25 Jahre Mauerfall

Der verhinderte Weltstar

Von Laf Überland · 02.10.2015
Jens Müller sollte eigentlich der erste internationale Popstar der DDR werden – mit dem Segen der Partei und der Hilfe des Managements der Beach Boys. Doch dann kam ihm der Mauerfall in die Quere. Ein Star wurde Müller trotzdem – in der New Economy.
Jens Müller: "Finanziell gesehen brauche ich die Musik jetzt nicht. Aber ich mach's, weil's mir eben Freude macht und weil das wirklich immer schon das war, was ich machen wollte. Also ein Traum... Ich hab eigentlich meinen Traum immer so gelebt. Ich wollte immer Musik machen irgendwie, so in dieser Atmosphäre, in dieser Szene so drin zu sein."
Und deshalb machte Jens Müller aus Berlin-Weißensee bereits als Teenager Musik – Rock, Pop, Ska, was so kam, und zuletzt saß er bei der beliebten Band "Die Anderen" auf dem Schlagzeugstuhl. Und alles war gut. Bis dann der Amerikaner kam.
Die DDR-Organe spielen mit
"Er kam bei uns in den Proberaum, hat da irgendwann mal geklingelt – das war mein Keller damals. Wir hatten geprobt für die Band 'Die Anderen', und er hatte irgendwie von der Band gehört. Ich glaube, der hat uns im Fernsehen oder was gesehen, da war, glaub ich, irgend so eine Show im Palast der Republik sogar damals noch. Und da hat er uns gesehen und hat unseren Manager kontaktiert und kam dann."
1988 war das. Der Mann hieß Jack Rieley und war tatsächlich in den frühen Siebzigern der Manager und Mit-Songschreiber der Beach Boys gewesen, als Brian Wilson gerade auf Tauchstation ging. Irgendwann war er aber in Europa hängen geblieben und interessierte sich – natürlich! – für die zur Ernte reife Popbrache der DDR. Und so hatte er bereits mit "City" gearbeitet, und so entdeckte er eben auch "Die Anderen". Aber als der Schlagzeuger und Songschreiber Jens Müller ihm dann ein paar eigene Songs vorspielte, die bislang in keine Band gepasst hatten, da war die Sache klar: Müller und Rieley entwickelten einen Karriereplan, der den Künstler aus der DDR in den Westen bringen sollte.
"Und da haben dann die ganzen DDR-Organe mitgemacht eigentlich. Ich glaub, die waren auch sehr interessiert, dass das eventuell funktionieren könnte."
Aber natürlich kriegte der 18-jährige Müller mit, dass es brodelte im System: die Demonstrationen, das Geraune. Und als er aus London zurückkam, wo er ein Album hatte aufnehmen dürfen (mit einer Musik, wie es sie in der DDR noch nie zuvor gegeben hatte – irgendwas zwischen Prince und Electro und Pop) – zur Veröffentlichung auf Amiga. Allerdings erwies sich der November '89 als denkbar schlechter Zeitpunkt, um mit der Veröffentlichung des Albums "J" als DDR-Popstar durchzustarten.
Die erste Platte verkauft sich weltweit – nur nicht in Deutschland
"Ja also die erste Platte, die gab es zwar in der DDR noch, aber da hat sich keiner mehr interessiert. Da war ja die Mauer offen und alles gen Westen, da wollten sie alle die Platten kaufen, die sie schon lange nicht kaufen konnten."
Also schnürte "Jaye", wie er inzwischen hieß, seine Schlagzeugstöcke und Gitarren ins Bündel und ging nach Paris. Dort nahm er seine zweite Platte auf. "We Are the Majority" verkaufte sich tatsächlich 350.000 mal weltweit. Nur nicht in Deutschland. Hier nahm den Jens Müller, der jetzt Jaye Muller hieß, niemand mehr war. Was ihn nicht weiter störte.
Ein Star der New Economy
Und dann passierte etwas Lustiges, das durchaus zum Gemüt dieses Glückskinds passte: Damals wurden Nachrichten ja noch per Fax geschickt, und weil Muller, wenn er auf Tour war, seine Nachrichten im Hotel immer erst am nächsten Tag ausgehändigt wurden, dachte er sich: Man müsste das Faxen doch in einen Laptop verlegen können. Wofür haben wir die jetzt denn alle? Und just zur Zeit der Dotcom-Börsenblase trommelte er, als wäre es eine neue Band, ein paar Programmierer zusammen, zog nach New York - und brachte jFax heraus, eine App, die um 2000 rum fast jeder Profi auf dem Rechner hatte. Und plötzlich hatte Jaye Muller eine ungeheure Medienpräsenz, allerdings als New-Economy-Star. Der deutsche Focus nannte ihn mal ein Dotcom-Idol.
Doch das war ihm alles viel zu langweilig, er delegierte den IT-Krams und wandte sich wieder dem Musikmachen zu – diesmal allerdings mit einem gehörigen, mehrstelligen Millionenpolster in den Arschtaschen seiner legendären Schlabberhosen. Vorübergehend konnte er sich sogar fürs Musizieren eine echte alte Burg kaufen.
"Im Süden, in der Nähe von Bordeaux."
Aber die verkaufte er dann wieder, als er fast nur noch in Asien war: Hongkong, Singapur und vor allem Cebu auf den Philippinen. Inzwischen hatte er nämlich den amerikanischen Singer-Songwriter Ben Patton kennengelernt, der auch ziemlich nur sein eigenes Ding durchzieht: Seit 2005 machen die beiden grandiosen Artpop. Doch ihre Musik wurde kaum bekannt – denn sie verkaufen ihre fünf Alben nur online über das Musikerportal Bandcamp.
Nummer-Eins-Hit auf den Philippinen
"Nee nee, es gibt sechs glaube ich, mit der Live. War es fünf oder sechs? O Gott, weiß ich gar nicht. Haha! Ich glaub fünf, plus live."

Seit zehn Jahren haben Muller und Patton also diese lose Band, die auch genau so heißt, "Muller and Patton". Außerdem schreiben sie Songs fürs Fernsehen und für den asiatischen Popmarkt und produzieren heimische Künstler.

"Hatten auch mal einen Song auf Platz eins hier auf den Philippinen, das war auch schön."

Irgendwie hat Jay Muller anscheinend immer Hummeln im Hintern. Erst recht, seit er nicht mehr in Deutschland lebt.

"Also der Mauerfall für mich war, wenn ich jetzt zurückblicke, würde ich sagen, wahrscheinlich ein Glücksfall, weil ich mich dadurch wegbewegt habe. Aus deutschen Landen sozusagen."
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