und natürlich auch ein Publikum anzuziehen, das man nicht mit einer temporären kleinen Ausstellung machen könnte und was man nicht bekommen hätte.
Bürger: Sie haben gesagt, das war temporär angelegt auf zwei Jahre, also von vornherein klar, dass da noch was anderes passieren muss. Ist ja dann auch, wie im Fall von Künstlern wie David Schnell oder Matthias Weischer, die ziemlich schnell dann zu der Galerie Eigen+Art gewechselt sind. War also die Produzentengalerie so eine Art Sprungbrett?
Ehrentraut: Auf jeden Fall. Sprungbrett und Experimentierfeld, in dem man sich in einem bestimmten Schutzraum auch ausprobieren konnte. Wo man einfach probieren konnte, wie Ausstellungen überhaupt aufgebaut werden können. Wie man Sachen in den Fokus rückt, und wie natürlich auch Kunstmarktmechanismen funktionieren. Wir hatten die glückliche Situation, dass wir einfach ein Publikum erreicht haben, das sehr schnell für uns Werbung gemacht hat, und wo es sich dann herumgesprochen hat, da gibt es etwas Interessantes zu sehen, was eben auch auf Künstlerinitiative fußt.
Bürger: Wie basisdemokratisch, wie kollektiv war dieses Unternehmen? Wie viel Zeit mussten Künstler da noch reinpumpen? Gab es da so regelmäßige Treffen, bei denen man alles gemeinsam …
Ehrentraut: Es gab regelmäßige Treffen, aber die Künstler haben tatsächlich ihre Aufgabe darin gesehen, die Kunst zu produzieren und haben eben in dem von ihnen angestellten Galeristen eine Person gehabt, die alles Administrative gemacht hat.
Bürger: Sie waren sozusagen Teil des Kollektivs?
Angestellt vom Kollektiv
Ehrentraut: Ich war angestellt vom Kollektiv. Und das ist, wie gesagt, der große Unterschied zu vorherigen Produzentengalerien, dass wirklich die Künstler sich jemanden suchen, der für sie so was macht. Und ich hatte eben schon ein bisschen Kunstmarkterfahrung durch eine Zusammenarbeit und durch eine Mitarbeit bei Eigen+Art, bei der Galerie von Judy Lybke.
Bürger: Es gab ja schon eine ganze Reihe sehr erfolgreicher Produzentengalerien in Berlin, zum Beispiel die Galerie Amerika oder Diskus. Wie attraktiv sind solche Produzentengalerien eigentlich für Sammler? Hofft man, dort früh Arbeiten künftiger Stars kaufen zu können, oder wird dort generell eigentlich erst mal sehr wenig ge- und verkauft und eher eben, wie Sie es auch beschrieben haben, Werbung in eigener Sache gemacht?
Ehrentraut: Ich glaube, Liga hatte damals wirklich eine Vorreiterrolle, und nach diesem Modell Liga haben sich dann eine ganze Reihe Galerien auch gegründet von 2002 bis 2005, 2006 ungefähr. Ich glaube, der große Vorteil von diesem Modell nach wie vor ist, dass man tatsächlich einen ganz klaren roten Faden hat, eine ganz klare programmatische Ausrichtung. Das war bei Diskus so, das waren eben die Dresdner Bildhauer. Es war bei Amerika damals so, das waren die Foto- und Medienkünstler, die von der Leipziger Akademie gekommen sind. Bei uns, bei Liga, wie gesagt, das ist das Ursprungsmodell von dieser kommerziell geführten Produzentengalerie, die Leipziger Maler.
Bürger: Produzenten aller Schulen, vereinigt euch. Die Produzentengalerie als Sprungbrett für Künstler, das ist unser Thema hier im Deutschlandradio Kultur. Wir sind im Gespräch mit dem Berliner Galeristen Christian Ehrentraut. Der Projektraum, das ist jetzt eigentlich der neuere Trend, die sogenannten Off-Spaces. Es gibt sogar schon eine eigene Website, auf der alle nichtkommerziellen Kunsträume und Ausstellungsflächen in Berlin aufgelistet sind. Inwieweit ist jetzt der Projektraum die Weiterführung des Modells Produzentengalerie?
Ehrentraut: Der Projektraum hat immer schon bestanden und immer auch parallel bestanden zu den Galerien, und ich glaube, dass die Produzentengalerie wirklich eher zu den Galerien zugehörig ist denn zu den Projekträumen. Es war ja wirklich eher eine Auswucherung von der Galerielandschaft. Die Arbeit der Projekträume und der Künstlerräume, Projekte wie das Forgotten Bar Project oder die Galerie im Regierungsviertel sind nach wie vor sehr, sehr engagiert und sehr, sehr wichtig für die Szene, innerhalb der Szene, und sind natürlich auch viel, viel offener.
Bürger: Warum haben Sie selbst die Seite gewechselt? Was hat Ihnen nicht gefallen am Modell?
"Das war eine Art von Ausbildung für mich"
Ehrentraut: Ich bin immer auf der Seite geblieben! Es war eben ein Experimentierfeld nicht nur für die Künstler, sondern natürlich auch für den Galeristen. Als wir das gemacht haben, waren wir alle Anfang 20, waren gerade noch in der Akademie oder an der Universität – das war tatsächlich eine Art von Ausbildung für mich auch, wo ich erst mal dann tatsächlich auch im geschützten Raum als angestellter Galerist erst mal probieren konnte, wie funktioniert das denn. Und ich glaube, eine ganz, ganz wichtige Schule für das, was ich heutzutage auch mache.
Bürger: Der Kunstmarkt lebt ja auch von diesem riesigen Messezirkus. In zwei Wochen wird man das wieder auf der Art Basel erleben, der bedeutendsten Kunstmesse der Welt. Haben Produzentengalerien da überhaupt eine Chance, mitzumischen, also kann eine Produzentengalerie auf lange Sicht auch ein Modell sein, das auf dem Kunstmarkt finanziell richtig erfolgreich ist?
Ehrentraut: Die Produzentengalerie ist tatsächlich ein Weg, um sich in diesen Kunstmarkt einzuschleichen und tatsächlich die Aufmerksamkeit, die man da generiert, zu nutzen, um Kontakte zu etablieren zu den großen Galerien, zu den entscheidenden Kuratoren, zu den entscheidenden Sammlern. Das funktioniert eben leider nicht über den Einzelkämpferkünstler, der versucht, wirklich mit der Mappe unterm Arm, mit dem Portfolio unter der Hand Klinken zu putzen in allen Galerien, um sich vorzustellen, sondern es funktioniert wirklich nur, indem man selbst etwas macht, indem man auf sich aufmerksam macht. Es funktioniert natürlich längerfristig besser als innerhalb von einer ganz kurzen Zeit. Es funktioniert länger in einem Projekt von zwei Jahren, wenn man da einfach tatsächlich was aufbauen kann, einen Besucherstamm und einen Kundenstamm aufbauen kann, denn innerhalb von einer Ausstellung, die jetzt ein Wochenende während des Gallery-Weekends läuft.
Bürger: Müsste eigentlich an der Kunsthochschule mit gelehrt werden, wie gründe ich eine Produzentengalerie.
Ehrentraut: Es gibt tatsächlich Ende des Monats eine Sommerakademie in Venedig, wo ich tatsächlich zusammen mit Judy Lybke auch als Dozent eingeladen bin, wo es einen Lehrblock gibt, der sich nennt "Die Karriere des Künstlers" und wo es tatsächlich um die Gründung einer Produzentengalerie gehen soll.
Bürger: Der Galerist Christian Ehrentraut über das Modell Produzentengalerie. Haben Sie vielen Dank fürs Gespräch!
Ehrentraut: Gern!
Bürger: Und wer sich noch mehr für die Historie interessiert, dem sei der Besuch im Berliner Haus am Kleistpark empfohlen. Dort wird heute diese Ausstellung über die legendäre Produzentengalerie Großgörschen 35 eröffnet, ist dann bis zum 10. August zu sehen, und im Verlag Walter König ist dazu auch ein umfangreicher Katalog erschienen.
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