440 Meter unter der Erde

Von Michael Engel · 30.07.2013
Radioaktive Strahlung ist praktisch überall. In der Natur zum Beispiel durch kosmische Einflüsse. Deshalb ist das Eichen eines Dosimeters zum Messen der Radioaktivität gar nicht so einfach. Abhilfe schafft ein Labor der Physikalisch Technischen Bundesanstalt bei Helmstedt - weit unter der Erde.
Gleich geht es abwärts - in dem Eisenkäfig aus Gitterstäben. Sechs Personen stehen dicht gedrängt im Fahrkorb und schauen in ein tiefes, schwarzes Loch. Rund 700 Meter geht es hier hinunter. Jörg Bode, der Grubenbetriebsführer, schließt das schwere Eisentor.

Jörg Bode: "Jetzt kommt das Abfahrtsignal, und wir fahren jetzt zur 430-Meter-Sohle mit 12 Meter pro Sekunde ..."

Kaum rauscht der Fahrkorb abwärts, weht ein heftiger Fahrtwind um die Ohren. Der rapide steigende Luftdruck macht auch dem Trommelfell zu schaffen. Jörg Bode empfiehlt: Schlucken, damit man wieder hören kann. Nur 45 Sekunden dauert die Fahrt nach unten.

Jörg Bode: "Ja, man merkt, der Korb hält an, und wir steigen jetzt vom Korb auf die 430-Meter-Sohle."

Die "Sohle" ist ein Stollen mit den Abmaßen eines Autotunnels. Dicke Laster könnten hier unten problemlos herumfahren. Die Wände funkeln weiß im Licht der Neonröhren, denn alles hier unten ist kristallin - aus purem Steinsalz. Von vorne bläst ein warmer Wind ins Gesicht.

Jörg Bode: "Wir sind hier auf der 430-Meter-Sohle. Und die 430-Meter-Sohle ist die Abwetter-Sohle. Luft, die in die Grube über Lüfter gepumpt wird, wird hier an dieser Stelle aus dem Schacht hinaus gedrückt. Deswegen haben wir hier in dem Bereich so einen extremen Gegenwind."

"Eine Umgebung, die an sich wenig strahlt"
Jetzt sind es nur noch 50 Meter zu Fuß. Dann steht Dr. Stefan Neumaier von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt - PTB - vor einem schweren Doppeltor aus Stahl. Es ist der Eingang zu seinem ungewöhnlichen Arbeitsplatz - dem Untertagelabor UDO II.

Der Wissenschaftler trägt ein schweres Sauerstoffrettungsgerät, falls einmal die Lüftung im Stollen ausfällt, eine Grubenlampe mit Akku am Gürtel, Helm und Sicherheitsschuhe - ein Muss für jeden unter Tage. Damit kein Zweifel entsteht, dass hier - tief unten - die Mitarbeiter einer Bundesbehörde ihren Dienst verrichten, prangt ein großes gelbes Schild mit dem "Bundesadler" an der mit Salz verstaubten Stahltür.

Dr. Stefan Neumaier: "Das ist das sogenannte ‚UDO-Labor‘, wobei UDO für Untergrundlabor für Dosimetrie steht und der Bundesadler für die Physikalisch Technische Bundesanstalt. Es ist ein Hohlraum mit etwa 18 Metern Länge, sieben Metern Breite und drei Metern Höhe."

UDO ist einzigartig auf der Welt. In keinem anderen Labor für die Überprüfung von Dosimetern herrscht ein so niedriger Strahlenpegel. Salz schirmt ab - und das ist gut für die Kalibrierung von Messgeräten für die Radioaktivität. In dem karg eingerichteten Raum stehen nur ein paar Tische, Stühle - in der Mitte - aufgeständert - eine handliche Kiste aus Blei.

Dr. Stefan Neumaier: "Wir müssen wegkommen von der Höhenstrahlung, die eine sehr durchdringende Strahlung ist. Da reicht es nicht, wenn Sie zwei oder drei Meter unter die Erde gehen. Da brauchen Sie mindestens 100 Meter, um von der Höhenstrahlung einigermaßen frei zu sein. Wir brauchen auch eine Umgebung, die an sich wenig strahlt, und das finden wir genau im Steinsalz."

Heute sind es mehrere Mitarbeiter aus dem "Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz" - die das Labor in Anspruch nehmen. Die Behörde ist u.a. für die Messungen im Umfeld der Castoren von Gorleben zuständig, wie Dr. Kirsten Rupprecht erklärt.

Dr. Kirsten Rupprecht: "Bei der Überwachung der kerntechnischen Anlagen geht es u. a. auch darum, dass Grenzwerte eingehalten werden. Und diese Grenzwerte sind sehr niedrig. Die liegen so in der Größenordnung des natürlichen Strahlungsuntergrundes.

Wenn man Dosen misst, die sich aus verschiedenen Beiträgen zusammen setzen, wobei der größte Beitrag nicht von der Anlage kommt, sondern aus der natürlichen Radioaktivität - also aus der Höhenstrahlung, vom Boden, und in dem Zusammenhang ist es natürlich auch sehr wichtig, das genaue Verhalten des Messgerätes zu kennen, und deswegen machen wir diese Kalibrierung hier in diesem Untertagelabor der PTB."

Hersteller von Messgeräten aus der ganzen Welt
Zunächst wird eine Cäsium-Probe - kaum Größer als eine Erbse - in einen eckigen Behälter gelegt. Die Wände bestehen aus Blei, das die Strahlung des radioaktiven Metalls abhält. Nur ein kleines, etwa vier Zentimeter großes Loch in der Wandung lässt einen Teil der Strahlung nach draußen.

Genau gegenüber - in zwei Meter Abstand - steht das zu prüfende Messgerät. Roland Zwiener, Mitarbeiter der PTB, kontrolliert die Messwerte:

"Ich starte jetzt einen Timer, um eine Minutenmessung zu aktivieren. Diese Minute muss ich abwarten, um dann anschließend die Anzeige abzulesen. Die Minute ist um, ich lese den Wert 50 ab, trage ihn in meine Datenbank ein, und erhalte somit einen weiteren Wert, der für diese Kalibrierung nötig ist."

Heute kommen die Hersteller von Dosimetern - Messgeräten für die Radiaktivität - aus der ganzen Welt, weil die Bedingungen im Labor einzigartig sind. Nur die Japaner waren noch nicht da.

Dr. Stefan Neumaier: "Ich gehe davon aus, dass die so sehr mit ihren Problemen beschäftigt sind, dass sie erst in Zukunft daran denken werden, ihre Geräte kalibrieren und untersuchen zu lassen, um dann auch noch präziser messen zu können."
Den Service unter Tage gibt’s allerdings nicht umsonst. Die Grundgebühr beträgt 1500 Euro. Hinzu kommen noch "Extra-Aufschläge" für die Messungen. Die abenteuerliche Einfahrt mit dem wackeligen Fahrkorb aus Eisengitter ist in dem Entgelt aber schon enthalten. Die Rückfahrt nach oben auch.
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