30 Jahre nach der Wiedervereinigung

Quo vadis, deutsche Einheit?

06:48 Minuten
Passanten stehen vor der Skulptur eines Trabant auf Beinen.
"Quo Vadis" heißt die Skulptur des tschechischen Künstlers David Cerny zur Einheits-Expo in Potsdam. © picture alliance / Soeren Stache/ dpa-Zentralbild/ dpa
Martina Weyrauch im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 02.10.2020
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Anfangs habe sie als Ostdeutsche noch ihre Kompetenz beweisen müssen, erinnert sich Martina Weyrauch, Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Warum sie dafür plädiert, den Blick nach Europa zu öffnen, erzählt sie hier.
"Wir sind miteinander ins Gespräch gekommen", sagt Martina Weyrauch auf die Frage, ob Ost und West schon zusammengewachsen sind. "Und nicht nur das: Wir leben miteinander." Die gebürtige Ostberlinerin ist die Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung.
Die 16 Bundesländer arbeiteten miteinander, viele Bürgerinnen und Bürger sind aus dem Westen in den Osten gekommen. Drei Millionen Ostdeutsche lebten im Westen. "Und wir haben auch was Neues geschaffen", findet sie.

Mittlerweile herrscht Chancengleichheit

Dabei sei der Anfang nicht leicht gewesen. In den 90er-Jahren hätten Ostdeutsche erst mal ihre Kompetenz beweisen müssen. "Es wurde erst mal geguckt: Können wir überhaupt mit Messer und Gabel essen?" Diese Erfahrung habe Martina Weyrauch auch gemacht. Aber sie habe sich nicht in die Ecke gestellt und geschmollt, sondern habe gesagt: "Wir werden es Euch jetzt zeigen!"
Martina Weyrauch, Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung
Engagiert: Martina Weyrauch, die Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung© picture-alliance/dpa/Patrick Pleul
Das ist lange her. Aber immer noch nicht abgeschlossen. Immerhin: Man wisse durch neue Studien, dass die nächste Generation aufholt: "Unsere Kinder, die in den 80er-, 90er-Jahren geboren wurden, besetzen in der Wirtschaft schon mehr Positionen. Die haben die gleichen Chancen wie westdeutsche und westeuropäische Brüder und Schwestern."

Die doppelte Enteignung

Das Problem, dass in Ostdeutschland nur wenige Menschen Grund und Boden besitzen, sei strukturell, da man zu DDR-Zeiten kein Eigentum habe bilden können: "Wenn ich mit meinem Eigentum auch gesellschaftliche Entwicklung beeinflussen kann, trete ich natürlich anders auf." Die Menschen seien doppelt enteignet worden: erst durch die SED, nach 1990 durch die Treuhand.
Weyrauch plädiert für einen europäischen und gesamtdeutschen Blick: "Es gibt auch strukturschwache Gebieten in den alten Bundesländern und in Europa."

In die Zukunft mit dem Blick auf Europa

Probleme sollten gesamt-europäisch besprochen werden, auch die Frage nach Arm und Reich. "Wir sollten uns als postmigrantische Gesellschaft verstehen", findet sie. Dazu gehöre auch, sich zu einem offenen europäischen Land zu bekennen mit Migranten, ganz unterschiedlichen Biografien und ganz unterschiedlichen Religionen.
Die vermeintliche Ost-West-Problematik verschwimme zusehends. Auch viele Menschen aus dem Westen leben heute im Osten. Sie plädiert daher für eine Debatte um die Frage: "Was ist fruchtbar für ein neues Deutschland, das man gerne anschaut und wo man auch gerne lebt."

Die ganze Sendung mit Martina Weyrauch hören Sie hier:
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