250 Jahre Wiener Prater

Viel Thrill, wenig Genuss

Wiener Prater
Ringelspiel im Wurstelprater, der zum Wiener Prater gehört. © imago/CHROMORANGE
Von Stefan May · 06.04.2016
Nachdem Kaiser Joseph II. vor 250 Jahren das ehemalige Jagdgebiet der Öffentlichkeit übergeben hatte, wurde der Wiener Prater ein Ort der Unterhaltung und Entspannung. Vom traditionellen Wurstelprater, einem Jahrmarkt, ist aber nicht viel übrig geblieben.
Jetzt beginnen sie wieder zu blühen, die Bäume im Wiener Prater, dem grünen Prater. Und kaum tun sie das, treibt es die Wiener dorthin, in die Hauptallee mit ihren fünf Baumreihen und den Haupt-, Neben- und Reitwegen dazwischen, auf denen sich buntes Volk tummelt.
Familien mit bunten Helmen auf Fahrrädern, Jogger für sich, Kinder bei ihren ersten Skate-Versuchen, Touristen in vierrädrigen Rikschas mit wackeligem Dach. Die Terrassen der Cafés am Rand der Hauptallee sind bis auf den letzten Platz besetzt, vom angrenzenden Wurstelprater, dem nach dem Hanswurst benannten Vergnügungspark, dringt Johlen von den Hochschaubahnen herüber. Es zieht die Wiener in die grüne Lunge mitten in der österreichischen Hauptstadt, ganz so wie in den 250 Jahren davor.
"Dort war erstes, zweites, drittes Kaffeehaus, das waren die noblen Lokale, dort hat Strauss aufgespielt, Lanner, Millöcker, also alle großen Komponisten und Dirigenten und Kapellmeister",

sagt Robert Kaldy-Karo. Er ist einer der profundesten Kenner des Wiener Praters und Autor mehrerer Bücher darüber. Kaldy-Karo ist Leiter des Zirkus- und Clown-Museums, das zwar nicht im Prater, aber im angrenzenden Stuwer-Viertel liegt.
"Genau hier stand die Abschussrampe für die Raketen und Feuerwerke des Stuwer. Die Familie Stuwer stammt aus Deutschland und war berühmt für ihre Feuerwerke, die sie in Wien gemacht hat."

Eine Mischung aus Alt, Modern und Kitsch

Feuerwerke werden zwar auch heute noch im Prater abgebrannt, aber nicht mehr so häufig. Laut geht es trotzdem zu, hinter jenem Eingangsportal in den Vergnügungspark, das die Stadt Wien vor ein paar Jahren neben das Riesenrad gesetzt hat: Ein unpassender Torbogen, bunte Zuckergusshäuschen dahinter, in die unter anderen Madame Tussaud eingezogen ist.
"Es ist eine Mischkulanz aus Alt, Modern, Kitsch, nicht einmal Edelkitsch, es ist Kitsch."
Ein Lokal in einem der Zuckergusshäuschen nennt sich Salamucci, ein Name der laut Robert Kaldy-Karo an die einstige Form der Verköstigung der Praterbesucher durch Salamucci-Männer erinnert.
"Die haben einen Bauchladen gehabt mit einer kleinen Waage und konnten mit den Messern hauchdünn Schinken oder Salami schneiden. Und das hat man dann gekauft. Nur sind sich die sehr oft in die Haare gekommen. Und da gibt's dann auch die Berichte mit Messerkämpfen von diesen heißblütigen Italienern, weil man sich gegenseitig natürlich das Geschäft weggenommen hat."
Der Salamucci-Laden am Pratereingang bietet hingegen Pizza und Kebab, und auch das Publikum, das sich zwischen den Fahrgeschäften drängt, hält nicht mehr Brezel oder süße Kringel in der Hand, sondern Zuckerwatte und Lángos, einen in Fett gebackenem Hefeteigfladen, der weithin nach Knoblauch riecht. Unter den Wienern in der Menge sind auch viele Neo-Wiener, Frauen und Mädchen mit Kopftuch. Auch das ist eine der Traditionen des Praters, die sich auf eine neue, eine andere Art fortsetzt: Robert Kaldy-Karo erzählt vom Soldaten aus Böhmen, der zu Monarchie-Zeiten das Dienstmädchen aus der Slowakei am freien Sonntag auf ein Bier in den Prater eingeladen hat.

Höher, schneller, riskanter

Vieles hier erinnert heute an einen Rummelplatz: Höher, schneller, riskanter will jedes Gerät sein, zu dessen und der Erprobung des eigenen Magens die Ausrufer einladen. Wägelchen schleudern mit ihren Insassen im Kreis, andere Besucher sausen festgezurrt an einem Turm auf und ab. Die Hochschaubahn Boomerang hat einige Loopings zu bieten, und blickt man ins bleiche Gesicht von so manchem, der danach aus den technischen Mutproben wankt, könnte man meinen, dass der einzige Reiz im Brechreiz liegt. Das lärmende Autodrom wirkt dagegen richtig zahm. Es scheinen Welten zwischen einst und jetzt zu liegen. Der Thrill hat den Genuss abgelöst.
"Das ist aber ganz klar, das hat sich verändert. Früher – man hat praktisch eine Fernreise gemacht. Man ist wo rein gestiegen und ist in die Antarktis gefahren oder in die Arktis, wo künstliche Eiszapfen gehangen sind. Es war eine gewisse Illusion für kurze Zeit, wo man jetzt ein paar Mal im Kreis gefahren ist, wo man Herrenreiter war, oder wo man in einem Auto drinnen gesessen ist. In jedem Kinofilm, den ich mir heute anschau', der computermäßig animiert ist, sehe ich größere Wunder als was der Prater je zusammengebracht hat."
Es sei schwer zu sagen, meint Robert Kaldy-Karo, ob der Prater interessieren würde, wäre er wieder so wie in alten Zeiten. Und die Unternehmer wollen Geld verdienen. Bei einigem ist man aber gar nicht so unzufrieden, dass es das nicht mehr gibt: Die Zurschaustellung von Menschen mit Abnormitäten etwa, die einst sehr populär war. Dennoch gibt es noch Praterattraktionen der Kindheit: das Lachkabinett mit seinen Spiegeln ist eben heute zum Funhouse geworden, und über der Geisterbahn hockt ein trendiger roter Riesen-Teufel mit langen Krallen. Wenn man genau sucht, findet sich sogar die gute alte Zeit in der Alt-Wiener Grottenbahn.
"Immer wieder ein Vergnügen für Groß und Klein. Mit wunderbaren Märchen und Sagen. Da gibt es dann die Mickey Mouse und Max und Moritz. Der Froschkönig, das Dornröschen, das Schneewittchen und vieles andere mehr. Einsteigen, mitfahren."
Und auch ein Pony-Karussell mit echten Pferden gibt es noch. Stolz sitzt ein kleines arabisches Mädchen mit Schnuller im Mund auf dem Sattel eines der Tiere, die brav zur Automatenmusik im Kreis stapfen. Angeblich wird das Karussell in diesem Jahr endgültig zumachen – nach langjährigem Protest von Tierschützern.
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