450 Jahre Staatskapelle Berlin - Im Klang der Zeit

Von der Hofcapelle zum Orchester-Weltstar

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Musiker der Staatskapelle Berlin laufen vor dem Opernhaus mit ihren Instrumenten auf den Bebelplatz.
Das Haus Unter den Linden wurde viele Jahre saniert und bietet jetzt viel bessere akustische Bedingungen. © Staatskapelle Berlin / Peter Adamik
Von Matthias Nöther · 13.11.2020
Die Staatskapelle Berlin ist eines der ältesten Orchester der Welt. Mal wurde der Klangkörper von verschwendungssüchtigen Monarchen gehätschelt, mal von Kriegsfürsten kaputtgespart. Ein Streifzug durch die Geschichte, die im weltumspannenden Ruhm endet.
Die frühere Hofkapelle der preußischen Kurfürsten, Könige und Kaiser soll vor 450 Jahren gegründet worden sein. Mal wurden die Musiker gefördert, in knappen Zeiten wurden ihre Anstellungen stark dezimiert, um dann wieder große Ehrungen zu erfahren.
Die Anbindung an das Berliner Stadtschloss und die Hofoper "Unter den Linden" verhinderte nicht, dass die Kapelle ein zutiefst bürgerliches Orchester wurde. Ihr Wirken ist eng mit den Karrieren legendärer Dirigenten wie Richard Strauss, Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan verknüpft – und mit dem Willen zur politischen Repräsentation durch Musik.
Zu den musikalischen Ereignissen, die Weltbedeutung erlangten, gehören die Uraufführung von Carl Maria von Webers "Freischütz" im Jahr 1821 und die Uraufführung von Alban Bergs Oper "Wozzeck" 1925.

Vom Hoforchester zur Militärkapelle

Gegründet wurde die Berliner Hofkapelle vom brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. – 1570 erließ er eine Kapellordnung, die als Gründungsdokument des Ensembles gilt. Die moderne Geschichte des Orchesters beginnt jedoch mit Friedrich dem Großen. Sein Vater Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, hatte die Hofkapelle weitgehend aufgelöst und nur eine kleine Militärmusikkapelle behalten.
Friedrich der Große als Flötenspieler, dargestellt auf dem Gemälde "Das Flötenkonzert von Sanssouci" von Adolph Menzel.
Friedrich der Große als Flötenspieler.© picture alliance / dpa / ADN
Sein Sohn dagegen hatte nicht allein ein Interesse an Musik. Er ging darüberhinaus beim Wiederaufbau der Hofkapelle recht planvoll vor. Wirkte es zunächst nur so, als würde Friedrich Kammermusik zur eigenen Unterhaltung und zur eigenen Profilierung als Flötist und Komponist fördern, wurde schnell deutlich, dass er mit seiner systematischen Anwerbung zahlreicher fähiger Musiker die Gründung einer eigenen Kapelle plante, die später den Kern des neuen Hoforchesters bilden sollte.
Aus Berlin ließ er seinen ehemaligen Musiklehrer, den Domkantor und Cembalisten Gottlieb Hayne kommen. Darüber hinaus verpflichtete er den in Dresden und Italien ausgebildeten Carl Heinrich Graun.

Ein neues Haus für ein altes Orchester

Von Graun stammte auch das erste Werk, das die Hofkapelle an ihrer 1742 erstmals erbauten Wirkungsstätte, der Königlichen Preußischen Hofoper, spielen durfte. Es war die Oper "Cleopatra e Cesare", die Carl Heinrich Graun extra zur feierlichen Eröffnung des Opernhauses "Unter den Linden" komponiert hatte.
Das klassizistisch anmutende Bau der Staatsoper Unter den Linden vom Bebelplatz aus betrachtet.
Die Staatsoper Unter den Linden in Berlin.© imago images / POP-EYE
Ab 1742 war die Hofkapelle an der Hofoper angesiedelt. Doch für die künftigen Jahrhunderte sollte dies nicht heißen, dass die Existenz und die künstlerische Qualität der Hofkapelle bis in alle Ewigkeit gesichert waren.

Kreativ unter dem Spardiktat

Ab 1797 etwa regierte Friedrich Wilhelm III. in Preußen – und der Großneffe Friedrichs des Großen war auf sparsame Haushaltsführung bedacht. Er selbst war dafür bekannt, ein fast bürgerliches Leben zu führen.
Friedrich Wilhelm schaffte die Institution der Hofkonzerte ab. Die aus seiner Sicht überzogenen Gehälter der Spitzenkräfte des Orchesters wurden deutlich gekürzt. Doch in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts nahm die Hofkapelle ihr Schicksal außerhalb des Opernhauses bereits in eigene Hände: in Gestalt von Abonnementkonzerten, Veranstaltungen, die mit dem höfischen Ursprung des Orchesters nicht mehr viel zu tun hatten. Mit diesen Konzerten wollte das Orchester, vollauf bürgerlich, nicht zuletzt sein eigenes Geld verdienen.

Programme für das breite Publikum

Da die Mehrzahl der professionellen Musiker in Berlin Mitglieder der Hofkapelle waren, ist es wenig verwunderlich, dass die Versuche zur Etablierung von regelmäßigen Konzerten zumeist von ihnen ausgingen. Pro Wintersaison wurden – außerhalb der Karnevalssaison – zwölf Konzerte gegeben. Das Orchester bestand aus Hofmusikern, aber auch aus sogenannten Dilettanten. All diese Konzertformen umfassten, den Hörgewohnheiten des Publikums entsprechend, eine Mischung aus Vokal- und Instrumentalmusik.
Die Zuhörer wurden mit vertrauten Arien oder kurzen Szenen aus Opern und Oratorien unterhalten. Hinzu kamen virtuose Instrumentalkonzerte und schließlich die Aufführung von Sinfonien, entweder ganz oder in Teilen. Das Entstehen einer Konzertform, in der ausschließlich Instrumentalmusik erklang, war ein langer Prozess, der sich weit bis in das 19. Jahrhundert zog.

Konzerte für Adel und Bürgertum

So wurde die Doppelnatur der Berliner Hofkapelle als höfisches Opern- und bürgerliches Sinfonieorchester geschaffen. Diese Doppelnatur überdauerte die Revolution von 1848 und die Kaiserzeit ebenso wie den Ersten Weltkrieg – 1918 allerdings wurde alles getilgt, was im alten Namen des Orchesters auf das preußische König- und das deutsche Kaisertum hingewiesen hätte.

Altes Orchester - neuer Name

Noch am Mittag des 8. November 1918 hatte Richard Strauss die "Königliche Kapelle" bei einem Sinfoniekonzert dirigiert, nun hieß sie schlicht "Kapelle der Staatsoper". Im Laufe des nächsten Jahres wurde die Bezeichnung "Staatskapelle" gebräuchlich, zunächst in der Variante "Preußische Staatskapelle", später sollte sich der Name durchsetzen, den das Orchester bis heute trägt: "Staatskapelle Berlin".
Unter diesem Namen hat das Orchester mittlerweile in vier politischen Systemen gespielt: Die Weimarer Republik war eine Epoche des künstlerischen Aufbruchs für das eher konservativ agierende Orchester.
Vor allem Erich Kleiber arbeitete mit der Staatskapelle an Werken der Moderne – Janáceks "Jenufa", Korngolds "Tote Stadt" und Bergs "Wozzeck" brachte er auf die Bühne der Lindenoper. Erich Kleiber musste wie der andere große Staatskapellen-Dirigent Leo Blech in der Nazi-Zeit emigrieren.
Ein Mann mit großen Ohren und einer markanten Nase schaut zur Seite.
Der Dirigent Erich Kleiber im Jahr 1953.© imago / United Archives International
Kleiber war es dann aber auch, der dem Orchester und den Berlinern nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem vertrauten Repertoire der Wiener Klassik wenigstens ein Minimum an Sicherheit gab, dass das kulturelle Erbe der Vorkriegswelt nicht verloren war.
1955 spielte die Staatskapelle ihre Sinfoniekonzerte nicht Unter den Linden – die zerstörte Staatsoper war noch nicht komplett wieder aufgebaut –, sondern im Admiralspalast.

Langjährige Bindung an Dirigenten

In der Chronologie der Staatsoper fällt auf, über wie lange Zeiträume etliche Dirigenten die Geschicke des Orchesters leiteten. Richard Strauss brachte es in mehreren Jahrzehnten mit Hof- und Staatskapelle auf weit über 1.000 Konzerte und Opernaufführungen – sogar 2.846 Aufführungen dirigierte der weniger bekannte, aber für das Orchester nicht weniger wichtige Leo Blech von 1906 bis 1937.
Altes Foto eines Mannes, der leise lächelnd in die Kamera schaut.
Leo Blech blieb bis 1937 in Deutschland, danach ging er nach Riga, um nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurück zu kehren.© picture-alliance / dpa - Bilderarchiv
Leo Blech ließ sich weder von der Revolution 1919, von den revolutionären Werken Schönbergs, Bergs und Hindemiths in den 1920er Jahren noch von den Anfängen der Nazizeit in seiner Orchesterarbeit irritieren.
Erst sehr spät, 1937, sah sich Leo Blech, Künstler jüdischer Abstammung, zur Emigration gezwungen. Es war die Zeit, als der NS-Reichsminister Hermann Göring über das künstlerische Geschehen an der Staatsoper bestimmte.

Mit Karajan auf Tour

Wenig später begann bei der Staatskapelle der Aufstieg des jungen Dirigenten Herbert von Karajan, unter dessen Leitung das Orchester im Krieg Gastspiele auch im besetzten Frankreich gab – die Staatskapelle wurde nach den Berliner Philharmonikern trotz weitgehender künstlerischer Autonomie zu einem Aushängeschild des NS-Regimes.
Der österreichische Dirigent Herbert von Karajan dirigiert neben Mikrofonen 1939 eine Plattenaufnahme im Studio der Deutschen Grammophon in Berlin.
Herbert von Karajan wird vor allem durch seine Plattenaufnahmen berühmt.© picture-alliance / dpa
Eine ähnliche posthume Verehrung wie Leo Blech genießt bis heute der österreichische Dirigent Otmar Suitner, der vor zehn Jahren starb. Er war der Staatskapellen-Chef in den letzten drei Jahrzehnten der DDR.
Suitner hatte eine Staatsoper übernommen, die von der prekären politischen Lage Berlins nach dem Krieg gezeichnet war: Das SED-Regime hatte die zerstörte Staatsoper wieder aufgebaut – mit dem Willen, das Haus zum repräsentativen Opernhaus der DDR zu machen. Doch ungefähr 70 Prozent der Staatskapellen-Mitglieder wohnten im Westen der Stadt.

Barenboim - bis ans Lebensende mit der Staatskapelle verbunden

Daniel Barenboim machte die Staatskapelle ab 1992 zu einem Klangkörper der nationalen Repräsentation für das wiedervereinigte Deutschland – forderte aber auch künstlerisch viel vom Orchester. Ob Richard Wagners zehn große Opern an zehn aufeinanderfolgenden Abenden oder Gustav Mahlers gesamtes sinfonisches Werk als Tourneeprogramm für die Staatskapelle: Barenboim ist als Dirigent ein Mann der langen musikalischen Strecken – doch das Orchester hält mit.
Ein Dirigent mit weißem Haar steht auf dem Dirigentenpodest, hinter ihm einzelne Musiker.
Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden, steht am Pult und schaut zu den Konzertbesuchern. Anlass der Aufführung ist das 450. Gründungsjubiläum der Staatskapelle Berlin.© Annette Riedl/dpa/POOL/dpa
Daniel Barenboim war der erste Generalmusikdirektor der Staatsoper, den die Staatskapelle nicht von irgendeiner Regierung vorgesetzt bekam. Er ist auf Lebenszeit vom Orchester als Chefdirigent gewählt worden.
Nach Jahrhunderten im Schatten obrigkeitsstaatlicher Kulturbürokratie suchte sich das Orchester seinen Chef nach der Wiedervereinigung Deutschlands weitgehend eigenständig aus. Die Musikerinnen und Musiker wählten Barenboim, weil sie sich mit ihm über die klanglichen Vorzüge der Staatskapelle einig waren.
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