25 Jahre Deutsche Einheit

Gauck zieht Parallelen zur Integration von Flüchtlingen

Bundespräsident Joachim Gauck
Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Rede zum Festakt zu 25 Jahren Deutsche Einheit in Frankfurt am Main. © picture alliance / dpa / Foto: Ralph Orlowski
Von Ludger Fittkau |
Bundespräsident Joachim Gauck hat die Integration von Flüchtlingen als Herausforderung bezeichnet, die noch Generationen beschäftigen werde. So könne man die Situation heute mit der vor 25 Jahren vergleichen, sagte Gauck beim Festakt zur Deutschen Einheit in Frankfurt am Main.
Bundespräsident Joachim Gauck mobilisierte das "kollektive Gedächtnis" der Deutschen. Denn die "starken Erinnerungen", die sie an den Mauerfall und an die Zeit der Vereinigung vor 25 Jahren haben, könnten gerade jetzt bei der Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen hilfreich sein, glaubt Gauck:
"Nutzen wir diese Erinnerung als Brücke. Sie verbindet uns mit einem Erfahrungsschatz, der uns jetzt gerade bestärken kann."
Die friedliche Revolution habe gezeigt: Wir Deutschen können Freiheit! – das sagte der Bundespräsident unter großem Beifall. Er lobte ausdrücklich die Veränderungsleistung vieler Ostdeutscher. Auch derjenigen, die sich nach der Einheit in einem fremden System in der Politik engagierten und von denen mancher heute Gast in der Alten Oper in Frankfurt am Main war:
"Als ehren- oder hauptamtlicher Bürgermeister, Abgeordneter, Sekretär einer freien Gewerkschaft, Verantwortlicher einer demokratischen Partei, als Minister, Ministerpräsident, gar als Bundeskanzlerin – sie alle hatten niemals erwartet, zu tun, was sie dann taten."
In einem Einwanderungsland sind größere Distanzen als 1990 zu überwinden
Jetzt aber geht es um die Integration von Menschen, die vor Unfreiheit und Krieg zu uns fliehen. Der Bundespräsident verglich die Herausforderungen von 1990 mit den Einwanderungswelle heute und wandelte dafür einen berühmten Satz von Willy Brandt ab, den dieser anlässlich der Deutschen Einheit vor 25 Jahren geprägte hatte: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört:
"Doch anders als damals soll nun zusammenwachsen, was bisher nicht zusammen gehörte. Ost- und Westdeutsche hatten ja dieselbe Sprache, blickten auf dieselbe nationale Kultur und Geschichte zurück. Ost- und Westdeutsche standen selbst in Zeiten der Mauer durch Kirchengemeinden, Verwandte oder Freunde in direktem Kontakt miteinander und wussten über die Medien voneinander Bescheid. Wie viel größere Distanzen dagegen sind zu überwinden in einem Land, das zum Einwanderungsland geworden ist."
Gauck warb für Geduld im Umgang mit den Flüchtlingen und um eine faire gesellschaftliche Debatte über das, was nötig ist, um sie zu integrieren.
Gauck betont unveräußerliche Rechte des Individuums
Auch die Deutsche Einheit habe gezeigt, dass viele Dinge – etwa die Angleichung der Löhne in Ost und West – viel langsamer vorangehen, als ursprünglich von vielen erhofft. Eines jedoch stellte der Bundespräsident auch klar: Die Basis für das Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft ist das Grundgesetz – diese Botschaft richtete Gauck in Frankfurt am Main auch an die Einwanderer:
"Hier werden Errungenschaften wie die Gleichberechtigung der Frau oder homosexueller Menschen nicht in Frage gestellt und die unveräußerlichen Rechte des Individuums nicht durch Kollektivnormen eingeschränkt – nicht die der Familie, nicht der Volksgruppe, nicht der Religionsgemeinschaft."
Gauck betonte schließlich mit Bezugnahme auf den Philosophen Karl Popper: Es gäbe keine Gesellschaftsordnung, die sich so schnell neuen Bedingungen anzupassen und zu reformieren vermag, wie eine offene Gesellschaft, wie sie Deutschland heute sei. Weil sie – wie Popper einmal sagte – auf einen Menschen baue, "dem mehr daran liegt zu lernen, als recht zu behalten".
"Für eben diese Werte und für diese Gesellschaftsordnung steht die Bundesrepublik. Dafür wollen wir auch unter den Neuankömmlingen werben – nicht selbstgefällig, aber selbstbewusst."
Rund 1 Millionen Menschen werden bis morgen Abend bei der dreitägigen zentralen Feier zu 25 Jahre Deutsche Einheit erwartet.
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