42. Tage der deutschsprachigen Literatur

"Endlich Literatur!"

Tanja Maljartschuk liest bei den 42. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt ihren Text "Frösche im Meer"
Tanja Maljartschuk: Erzählung über Einsamkeit und Verlorenheit © ORF - Johannes Puch
Wiebke Porombka im Gespräch mit Julius Stucke · 06.07.2018
Der zweite Tag beim Wettlesen um den Bachmann-Preis ist vorbei. Zeit für eine Zwischenbilanz beim Lackmustest der Literatur. Kritikerin Wiebke Porombka hat sich an Tanja Maljartschuk und Joshua Groß erfreut – und blieb damit nicht allein.
Mancher spricht vom schönsten Wettlesen der Welt, Wiebke Porombka findet die Lesungen in Klagenfurt ist auf jeden Fall ein guter Lackmustest:
"Dafür, ob ein Text nur Dringlichkeit und Virtuosität simuliert oder ob da wirklich Substanz ist. Denn wenn man das hier vor der Jury liest und vor dem Publikum, dann zerbröckelt das doch eben auch recht schnell, wenn das einfach nur so ein Budenzauber ist."

Freundschaft zwischen Flüchtling und alter Dame

Positiv aufgefallen sind Porombka an den ersten zwei der insgesamt drei Tage die Texte von Tanja Maljartschuk und Joshua Groß.
Tanja Maljartschuk kam 1983 in der Ukraine zur Welt, lebt seit einigen Jahren in Wien und schreibt seit 2014 auf Deutsch. Sie erzählt in "Frösche im Meer" die sonderbare und auch traurige Geschichte eines Flüchtlings und einer alten Dame, die eine Freundschaft entwickeln.
Jurorin Nora Gomringer, so Porombka, habe danach gejauchzt: "Endlich Literatur!"
"Es ist eine Erzählung über Einsamkeit und Verlorenheit, die aber auch durchaus hochkomische Momente hat", berichtet Porombka. "Da war die Jury sehr angetan – und ich auch!"

Interessante Stimme, Jahrgang 1989

Joshua Groß ist erst 1989 geboren, er hat seinen Text "Flexen in Miami" schon am ersten Tag des Bachmann-Wettbewerbs gelesen: "Er erzählt über den Überdruss eines jungen Mannes in einer medial dominierten Wohlstandsgesellschaft, in der das echte Gefühl, das wahre Erleben einfach nicht mehr vorhanden sind – überdeckt ist von den vermeintlichen Errungenschaften eines neoliberalen Systems."
Porombka sieht darin einen sehr interessanten Text und auch einen sehr aktuellen: "Von dem Autor, glaube ich, wird man noch eine Menge hören."

Umgekehrter #MeToo-Text

Durchgefallen bei Porombka ist hingegen der Text von Corinna Sievers "Der Nächste, bitte!": Es gehe "um eine sexhungrige Zahnärztin, die sich ihrer männlichen Patienten bemächtigt, also im Grunde ein umgekehrter #MeToo-Fall."
Der Text hätte streitbar sein können, sagt Porombka zum Text von Sievers, die wie die Protagonistin Zahnärztin ist. Aber: "Es war ein Text, der wollte provozieren, der wollte Streit hervorrufen, der wollte Skandal sein. Aber glücklicherweise ist das vollkommen verpufft, weil die Absicht so klar war und der Text sprachlich aalglatt und im Grunde unbedeutend war."
Der Bericht vom ersten Tag:
Am ersten Tag las die 1990 in Wien geborene Rapheala Edelbauer. Ihr Text "Das Loch" über den Umgang mit den verdrängten und beschwiegenen Nazi-Verbrechen konnte die Jury nicht restlos überzeugen.
Allenfalls verhaltenen Beifall fand auch der Beitrag "Warten auf Ava" der Schweizer Autorin Anna Stern um eine auf einer Bergtour verunglückte Frau, die im Koma liegend von verschiedenen Wegbegleitern besucht wird, ohne aber dass die Geschichte dieser Frau biografische Tiefenschärfe und die Erzählung an Kontur gewinnen würde.

Auf der Schwelle zum Tod

Auch Sterns Landsmännin Martina Clavadetscher, die in "SCHNITTMUSTER" eine Frau auf der Schwelle zum Tod und darüber hinaus über ihr von Gewalt dominiertes Leben sinnieren lässt, traf auf wenig Begeisterung. Zu bieder und ohne Widerstandsgeist sei dieser Text, so der Tenor der Jury.
Positiver wurde Stephan Lohses "Lumumbaland" diskutiert. Es ist die Fantasie eines jungen Mannes, sich in einen kongolesischen Freiheitskämpfer verwandelt, als Zeichen der Solidarität und als versuchsweise Wiedergutmachung der Unterdrückung der schwarzen Minderheit durch die weiße Mehrheitsgesellschaft.
(mf)
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