3sat-Doku "Maximilian" über Schweizer "Wunderkind"

"Hochbegabung ist kein Risikofaktor"

Still aus der Dokumentation "Maximilian" von Nicolas Greinacher über einen hochbegabten Jungen - Maximilian ist hier im Porträt, nachdenklich mit Stift in der Hand
Still aus der Dokumentation "Maximilian" von Nicolas Greinacher über einen hochbegabten Jungen © Cognito Films
Detlef Rost im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
"Wunderkinder" gelten als genial und schwierig. Doch eine Hochbegabung ist weder Fluch noch Segen - sie muss nur in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Der Hochbegabtenforscher Detlef Rost über ein Phänomen, das man auch nüchtern betrachten kann.
Stephan Karkowsky: Ich weiß ja, Sie gucken fast kein Fernsehen, und wenn, dann nur arte oder 3sat. Ist klar, passt gut, denn wir haben nun einen 3sat-Fernsehtipp für Sie: Heute Abend läuft dort eine TV-Dokumentation über Hochbegabte am Beispiel des Schweizer Wunderkinds Maximilian Janisch.
Ob Hochbegabung bei Kindern wirklich ein Segen ist oder doch eher ein Fluch für die Familien, die damit umgehen müssen, das frage ich den Marburger Psychologieprofessor und Hochbegabtenforscher Detlef Rost.

Ein Sonderfall sogar unter Hochbegabten

Karkowsky: Herr Rost, was ist das für ein Fall, um den es heute Abend geht?
Rost: Das ist ein Junge, der – ich weiß nicht genau, wie alt er ist, glaube ich, jetzt 12 oder 13 Jahre alt –, der mathematisch besonders begabt ist und an der Universität Zürich unterrichtet wird.
Karkowsky: Der Film zeigt ja nicht nur Maximilians außergewöhnliche Begabung. Der Junge hat einen IQ von 149 plus. Ich kann damit nichts anfangen, ist das extrem viel?
Rost: Das ist so hoch, dass es kein typischer Hochbegabter ist. Das ist auch innerhalb der Gruppe der Hochbegabten ein Sonderfall. Also von seinen Problemen oder von seinen Vorzügen kann man nicht auf die anderen Hochbegabten schließen, weil er so weit von der Norm entfernt ist, dass man das nicht verallgemeinern kann.

Belastung für die Familie? Muss nicht sein

Karkowsky: Der Film zeigt auch die Belastung für die Familie. Muss das eigentlich immer so sein, dass Hochbegabung Familien stresst?
Rost: Das kommt immer drauf an. Das kommt erst mal drauf an, wie stark man hochbegabt ist, und das kommt drauf an, wie die Familie von Anfang an reagiert.
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, ist er auch ständig von seinem Vater trainiert worden, um Hochleistungen in Mathematik zu erbringen. Der Vater ist auch Mathematiker.
Die Kombination von, sagen wir mal, ehrgeizigen Eltern und besonderer Begabung kann natürlich dazu führen, dass es dann Probleme gibt, in der Schule, in der Familie und sonst wo. In der Schule zum Beispiel weiß man nicht mehr, was man dann mit so einem Kind machen soll, wie soll man es unterrichten, wenn es den anderen Kindern um Jahre voraus ist.
Karkowsky: Ist denn Hochbegabung in der Regel immer eine Belastung für die Kinder?

Ähnliche Vorzüge, ähnliche Schwächen

Rost: Nein, nein. Ganz im Gegenteil. Wir haben also das in vielen Untersuchungen festgestellt, und das ist auch international so, dass Hochbegabte in der Regel Kinder wie alle anderen Kinder auch sind, mit ähnlichen Vorzügen und mit ähnlichen Schwächen, und wenn die Umwelt einigermaßen verständnisvoll reagiert, gibt es da keine Probleme.
Hochbegabung ist entgegen dem allgemeinen Vorurteil kein Risikofaktor, sondern eher ein protektiver Faktor. Das heißt, Hochbegabte kommen im Durchschnitt gesehen besser durch die Welt als Nichthochbegabte. Das schließt nicht aus, dass es natürlich auch Hochbegabte mit Problemen gibt, aber die Frage ist, gibt es die Probleme häufiger bei Hochbegabten als bei Nichthochbegabten.
Karkowsky: Wie definieren Sie denn als Experte das überhaupt, eine Hochbegabung? Wo fängt das an?
Rost: Also üblicherweise bezeichnet man als hochbegabt diejenigen, die zu den besten zwei Prozent ihres Altersjahrgangs oder ihrer Bezugsgruppe gehören, und wenn man das in den berühmten Intelligenzquotienten umrechnet, entspräche das einem IQ von 130 und höher.
Karkowsky: Sind Hochbegabte immer auch Hochleistende und umgekehrt?
Rost: Nein. Das wird häufig falsch verstanden. Hochbegabung kann in hohe Leistung münden, muss aber nicht notwendigerweise. Es gibt eine relativ kleine, aber doch nennenswerte Gruppe von Hochbegabten, die weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, und wenn sie vielleicht der Schule oder dem Gymnasium oder der Universität eine innere Kündigung ausgesprochen haben, das sind die sogenannten Underachiever, sind ungefähr 15 Prozent der Gruppe der Hochbegabten. Da die Hochbegabten nur zwei Prozent sind und davon 15 Prozent, ist es eine relativ kleine Gruppe, auf ganz Deutschland gesehen sind es immerhin 40.000 Personen, die weit unter ihren Möglichkeiten bleiben.
Karkowsky: Und die Hochleistenden, was lässt die so viel leisten, wenn sie keine Hochbegabten sind?
Rost: Das ist Motivation. Wenn Sie jeden Tag sieben oder acht Stunden für die Schule lernen, dann können Sie gar nicht verhindern, dass Sie lange Zeit der Beste sind.
Also zu Leistung gehört immer Begabung und entsprechendes Arbeitsverhalten, Motivation, Anstrengungsbereitschaft und diese Faktoren, und wenn man einen sogenannten Underachiever hat, das sind diejenigen Hochbegabten, die weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, da muss man genau in diesen Bereichen gucken und sehen, was hindert diese Person, was hindert diesen Jungen, dieses Mädchen daran, die entsprechende Begabung in gute Leistung umzusetzen. Das ist dann eine Aufgabe für die Psychologen.

Erziehung zur Hochleistung ist Kindesmisshandlung

Karkowsky: Was halten Sie denn von den sogenannten Helikoptereltern, die davon träumen, ein eigentlich nichthochbegabtes Kind zu Hochleistung zu erziehen, die einem Hochbegabten entsprechen?
Rost: Also das ist gewissermaßen, um das mal umgangssprachlich zu sagen, verbesserte Kindesmisshandlung. Halte ich überhaupt nichts von.
Wissen Sie, es geht nicht um die Eltern, sondern im Mittelpunkt sollte immer das Wohlergehen des Kindes sein. Ob die Eltern zufrieden sind ist diesbezüglich nebensächlich. Wichtig ist, dass das Kind sich wohlfühlt.
Gott, es gibt nicht so viele Eltern .... aber die gibt es leider, die meisten sind ja vernünftig, aber wenn Eltern sich in der Begabung und in der Leistung ihres Sohnes sonnen wollen und damit angeben wollen, das kann nicht Sinn der Sache sein. Das ist psychologisch auch sehr bedenklich.
Karkowsky: Hört Ihre Forschung eigentlich auf mit dem Eintritt der Hochbegabten Kinder ins Erwachsenenalter oder können Sie sagen, ob die als Erwachsene dann auch tatsächlich Erfolg haben im Leben?
Rost: Erst mal, wie definiert man Erfolg, aber wenn man das Übliche nimmt, das heißt, sagen wir mal, eine gute Stellung haben, gut durchs Studium kommen, einen anständigen Beruf erwischen und so weiter, dann kann man sagen, sind im Durchschnitt gesehen die Hochbegabten erfolgreicher als die Nichthochbegabten. Das ist auch international belegt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Detlef Rost ist Professor für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der Philipps-Universität Marburg und Leiter des dortigen Hochbegabtenprojekts.

Mehr zum Thema