40 Jahre "Dallas" in Deutschland

Als das Soap-Format die Primetime eroberte

08:49 Minuten
Die Darsteller der TV-Serie "Dallas" sind wie zum Familienbild gruppiert: Steve Kanaly, Ken Kercheval, Susan Howard, Victoria Principal, Linda Gray, Larry Hagman, Barbara Bel Geddes, Howard Keel & Priscilla Presley.
Eine Fernsehserie, die nicht den Anspruch hatte, zu erziehen oder die Welt zu verbessern: Das war neu im Deutschland der frühen 80er. © imago images / Mary Evans /AF / Archive Lorimar
Von Christian Berndt · 30.06.2021
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Ein niederträchtiger Ölmagnat als Identifikationsfigur: Als vor 40 Jahren im deutschen Fernsehen die Serie "Dallas" startete, löste das in den Feuilletons Schundalarm aus. Heute gilt "Dallas" als Kult - und als erste postmoderne Fernsehserie.
"350 Millionen Menschen kennen diesen Auftakt einer Fernsehserie, die als erfolgreichste aller Zeiten gilt und noch ungezählte Folgen haben wird. Inzest und Intrigen, Hass und Verblendung, Kain und Abel."
So berichtet ein WDR-Reporter aus Texas über die neue US-amerikanische Fernsehserie, die am 30. Juni 1981 im deutschen Fernsehen starten wird: "Dallas". In den USA war sie drei Jahre vorher angelaufen und ursprünglich nur als Miniserie geplant. Aber die fünf Dallas-Folgen wurden ein sensationeller Erfolg:
"Dallas hat das Soap-Format in die Primetime geholt", sagt der Historiker Christoph Classen. "Vorher waren Soaps, also langlaufende Familienserien, etwas fürs Nachmittagsprogramm. Das war ganz klar an Hausfrauen gerichtet. Das jetzt, zudem mit 700.000 Dollar pro Folge extrem aufwendig produziert in die Primetime zu holen, war tatsächlich neu."

Bessere Einschaltquoten als beim Präsidentschaftswahlkampf

Berühmt wurden die Cliffhanger am Schluss jeder Folge. Die waren, so der Historiker Christoph Classen, zwar keine Erfindung von Dallas, "aber sie treiben es auf die Spitze".
Als etwa Bösewicht J.R. am Ende der dritten Staffel angeschossen wird, hat die Auflösungsepisode der nächsten Staffel eine höhere TV-Zuschauerquote in den USA als der Präsidentschaftswahlkampf.
"Dallas" ist ein derartiger, weltweiter Erfolg, dass der Fernsehstart in der Bundesrepublik zum medialen Großereignis wird. Aber hier polarisiert die Serie – so etwas wie "Dallas" kannte man bis dahin nicht:
"Es ist eine Familiensaga, die extrem mit den Klischees spielt von Kapitalismus, von Familienintrigen, die da auch mit jeder Menge Tabus bricht. Es geht um Ehebruch, es geht dauernd um Sex, auch innerhalb der Familie, es werden irrwitzige Geschäftspraktiken angewandt, Betrug", sagt Historiker Classen. "Es ist sehr, sehr extrem und das Gegenteil von dem, was man von familientauglichen Serien erwarten würde."
Szene mit Larry Hagman als J.R.Ewing und Linda Gray als seine Frau Sue Ellen. Die amerikanische Serie über die Saga der millionenschweren texanischen Familie Ewing lief von 1978 bis 1991 und wurde ab Juli 1981 auch von der ARD ausgestrahlt.
Ein Lügner und skrupelloser Geschäftsmann als Identifikationsfigur: J.R. Ewing, gespielt von Larry Hagman, in "Dallas".© dpa
Die Produktionsfirma von "Dallas" hatte in den Siebzigerjahren "Die Waltons" ins Fernsehen gebracht – eine auch bei den Deutschen beliebte Serie, die traditionelle Familienwerte propagierte. "Dallas" bedeutet einen Kulturbruch, vor allem mit dem von Larry Hagman gespielten J.R., Chef von Ewing Oil. Er besticht, betrügt, geht fremd und treibt Ehefrau Sue Ellen immer weiter in den Alkoholismus:
"Wohin gehst du?", fragt Sue Ellen. "Es ist scheußlich, wenn eine Frau keinen Alkohol verträgt", gibt J.R. zurück. Sue Ellen ist verzweifelt: Wieso gehst du mir ständig aus dem Weg? Du kannst mich nicht so beiseiteschieben. Was denkst du, wie ich mich dabei fühle? Du hast dein Geschäft, und ich habe nichts." – "Gut Schatz, du bekommst ein Hündchen von mir."

Von der Kritik verachtet, vom Publikum geliebt

In der Bundesrepublik löst die Serie Schockwellen aus. Fernsehen gilt hierzulande vielen noch als eine Art moralischer Erziehungsanstalt. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Wallow fordert die Bundesregierung auf, die Serie absetzen zu lassen:
"Jede Woche wird in 'Dallas' in der Familie menschliche Niedertracht, Egoismus vorgeführt."
Die Feuilletons verreißen die Serie weitgehend. Der "Spiegel' schreibt von Schund, die 'Süddeutsche Zeitung' fordert: 'Boykottiert die Ewings'. Aber die Einschaltquoten sind sensationell. Vor allem bei Jüngeren kommt die Serie an. Etwa beim späteren Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Claudius Seidl:
"Als Student habe ich kaum eine Folge versäumt. Der Dienstagabend, 21.45 Uhr war gesetzt. Da war ich zu Hause und habe Dallas angeguckt und wollte nicht gestört werden."

"Eine Fortsetzung des Punk-Hörens"

Für Seidl verkörpert Dallas die neue Ästhetik der Achtzigerjahre:
"Die Wiederentdeckung der Oberflächen, die Freude an Wolkenkratzern genauso wie an der ungeheuren Weite von Texas. Man darf nicht vergessen, es ging einerseits um böse, finanzielle Intrigen. Es ging aber andererseits um die Anziehungskraft der Körper."
J.R.-Darsteller Larry Hagman wird von Frauenzeitschriften zum Sex-Symbol erklärt, und der Öl-Magnat J.R. hat sogar Fans im linken Milieu:
"Im Grunde war Dallas-Fantum eine Fortsetzung von Punk-Hören", meint Claudius Seidl. "Die Erfüllung der eigenen, rebellischen Instinkte hat man schon in einer Figur wie J.R. Ewing, in so einer grundlegend amoralischen Figur, gefunden. Der hatte provokatives Potenzial."
J.R. kommt auch im popkulturellen Milieu an, wie sich der Kulturwissenschaftler Diedrich Diederichsen erinnert.
"Es gab Gesellschaftsspiele dazu, wie zum Beispiel das berühmte: Man setzt sich vor 'Dallas' hin und trinkt jedes Mal ein Glas Whiskey, wenn J.R. Ewing eins trinkt, und ist dann entsprechend nach 45 Minuten angetrunken."
Damals erkennt Diederichsen auch subversives Potenzial in ‚Dallas‘:
"Was diese Serie als Denkmöglichkeit eröffnete, war, dass sie einfach Realität abbildete, statt sich hinter Ideologie zu verstecken. Das war sozusagen die optimistische Lesart, dass das ein Fernsehen ist, das sozusagen kapitalistisches Business as usual so darstellt, wie es ist, und nicht als Erzählung von Unternehmer-Heldentum oder sonst irgendwas. Aber jetzt nicht kritisch, dass da irgendwelche Unterdrückten auftraten, sondern noch realistischer, mit einer gewissen Hoffnungslosigkeit."

"Das erste vollmarxistische Kunstwerk made in USA"

Die Frankfurter Rundschau schreibt, in "Dallas" würden die schmutzigen Machenschaften des Großkapitals bloßgestellt. Und im "Spiegel" nennt Diederichsen die Serie damals das "erste vollmarxistische Kunstwerk made in USA":
"Dass ich dem Ganzen eine marxistische Analyse zugeschrieben habe, eine schonungslose und eben marxistische und nicht sozialdemokratische Beschreibung kapitalistischer Verhältnisse, in der niemand gut sein kann und alle so handeln, wie die Verhältnisse es ihnen gestatten, bis zu einem gewissen Grade würde ich Elemente davon auch heute noch verteidigen. Zumindest gibt es die Tendenz in dem Ganzen."
Andererseits bekommt J.R.-Darsteller Larry Hagman immer wieder Einladungen zu Parteitagen der US-Republikaner, die J.R. zum Symbol der neoliberalen Reagan-Ära stilisieren. "Dallas" ist interpretationsoffen:
"Dallas ist die erste postmoderne Fernsehserie", meint Historiker Christoph Classen. "Die hat nicht mehr den Anspruch zu sagen, wir wollen die Welt irgendwie besser machen oder irgendeine Moral vermitteln, sondern es ist eigentlich eine völlig zweckfreie, zynische Unterhaltung, die sagt, wir machen hier Unterhaltung und wollen damit Geld verdienen. Und dafür brauchen wir gewisse Tabubrüche, aber wir glauben eigentlich auch nicht, dass man mit Fernsehen die Welt verbessern kann."

Postmoderne Ironie als Allzweckwaffe

Die Handlung wird zunehmend nach Zuschauerbefragungen ausgerichtet, was in der berühmtesten "Dallas"-Szene gipfelt: der Darsteller von Bobby Ewing, Patrick Duffy, stirbt am Ende der achten Staffel den Serientod. Aber weil die Quoten sinken, holt man ihn wieder zurück:
"Das ist ja der Moment, wo die Serie sich selbst ad absurdum geführt hat, wo Bobby starb, 26 Folgen lang tot blieb, und dann steigt er aus der Dusche", sagt Claudius Seidl. "Und wir erfahren, 26 Folgen lang hat Pamela nur geträumt. Das waren einfach ungeheure Sachen, die mich fasziniert haben."
Als die Serie zehn Jahre später endet, hat sich das deutsche Feuilleton mit "Dallas" versöhnt. Die FAZ. gesteht ihr nun genialische Momente zu, der "Spiegel" attestiert "Dallas" historische Bedeutung. Die Idee vom Fernsehen als Instrument moralischer Hebung hat sich überlebt und postmoderne Ironie ist in der Unterhaltungsindustrie zur massenkompatiblen Allzweckwaffe geworden. "Dallas" hat die Achtzigerjahre mitgeprägt – oder wie es Christoph Classen mit den Worten des Medienwissenschaftlers Knut Hickethier sagt:
"Die Achtzigerjahre sind das ‚Dallas‘-Jahrzehnt."
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