30 Jahre Rote Flora in Hamburg

Keine Bullen, keine Presse, keine Fotos!

13:07 Minuten
Unter dem Motto Zona Antifascista - Freiräume für gelebte Solidarität fand am 4. Oktober 2019 ein kostenloses Konzert auf der Treppe der Roten Flora in Hamburg statt. Auf dem Bild ist das illuminerte Gebäude zusammen mit Konzertbesuchern zu sehen.
Unter dem Motto Zona Antifascista - Freiräume für gelebte Solidarität feierte die Rote Flora Ihren 30. Geburtstag. © imago images / Jannis Große
Von Axel Schröder · 01.11.2019
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Vor 30 Jahren wurde die Rote Flora in Hamburg besetzt. Für manche ist das besetzte Gebäude ein Hort für Linksextremisten. Für andere ist es ein offenes Haus mit breitem, kulturellem Angebot. Ein Blick hinter die Kulisse der Trutzburg in Hamburg.
Rechts und links der alten Opernhaus-Fassade sind linke Parolen plakatiert. Das Hauptportal der Roten Flora ist zugemauert, ein paar Obdachlose sitzen auf den Stufen davor, trinken Kaffee, rauchen selbstgedrehte Zigaretten. Davor rollt der Verkehr über das Schulterblatt, die Flaniermeile des Schanzenviertels. Eine Betonrampe führt zum Seiteneingang. Dort wartet Klaus Waltke, einer der Flora-Sprecher, der seinen richtigen Namen lieber für sich behält. Er gehört zu den rund 150 Menschen, die einen Schlüssel für die Rote Flora haben, für die mit kleinen Politaufklebern und Graffiti übersäte und extra verstärkte Stahltür. Immerhin soll hier nicht jeder einfach so hineinkommen.
Das Bild zeigt die Fassade der Roten Flora, die mit linken Parolen und Graffits besprüht ist.
Die in Eigenarbeit renovierte Vorderseite der Roten Flora© Deutschlandradio / Axel Schröder
"Durchaus. Sie hat die Funktion, nicht einfach so aufgemacht werden zu können. Es gibt auf der Innenseite auch noch einen Henkel. Wenn es hart drauf ankommt, kann man sie damit auch zuhalten. Aber in die andere Richtung funktioniert das ganz anders. Es gibt auch einen Panikschutzbügel, damit sie auch als Notausgang funktionieren würde. Von außen rein ist schwierig, von innen raus, wenn es schnell gehen muss, ist problemlos möglich."

Bunte Politsticker und Parolen

Bei aller Konspiration, trotz der Ablehnung der staatlichen Kontrollinstanzen und ihrem Bekenntnis zu militantem Handeln, die Rotfloristen halten sich an die Vorschriften zum Brandschutz und lassen die Hamburger Bauprüfabteilung hier regelmäßige Begehungen durchführen. Der Eingangsbereich ist genauso bunt und wild mit Politstickern und Parolen verziert, wie die Stahltür nach draußen. Es riecht ein bisschen muffig und vor dem Entrée ins Treppenhaus des einstigen, schon 1889 erbauten Opernhauses prangt eine klare Botschaft.
"Hier ist noch ein Zettel rangeklebt mit Gaffa-Tape an die Tür: "Keine Bullen, Keine Presse, Keine Fotos! Ich darf aber ausnahmsweise mal rein."
"Das ist ja eher ein Aufruf im allgemeinen Sinne, weil wir immer mal wieder mit eher boulevardesken Yellowpress-Medien die Erfahrung gemacht haben, dass sich hier reingestohlen wurde für tolle Räuberpistolen, die man daraus gestrickt hat. Gerade, was man hier im Weiteren sieht, sind oft auch etwas sehr schlagwortartige Parolen, die etwas kurz und prägnant auf den Punkt bringen. "Keine Fotos" hat auch etwas damit zu tun: Wir wollen zum Beispiel nicht, dass alle BesucherInnen dieses Hauses abfotografiert werden. Wenn man beispielsweise nicht zur Arbeit gegangen ist, aber trotzdem hierhin. Oder wenn man eine etwas kontroverse Familie hat, man nicht das Problem hat, dass man dann später in der Tageszeitung damit konfrontiert wird, was man denn hier gemacht hat."
Das Bild zeigt ein Graffito, dessen Mitte ein Vinyl-Langspielplatte bildet. Kreisförmig angeordnet  sind Hände, die verschiedene Ethnien symbolisieren.
Grafitti im großen Veranstaltungsraum der Roten Flora© Deutschlandradio / Axel Schröder
Klaus führt in den Veranstaltungsraum der Flora, über die speckigen, dunklen Dielen. Mehrere hundert Besucher finden hier Platz, jede Woche gibt es Programm.
"Sehr viele Konzerte und Diskoveranstaltungen, auch Techno-Partys. Man sieht aber auch tatsächlich gerade Spuren von der gestrigen Veranstaltung. Das war nämlich eine Filmvorführung. Man sieht hier eine etwas improvisierte Leinwand aufgehängt. Da wurde ein Dokumentarfilm über die Swing-Jugend gezeigt. Also über Leute, die im Nationalsozialismus vielleicht im ersten Sinne gar nicht so politischen Widerstand, sondern ästhetischen Widerstand geleistet haben, weil sie mit dem gesamten faschistischen Regime nicht klar kamen und lieber Jazz gehört haben, statt Marschmusik."
Ein langes Regal voller Pappkartons, einheitlich beschriftet, bildet das Archiv der Sozialen Bewegung.
Im Archiv der Sozialen Bewegungen sind Flugblätter Bücher und Magazine sorgfältig sortiert und aufbewahrt© Deutschlandradio / Axel Schröder
Die großflächigen Graffitis an den Wänden, die so genannte "Küche für alle", in der veganes Essen angeboten wird, die Bandproberäume, die Motorrad- und Fahrradwerkstatt, der Sportraum und das penibel sortierte so genannte "Archiv der Sozialen Bewegungen" unter dem Dach der Roten Flora sind erst nach und nach entstanden. Über Jahrzehnte, in Eigenarbeit und Eigenregie.

Verfassungsschutz warnt

Von den so harmlos klingenden Freizeit- und Hilfsangeboten in der Roten Flora dürften sich die Menschen aber nicht täuschen lassen, warnt Marco Haase, der Sprecher des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz:
"Es gibt Szene-Zeitschriften, in denen auch über Militanz debattiert wird. Wann ist Gewalt ein legitimes Mittel, um auch unseren Staat, unsere Demokratie abzuschaffen? Und all das ist auch seit drei Jahrzehnten mit der Roten Flora verbunden! Und wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, schon weit im Vorfeld von Straftaten darauf hinzuweisen: Hier tummeln sich Extremisten, die unser Grundgesetz abschaffen wollen und das ist bei Linksautonomen eindeutig der Fall!"

Die Szene mobilisiert zu Protesten

In den Fokus gerät das linksautonome Zentrum zuletzt beim G20-Gipfel vor zwei Jahren. Deutschland- und europaweit beteiligt sich die Flora-Szene an der Mobilisierung unterschiedlichster Protestgruppen. Anfang Juli 2017, an einem heißen Freitagabend, eskaliert die Situation auf dem Schulterblatt. Tausende G20-Gegner entfachen zusammen mit angetrunkenen, erlebnisgeilen Jugendlichen etliche Feuer auf dem Kopfsteinpflaster, plündern zwei Geschäfte, legen Brände in drei Häusern. Die Polizeiführung entscheidet damals, aus Angst um die Gesundheit der Beamten, besser nicht einzugreifen. Am Morgen danach steht der Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt vor den Mikrofonen, versucht zu retten, was noch zu retten ist.
"Gestern haben im Hamburger Schanzenviertel keine Strukturen agiert, mit denen wir politisch verbunden sind. Wir haben immer gesagt, dass die physische Integrität von Menschen eine rote Linie ist. Wir haben den Eindruck, dass die Menschen, die da gestern Nacht in der Schanze agiert haben, dafür den Blick verloren haben. Das fanden wir falsch."
Den Ersten Bürgermeister Olaf Scholz überzeugte der Flora-Sprecher damit nicht. Scholz forderte: In der Roten Flora muss sich etwas ändern. Was genau, sagte er nicht. Der nach dem G20-Gipfel eingesetzte Sonderausschuss fand keine Hinweise auf eine aktive Beteiligung der Rotfloristen an den heftigen Ausschreitungen. Sondern darauf, dass ihre Versuche, mäßigend auf die Randalierer einzuwirken, keinen Erfolg hatten. Selbst die Polizeiführung gab zu Protokoll: Von der Roten Flora ging beim Vorrücken der Einsatzkräfte keine Gefahr aus.

Gegen die Kommerzialisierung des Viertels

Ende der Achtzigerjahre war das Gebäude eine einzige Ruine. Und Ralf Gauger war dabei, als der Entertainment-Konzern Stage seinen Plan, ein großes Musicaltheater im linksalternativen Schanzenviertel zu bauen, in die Tat umsetzen wollte.
"Ich kann mich erinnern! Die ersten Versuche, da was zu machen. Es ging eine Baustelle los. Es wurde ein Bauzaun niedergerissen und die Polizei hat ihn wieder aufgebaut. Es gab kleinere Auseinandersetzungen und wir wurden vertrieben und sind wiedergekommen. Und irgendwann war dieser Widerstand und diese kleinen Aktionen ja so erfolgreich, dass der Bezirk gesagt hat: "Komm, wir geben Euch eine sechswöchige Aufenthaltsgenehmigung. Da könnt Ihr dann mal sechs Wochen lang Stadtteilcafé spielen!" Und aus diesen sechs Wochen sind jetzt 30 Jahre geworden."
An einer Wand kleben Fotos, Flugblätter und eine Chronik der Besetzung des Hauses.
Die Ausstellung im 1 OG der Roten Flora zeigt die Geschichte des besetzten Hauses© Deutschlandradio / Axel Schröder
Heute betreibt Ralf Gauger eine Baufirma ganz in der Nähe des Flora-Gebäudes. Und ist der linksautonomen Szene immer noch verbunden.
"Die Anfangsidee war eher eine spontane. Man wollte verhindern, dass ein großer Konzern reinkommt und eigentlich nur mit einem Massentourismus eine Abschöpfung macht und im Grunde genommen das schafft, was man jetzt auch im Schanzenviertel beobachten kann, dass man teilweise das Gefühl hat, man ist in Teneriffa auf der Strandpromenade und es geht nur um Essen, Fressen, Saufen und schnell wieder weg. Das sollte ja verhindert werden!"
Tatsächlich ist die Rote Flora heute auch das, was sie nie sein wollte: ein Faktor, der das Szeneviertel zum Szeneviertel macht, ein Faktor, mit dem Immobilienfirmen werben und dann überteure Wohnungen im Schanzenviertel vermieten können. Längst sind viele der alten Mieter weggezogen und die meisten der kleinen Einzelhändler und Lebensmittelgeschäfte mussten wegen allzu hoher Mieten aufgeben und zahlungskräftigen Ketten weichen.

Polizei konnte nichts ausrichten

Das Bezirksamt, das den Besetzern damals eine Schonfrist einräumte und lieber auf eine Räumung verzichtete, wurde damals, im Herbst 1989, von Hans-Peter Strenge geleitet. Eine polizeiliche Räumung des baufälligen Hauses war für ihn damals keine Lösung, erklärt Strenge. Denn damit hatte man bei den von der autonomen Szene besetzten Häusern in Hamburger Hafenstraße keine guten Erfahrungen gemacht. Auch Großeinsätze der Polizei konnten gegen die Besetzung der Häuser nichts ausrichten.
"Die Hafenstraße war ja vorweggegangen, wenn man so sagen darf. Und da hatte man gesehen, wozu es führt, wenn man das versucht mit Gewalt oder auch mit rechtlichen Mitteln, mit Räumungsklagen, etc. freizumachen, dass das kompliziert wird bis dahin, dass es nicht funktioniert. Und das haben wir natürlich bei der Roten Flora auch gedacht."
Also wurde ein neuer Standort für das Musicaltheater gesucht und gefunden und wie bei der Hafenstraße Vertragsverhandlungen mit den Besetzern gestartet, die aber schnell scheiterten. Die Stadt wollte das "Zentrum für emanzipatorische Politik und Kultur" loswerden und verkaufte es an den Immobilienunternehmen Klausmartin Kretschmer. Der versprach, dass die Besetzer bleiben dürfen.

Stadt kauft Rote Flora zurück

Zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es immer dann, wenn die Politik laut über eine Räumung der Flora nachdenkt, wenn der Senat einen harten Kurs gegen Flüchtlinge ohne Papiere fährt. Oder als vor sechs Jahren der Eigentümer Klausmartin Kretschmer versucht, aus der Roten Flora einen Einkaufstempel zu machen. Es gibt Solidaritätskundgebungen, es kommt zu Straßenschlachten zwischen Polizei und Flora-Unterstützern. Am Ende entscheidet sich der Senat unter Olaf Scholz, die Immobilie zurückzukaufen. Der damalige Finanzsenator Peter Tschentscher, heute Erster Bürgermeister, verteidigt den Rückkauf vor der Bürgerschaft:
"Wir tun dies, weil wir für eine friedliche, gewaltfreie Entwicklung der Stadt - bei allen komplexen Themen, die eine solche Metropole wie Hamburg hat – nicht wollen, dass ein privater Eigentümer mit seinen Verwertungsinteressen unsere Stadt allein durch Ankündigungen und Pläne, die aus unserer Sicht auch nicht durchsetzbar sind, in Aufruhr versetzt."
Seitdem gehört das Gebäude der stadteigenen Lawaetz-Stiftung.

Anziehungspunkt für Alle

Zurück im Herzen des autonomen Zentrums, dem großen Veranstaltungsraum. Dort soll gleich ein Film über das Leben des Expressionisten Franz Jung starten. Vor allem ältere Menschen sind gekommen, sitzen noch vorn im Café, unterhalten sich.
"Ich finde es einfach wichtig, so ein Zentrum zu haben, das selbstbestimmt funktioniert und nicht von außen irgendwie gelenkt wird. Platz für Veranstaltungen wie jetzt heute Abend zum Beispiel, Volksküche ab und zu mal. Ich glaube, das ist einfach ein Anziehungspunkt für viele."
Eine enge Küche, oben begrenzt durch eine große Abzugshaube, stehen drei Menschen und arbeiten.
In der sogenannten Küche für alle wird veganes Essen für die Besucher gekocht.© Deutschlandradio / Axel Schröder
Für Altonas einstigen Bezirksamtsleiter Hans-Peter Strenge, für den Mann, der Ende der Achtzigerjahre die Besetzer gewähren ließ, ist klar: Das Experiment hat sich gelohnt. Die linksradikalen Rotfloristen hätten es immerhin auch in 30 Jahren nicht geschafft, den ihnen so verhassten Staat ins Wanken zu bringen.
"Das zeigt ja das Schulterblatt jeden Tag, wenn nicht gerade G20-Gipfel ist, dass so ein alternatives Stadtteilkulturzentrum auch mit ordentlich linksradikalen und autonomen Zügen in das sonst ja relativ gentrifizierte Schanzenviertel hineinpasst!"
Und auch die so gar nicht linksradikalen Gastronomen auf dem Schulterblatt wollen den Publikumsmagneten Rote Flora längst nicht mehr missen.
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