25 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda

Kann eine schuldige Kirche versöhnen?

16:24 Minuten
Kathedrale in Butare im afrikanischen Ruanda
Kathedrale in Butare im afrikanischen Ruanda © Bildagentur-online/Hermes Images - AGF
Katharina Peetz im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 07.04.2019
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Priester wurden zu Mördern, Kirchen zu Massengräbern. In den Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 waren die christlichen Kirchen tief verstrickt. Jetzt sollen sie der Versöhnung dienen. Die katholische Theologin Katharina Peetz forscht zur Rolle der Kirchen in Ruanda.
Kirsten Dietrich: Ruanda im Jahr 1994. Die Konflikte hatten sich lange angekündigt, und im April explodierten sie dann in unfassbarer Gewalt. In knapp drei Monaten töteten radikalisierte Hutu 800.000 bis eine Million Menschen, circa ein Zehntel der Bevölkerung. Zu Opfern wurden vor allem Angehörige der Tutsi, der kleineren Gruppe in der ruandischen Bevölkerung, aber auch moderate Hutu. Mitten dabei im Morden: christliche Kirchen, ihre Pfarrer und Mitarbeitenden. Unter den Opfern natürlich, aber schrecklich oft auch als Täter. Kirchen wurden zu Hauptorten von Massakern, und auch Priester wurden zu Mördern.
Die Kirchen in Ruanda haben Schuld auf sich geladen. Und danach, nachdem das Töten endlich gestoppt wurde, haben sie eine ganz andere Funktion bekommen. Jetzt sind sie eine wichtige Institution dabei, Versöhnung zu schaffen, weil überlebende Täter und Opfer ja weiterhin zusammenleben müssen. Wie gehen die Kirchen damit um? Werden sie der Verantwortung gerecht, die sich aus dieser Schuld ergibt? Darüber spreche ich mit Katharina Peetz. Sie ist katholische Theologin an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, und sie ist gerade dabei, ein Forschungsprojekt zu beenden, in dem sie nach der Rolle von Glauben und Theologie für Opfer und Täter in Ruanda fragte. Frau Peetz, kann man überhaupt als katholische Theologin die Rolle der katholischen Kirche in Ruanda untersuchen, sind Sie nicht selbst viel zu nah dran für einen kritischen Blick?

Versöhnung kann auch zu schnell gefordert werden

Katharina Peetz: Als Theologin würde ich mich nicht unbedingt als Vertreterin der Institution sehen. Theologie hat für mich die Aufgabe, kritisch und konstruktiv auf Kirche zu blicken - und in diesem Sinne natürlich auch die Verstrickung der christlichen Kirchen in Ruanda zu erforschen. Aber natürlich, auf einer menschlichen Ebene ist das Thema Genozid ein Thema, das herausfordert, das an die Nieren geht.
Als ich nach Ruanda gekommen bin, war ich tatsächlich erst mal überrascht, und zwar davon, wie schön das Land ist und wie warmherzig und gastfreundlich die Menschen sind. Ich habe eigentlich im Vorfeld gedacht, ich sehe jetzt hier ein Land, das vom Genozid gezeichnet und verwüstet ist. Aber dann, nach und nach, als ich länger in Ruanda war, habe ich unter die Oberfläche geschaut, sowohl, was die staatliche Aufarbeitung betrifft, als auch natürlich bei dem, was die Kirche tut. Und da sieht man dann doch die Schattenseiten.
Ich habe Genozid-Gedenkstätten besucht, ich habe mit Menschen gesprochen, die zu Täterinnen und Tätern geworden sind, die den Genozid überlebt haben. Ein Mann hat mir erzählt, dass er drei Kinder umgebracht hat. Eine Frau davon, wie sie ihre gesamte Familie verloren hat. Und da kommt man natürlich als Theologin, als Mensch, an Grenzen. Aber das macht es auch spannend und herausfordernd, sich diesem Thema auch in einer eigenen Forschung zu widmen.
Der Wegweiser zur Pfarrkirche Nyamata in Kigali, Ruanda: In der Kirche und der näheren Umgebung wurden zwischen dem 11. und 12. April 1994 mindestens 10 000 Tutsis getötet. Die Hutus griffen mit Sprengstoff, Macheten und Schlagstöcken an. Heute sind die Überreste, darunter vor allem Knochen und Totenköpfe, in einer unterirdischen Krypta zu sehen.
Der Wegweiser zur Pfarrkirche Nyamata in Kigali, Ruanda: In der Kirche und der näheren Umgebung wurden zwischen dem 11. und 12. April 1994 mindestens 10 000 Tutsis getötet. © Carola Frentzen/dpa
Dietrich: Kann man da überhaupt noch an so etwas wie Versöhnung denken, wenn man solche Geschichten hört?
Peetz: Ich bin da zwiegespalten. Einerseits gibt es in Ruanda einen sehr starken Impetus, zu sagen: Wir sind alle versöhnt und wir sind alle einig. Und ich denke, der ruandische Staat hat auch gerade in den Jahren nach dem Genozid eine ganz wichtige Stabilisierungsleistung erbracht. Dadurch sind überhaupt Rahmenbedingungen geschaffen worden dafür, dass so etwas wie Frieden und Versöhnung angedacht werden kann.
In persönlichen Gesprächen haben mir Menschen erzählt: Ich habe vergeben, ich habe mich versöhnt. Und in diesen Geschichten ist für mich Versöhnung auch aufgeblitzt, also das, was Versöhnung auch theologisch bedeutet. Noch mal einen anderen Blick auf Täter, die Täterin zu gewinnen und mit Gottes Hilfe das Herz zu transformieren und da offen zu werden.
Auf der anderen Seite nehme ich aber auch einen großen Druck auf die Überlebenden wahr, doch bitte zu vergeben und sich zu versöhnen. Das heißt, notwendige Zeiten des Hasses und des Ressentiments werden oftmals vielleicht nicht ausgehalten. Und da sehe ich durchaus auch den christlichen Vergebungsdiskurs kritisch, wenn er zu schnell fordert, zu vergeben – etwas zu vergeben, was eigentlich nicht vergeben werden kann.
Dietrich: Nämlich einen Genozid, einen Völkermord an fast einer Million Menschen.
Peetz: Genau, ja.

Priester riefen offen zum Mord auf

Dietrich: Schuld und Versöhnung haben Sie erforscht, an beidem sind die Kirchen beteiligt. 1994 bei den Massakern und auch heute bei dem Versuch, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Vielleicht fangen wir mal bei der Schuld an: 1996, also zwei Jahre nach dem Genozid, lehnte es Papst Johannes Paul II. noch ab, ein Bekenntnis abzugeben zur Mitverantwortung der Kirche. Papst Franziskus hat das vor ziemlich genau zwei Jahren dann getan. Er hat sich entschuldigt für die Sünden und Verfehlungen der Kirche bei einem Treffen mit Staatspräsident Kagame. War das die gewünschte Anerkennung der Schuld?
Peetz: Man muss da natürlich immer auf den Kontext schauen. Ganz sicher ist für mich, dass in Ruanda die christlichen Kirchen nicht nur auf einer individuellen Ebene Schuld auf sich geladen haben. Es waren nicht nur einzelne Kirchenmitglieder, die schuldig geworden sind. Sondern schon in den Strukturen der Kirchen vor dem Genozid ist der Genozid möglich geworden.
Ich mache das an einem konkreten Beispiel deutlich: In den Priesterseminaren waren Hutus und Tutsis auch im Konflikt, und es war nicht möglich, innerhalb der Kirche diese Konflikte friedlich auszutragen. In einem Seminar sind die Hutus sogar in den Streik gegangen und haben gesagt, wir wollen nicht weiter mit den Tutsis zusammen studieren. Das ist so ein kleiner Moment, wo deutlich wird: Es waren eben nicht nur Personen, die schuldig geworden sind. Sondern es wurden strukturelle Fragen wie die nach ethnischer Diskriminierung oder wie sollen Priester zusammen ausgebildet werden oder wie können wir uns gegenseitig als Mitbrüder anerkennen, überhaupt nicht adäquat behandelt.
Oder ein weiteres Beispiel: Es hat Priester im Genozid gegeben, die offen zum Mord aufgerufen haben, indem sie gesagt haben, die Tutsis sind ein von Gott verlassenes Volk. Und diese Form von Theologie – also, ich will sie gar nicht Theologie nennen –, aber diese Form hat natürlich auch den Genozid in den Köpfen von Menschen mit legitimiert. Also: die Kirche ist auf dieser strukturellen Ebene eindeutig verstrickt.

Das Schuldbekenntnis des Papstes ist wichtig

Und deswegen finde ich den Schritt von Papst Franziskus wichtig, zu sagen, die Kirche ist schuldig oder ich bekenne hier Fehler und Sünden der Kirche, weil das für mich auch etwas mit moralischer Selbstverpflichtung zu tun hat. Es ist eine Übernahme von Verantwortung, und sie ist an die Überlebenden adressiert, um ihnen ein Stück weit zu sagen: Wir erkennen das Leid an, das euch widerfahren ist. Und ja, auch in der Institution Kirche sind Menschen schuldig geworden, und es hat Strukturen der Sünde in der Kirche gegeben – und daran müssen wir arbeiten. Deswegen war das für mich ein Stück weit ein Hoffnungszeichen von Papst Franziskus.
Dietrich: Die ruandische katholische Kirche sieht das eher nicht so. Die hat in ihrem Schuldbekenntnis, das sie kurz vor dem Papst abgegeben hat, Ende 2016, gesagt: Ja, die Täter sind natürlich im schlimmsten Sinne schuldig geworden an ihrem christlichen Bekenntnis. Aber es gibt eben genau diese institutionelle Verantwortung der Kirche nicht.
Peetz: Die ruandische Bischofskonferenz, die die Vergebungsbitte 2016 ausgesprochen hat, hat eine institutionelle Schuld der Kirche explizit abgelehnt und ein Stück weit auf die Mitverantwortung einzelner Personen in der Kirche abgehoben. Das ist ein Argumentationsmodell, das man ganz häufig innerhalb von kirchlichen Diskursen findet.
Denken Sie an die Missbrauchsdebatte, da wird auch gesagt: Ja, es hat einzelne Täter und Täterinnen gegeben, aber die Institution Kirche kann als Institution nicht schuldig sein. Das ist eine theologisch kontroverse Debatte.
Ich würde sagen, es geht nicht so sehr um die Frage, ob es so etwas wie institutionelle Schuld gibt, sondern um die Frage, wie man damit umgeht, dass es überindividuelle Schuld gibt, das heißt strukturelle Schuld. Und da finde ich eben, dass Papst Franziskus einen wichtigen Schritt gegangen ist, indem er gesagt hat: Ich habe auch diese moralische Selbstverpflichtung hier als höchster Vertreter der Institution Kirche zu sagen, dass auch die Kirche schuldig geworden ist.
Natürlich gibt es andere, die argumentieren: Ja, aber in der Kirche gibt es doch auch Opfer. Und natürlich, Überlebende des Genozids sind, wenn sie katholisch sind, Angehörige der katholischen Kirche, sie sind auch Kirche. Also, ein Stück weit muss man natürlich auch sensibel sein, ob man dann, wenn man sagt, okay, die Institution ist schuldig, quasi den Opfern damit auch sagt, dass sie schuldig sind. Das wäre natürlich verwerflich.

Die Institution Kirche muss Verantwortung übernehmen

Für mich geht es darum, zu sagen, wir wollen eine gute Auseinandersetzung mit unserer Verstrickung, wir wollen ein Bekenntnis, das Zukunft eröffnet. Und dieses Bekenntnis erfordert für mich eben auch, zu sagen: Es waren nicht nur Individuen, sondern es war auch in unserer Institution Kirche so etwas wie Schuld, die strukturell ist, die überindividuell ist. Und dazu muss ich mich als Institution verhalten.
Dietrich: Diese Kritik ist ja von vielen Seiten auch an der katholischen Kirche in Ruanda geäußert worden. Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie aber auch: In diesem Schuldbekenntnis, auch wenn es vielleicht zu wenig ist, steckt trotzdem mehr drin, als auf den ersten Blick sichtbar wird.
Peetz: Genau. Ich mache da vor allen Dingen den Gedanken der symbolischen Reparationen stark, den dieses Schuldbekenntnis auch enthält. Wenn ich als ruandische Bischofskonferenz um Vergebung bitte – und zwar die Überlebenden des Genozids –, dann tue ich schon sehr viel. Ich nehme die Perspektive der Überlebenden ein. Ich erkenne an, dass ihnen Unrecht widerfahren ist, dass Menschen aus meiner Institution zu Mörderinnen und Mördern geworden sind. Ich versuche, ihnen Trost und Zuversicht zu geben. Und ich stelle das Ganze auch noch in einen Rahmen, indem ich Schuld für die Täter nicht nur vor der ruandischen Gesellschaft, sondern auch vor Gott bekenne.
Die ruandische Bischofskonferenz verweist hier noch mal auf die theologische Dimension von Versöhnung und Vergebung. Und natürlich bleibt es dann offen, wie eine solche Vergebungsbitte bei den Überlebenden ankommt. Mich hat das interessiert und ich habe deswegen nachgefragt. Und für viele Überlebende, mit denen ich gesprochen habe, war das ein wichtiges Zeichen, zu hören, dass die ruandische Bischofskonferenz jetzt nach einiger Zeit doch zumindest für die Täterinnen und Täter in der Kirche stellvertretend um Vergebung bittet und deren Schuld als Verbrechen gegen die Menschlichkeit kennzeichnet.
Dietrich: Das scheint mir jetzt trotzdem beim Zuhören so unfassbar, dass man aus einer Kirche heraus sagen muss, Mitglieder unserer Kirche sind bei einem Völkermord zu Tätern geworden – und trotzdem treten wir nicht einfach alle zurück und sagen, das hat ja alles überhaupt keinen Sinn mehr, wir können als Kirche gar nicht mehr weitermachen, weil wir gar nicht mehr glaubhaft sind. Wie kann die Kirche da einfach weitermachen in Ruanda?
Gebeine von Genozidopfern in der Gruft hinter der Kirche von Nyamata, aufgenommen im Februar 2015. Die Kirche liegt unweit des Projektdorfs Mayange und ist heute eine Gedenkstätte. In Massengräbern sind dort rund 45 000 Menschen beerdigt. Rund 10 000 davon wurden in und um die Kirche herum niedergemetzelt.
Gebeine von Genozidopfern in der Gruft hinter der Kirche von Nyamata, aufgenommen im Februar 2015.© Jesko Johannsen / dpa
Peetz: Ich würde nicht sagen, dass die einfach weitergemacht hat. Es hat natürlich auch einen Wechsel gegeben in der Kirchenführung. Es gibt auch Überlebende, die heute Bischöfe in Ruanda sind. Und gleichzeitig natürlich tut die Kirche sehr viel für Überlebende und Täter und Täterinnen, zu Beispiel in lokalen Versöhnungsprojekten, die von den christlichen Kirchen mitgetragen werden.
Ich habe da zum Beispiel die Gruppe der Peacebuilders vor Augen, wo ich mit Überlebenden und Täterinnen und Tätern gesprochen habe und wo ich gesehen habe, wie diese Menschen zusammen etwas tun. Ich habe viel von Praktiken der Versöhnung und des Miteinander-Gehens und des Wieder-miteinander-Zusammenlebens gespürt. Zum Beispiel ist mir Josephine vor Augen, die mir im Interview erzählt hat, wenn ich das mit den Tätern zusammen mache, dann ist das wie ein Fest, das wir feiern – und da blitzt für mich auch so etwas wie Versöhnung auf.
Was diese Gruppe tut, ist zum Beispiel, dass sie Straßen bauen in ein Dorf, das noch nicht so gut verkehrstechnisch erschlossen ist. Oder Täter und Überlebende bauen zusammen Häuser auf, sowohl für Überlebende, als auch für Menschen, die aus dem Gefängnis entlassen worden sind, also ehemalige Täter, die in ihr Dorf zurückkehren. Und sie bauen gemeinsam etwas an. Es geht darum, so etwas wie Alltag zu teilen. Und in diesem Teilen von Alltag und diesem Tun werden dann tatsächlich auch noch mal Vorstellungen von Vergeben und Versöhnung realistischer.
Also, in den Tätern und Täterinnen passiert etwas, sie erkennen, dass sie Schuld auf sich geladen haben, die eigentlich nicht vergebbar ist. Sie spüren so etwas wie Reue, zumindest einige der Täter – nicht alle, längst nicht alle. Es ist ja bei Massengewalt immer so, dass ganz viele Täter keine Reue verspüren. Aber die, die in diesen Gruppen sind und im Alltag auf die Überlebenden stoßen und mit denen zusammenarbeiten, bei denen ist das eher der Fall. Und auch in den Überlebenden verändert sich etwas. Also der Hass, die Rachegefühle, die verändern sich noch mal, weil Menschen etwas gemeinsam tun. Und das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt, diese Praxis, vor Ort zusammen tätig zu werden.

Schuldbekenntnis in protestantischen Kirchen

Dietrich: Wir haben jetzt vor allen Dingen über die katholische Kirche gesprochen, was auch naheliegt, weil fast 70 Prozent der Menschen in Ruanda sich zur katholischen Kirche zählen. Es gibt auch verschiedene evangelische Kirchen, die natürlich ebenso Täter und Opfer in ihren Reihen haben, die teilweise schon viel früher ein Schuldbekenntnis abgegeben haben. Ist das ein anderer Umgang mit dem Völkermord als in der katholischen Kirche?
Peetz: Ich habe da die presbyterianische Kirche vor Augen in Ruanda, eine der protestantischen Denominationen, und dieser Kirche hat 1996 bereits ein Schuldbekenntnis abgelegt. Das ist natürlich für die protestantischen Kirchen einfach, als für die katholischen, weil sie ein anderes Kirchenverständnis haben, was eben so diesen Gedanken, dass die Institution schuldig geworden ist, eher ermöglicht.
Dietrich: Die Kirche gilt nicht als heilig, nicht als selber komplett von Gott geschickt, unfehlbar und rein.
Peetz: Genau, das ist einfach noch mal ein anderes Kirchenverständnis. Und das ist, denke ich, ein Erklärungsstrang. Aber ich denke, ein zweiter Erklärungsstrang ist auch, dass dieses Schuldbekenntnis von 1996 auch ein Stück weit ganz klar genutzt werden sollte, um zu sagen: wir stehen vor den Trümmern unserer Vergangenheit. Kirchliche Mitglieder sind schuldig geworden, wir haben unsere Mitchristen und Mitchristinnen umgebracht, wir haben sie verfolgt, sie sind vergewaltigt worden. Und damit müssen wir uns auseinandersetzen als Kirche.
Wir als Synode, also das höchste Gremium in der presbyterianischen Kirche, wir sagen, es ist Zeit für die Kirche, ihre Schuld zu bekennen angesichts dieser Trümmer. Und es ist Zeit, Schuld zu bekennen, damit so etwas wie Zukunft eröffnet werden kann, überhaupt vorsichtig gedacht werden kann in einem zerstörten Kontext. Die ganze Infrastruktur war ja zerstört, Millionen Menschen waren auf der Flucht, eine Million Menschen sind umgebracht worden, man kann sich das letztlich gar nicht richtig vorstellen. Da tut es einer Kirche gut oder da steht es einer Kirche an, dann auch Schuld zu bekennen. Und dann natürlich alles zu tun, damit diese Schuld bearbeitet wird, denn Schuldbearbeitung ist ein langwieriger Prozess.

Muslime hatten nach dem Genozid einen sehr guten Ruf

Dietrich: Wie hat sich denn die religiöse Situation in Ruanda verändert, 25 Jahre nach dem Völkermord?
Peetz: Da gibt es vor allen Dingen zwei Punkte: Der erste Punkt ist, dass es einige Menschen gegeben hat, die nach dem Genozid zum Islam konvertiert sind. Die Muslime und Musliminnen in Ruanda waren immer schon eine Minderheit, ungefähr zehn Prozent sind es heute. Im Genozid hat es viele Musliminnen und Muslime gegeben, die Tutsis versteckt haben. Und sie haben das begründet mit ihrer Religion, mit ihren religiösen Prinzipien. Das heißt, Muslime hatten in Ruanda nach dem Genozid einen sehr guten Ruf, und tatsächlich haben dann auch Christen und Christinnen gesagt, wir möchten muslimisch werden.
Das Zweite, was man beobachten kann, ist, dass gerade im protestantischen Spektrum die charismatischen Pfingstkirchen an Zulauf gewinnen. Das sind Kirchen, die den Heiligen Geist anrufen, die sehr körperlich agieren, die manchmal auch sehr klare Ansagen haben, was richtig und was falsch ist. Ich habe die Vermutung, dass das Überlebenden auch Halt gibt, dieses klare Weltbild. Kritisch könnte man sagen, das ist ein Weltbild und eine Theologie, die keine Ambivalenzen und keine Ambiguität zulässt. Aber man kann das beobachten, dass gerade diese Kirchen in Ruanda Zulauf haben.
Dietrich: Die religiöse Situation in Ruanda 25 Jahre nach dem Völkermord. Ich habe mit Katharina Peetz gesprochen, sie ist katholische Theologin und untersucht die gelebte Theologie von Opfern und Tätern in Ruanda.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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