30 Jahre Mauerfall

Was von der DDR-Sprache übrig blieb

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Blick auf eine typische HO-Kaufhalle für Lebensmittel im DDR-Neubaugebiet Berlin-Marzahn aufgenommen in den 1980er Jahren.
"Kaufhalle" – eins der wenigen Worte, die es in die heutige Zeit geschafft haben, meint Rolf Schneider. © picture alliance/ dpa-Zentralbild/ Peter Zimmermann
Ein Standpunkt von Rolf Schneider · 17.06.2019
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Ein verlässlicher Echoraum für Geschichtliches ist die Sprache. 30 Jahre nach der Wende hat der Schriftsteller Rolf Schneider nach den Überresten von DDR-Vokabular gesucht. Das Ergebnis ist mager.
1989 nannte der Schriftsteller Stefan Heym die DDR eine Fußnote der Geschichte. Lässt sich diese Behauptung heute noch halten?
30 Jahre nach seinem Zusammenbruch ist der ostdeutsche Staat weiterhin und vielfach präsent. Ganze Bibliotheken von Analysen und Rückerinnerungen erschienen, es gibt entsprechende Stiftungen, Institute und Untersuchungsprojekte, allein die Behörde, die sich mit der Hinterlassenschaft einer einzigen DDR-Instanz, nämlich der Geheimpolizei, befasst, beschäftigt anderthalbtausend Angestellte und unterhält neben ihrer Zentrale zwölf Außenstellen.

Der Wortschatz erzählt von der Vergangenheit

Ein verlässlicher Echoraum für Geschichtliches ist die Sprache. Vor allem die Lexik, also der Wortschatz, macht aufmerksam auf Dinge und Vorgänge, die einst erheblich waren. An das Zeitalter von Humanismus und Reformation erinnern die zahlreichen Übernahmen aus der damaligen Bildungssprache Latein, Begriffe wie quasi, Prinzip und Magister. Die Entlehnung französischer Wörter, etwa Dame, Debakel und Fassade, hatte mit der Frankophilie deutscher Fürstenhöfe im Absolutismus und mit der napoleonischen Besatzung zu tun. Wir bewahren Übernahmen aus dem Hebräischen wie Levkoje, Maloche und Kassiber, die auf die Existenz jüdischer Gemeinden im Lande aufmerksam machen.
Wenn heute davon die Rede ist, jemand sei am Boden zerstört, wird eine Wendung der Militärpropaganda im Hitler-Krieg wiederholt. Auch das gerne benutzte Verstärkungswort "total" war eine Lieblingsfloskel der Nazis. Die braune Diktatur praktizierte einen Jargon, der sich durch emotionale Übertreibungen und die hemmungslose Verwendung des Superlativs hervortat, die heutige Werbesprache setzt dies fort. Sonst sind die linguistischen Rückbleibsel aus jener Zeit eher spärlich.

Kaufhalle statt Supermarkt

Wie steht es um die sprachlichen Folgen der DDR? Noch immer heißen zwischen Elbe und Oder die Supermärkte lieber Kaufhallen, noch immer wird dort eher von Plaste als von Plastik gesprochen. Der populäre Begriff Datscha oder Datsche für Wochenend- und Sommerhaus sickerte auch in den deutschen Westen ein, es handelt sich um die Übernahme eines russischen Wortes und erinnert an die sowjetische Besatzungsmacht.
Eine Schöpfung der DDR-Bürokratie war das Verb "erstellen". Es kann sowohl herstellen bedeuten wie aufstellen, weswegen besser wäre, den jeweils gemeinten Sinn auch entsprechend zu benennen. Doch man hat sich an den schwammigen Begriff erstellen gewöhnt und benutzt ihn, ohne die Vorstellung eines muffigen Amtsschreibtisches mit Honecker-Bildnis an der Wand zu haben.

Offizielle DDR-Sprache war hölzern

Ähnlich verhält es sich mit dem Fakt. Das Wort ist lateinischen Ursprungs, heißt eigentlich "faktum" und ist sächliches Geschlechts, weswegen es korrekterweise das Fakt heißen müsste. Die Sache hat einen identifizierbaren Erfinder, nämlich den SED-Chef Walter Ulbricht, der Behauptungen so zu bekräftigen pflegte: Das ist der Fakt. Ja?
Insgesamt ist das Vorkommen an DDR-Einsprengseln im heutigen Deutsch recht mager. Man kommt auf etwa ein Halbdutzend Wörter. Die offizielle DDR-Sprache war so hölzern und hässlich, dass sie sich in der normalen Konversation kaum zu halten vermochte und kaum Spuren hinterließ. Doch die mangelnde Ästhetik ist nur der eine Grund. Der andere ist: Man möchte die DDR verdrängen. Mit der Hitler-Herrschaft verhält es sich vergleichbar. Dass Misslungenes, Ungutes, Niederlagen lieber verworfen und vergessen werden, ist ein üblicher Mechanismus der menschlichen Seele. Das gilt gleichermaßen für ihr Kollektiv.
Wenigsten sprachlich hat Stefan Heyms Bemerkung von der DDR als einer Fußnote der Geschichte ihre Bestätigung erfahren.

Rolf Schneider, geboren 1932 in Chemnitz, war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller und Essayist. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.

Rolf Schneider, Schriftsteller, steht im Mai 2019 in einem Haus im Land Brandenburg. 
© picture alliance/dpa/Soeren Stache
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