25 Jahre "Asylkompromiss"

Chronologie einer Grundrechtseinschränkung

"Meldung als Asylsuchender" in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE) in Zirndorf auf einer Meldebescheinigung für Asylsuchende zu lesen.
Meldebescheinigung für Asylsuchende © dpa /Daniel Karmann
Von Gudula Geuther · 06.12.2017
Die Zahl der Asylbewerber stieg am Ende der 1980er-Jahre sprunghaft an. CDU und CSU wollten deshalb das Asylrecht einschränken. Dazu aber brauchten sie die Zustimmung der SPD. Nach zähen Verhandlungen wurde am 6. Dezember 1992 der sogenannte "Asylkompromiss" verkündet.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes wussten, was sie taten, als sie sich 1949 für den knappen Satz entschieden:
"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."
Lange hatten sie zuvor diskutiert: In seiner Unbedingtheit würde dieser Satz auch jene schützen, deren Meinungen nicht allen genehm wären. Und die Aufnahme der Flüchtlinge könnte die Bundesrepublik belasten. Trotzdem wurde das Versprechen mit nur drei Gegenstimmen Teil der neuen Verfassung.
Seit den 1980er-Jahren gab es Bestrebungen in der CDU/CSU, das Asylrecht einzuschränken. Die SPD – damals in der Opposition – aber machte nicht mit. Doch für die Änderung waren zwei Drittel der Stimmen im Bundestag nötig, also auch die der Genossen. In den späten 80er-Jahren stieg die Zahl der Asylbewerber sprunghaft an, zu den sogenannten Ostblockflüchtlingen aus Mittel- und Osteuropa kamen ab 1991 Flüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien. Und der Widerstand in der SPD bröckelte. Im Sommer 1992 verkündete Parteichef Björn Engholm den Kurswechsel:
"Ich meine, wir müssen uns um die Stabilität Deutschlands, das bisher zu den stabilsten Ländern in Deutschland und der Welt gehört hat, erstmals seit langer Zeit wieder ernsthaft Sorgen machen. Das hat auch mit den fundamentalen Umbrüchen zu tun, die nach neuer Orientierung verlangen."

Die SPD lenkt ein

Die Parteilinke verlangte einen Sonderparteitag – und unterlag nach zweitätiger Diskussion in der Abstimmung, die Henning Voscherau leitete:
"Wer insgesamt mit allen beschlossenen Änderungen diesem Unterkapitel Zuwanderungspolitik zustimmen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. Gegenprobe. Enthaltungen. Das ist mit sehr großer Mehrheit so angenommen."
Die SPD durfte mit den Unionsparteien verhandeln. Am 6. Dezember 1992 um Mitternacht trat Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble vor die Presse:
"Sie wissen, wir haben an fünf Tagen insgesamt etwa fünfzig Stunden uns um die schwierigen Fragen von Asyl und Zuwanderung gemüht."
Mit einem Ergebnis, in dem sein SPD-Kollege Hans-Ulrich Klose wesentliche Bedingungen erfüllt sah, die die Genossen auf dem Sonderparteitag aufgestellt hatten:
"Das Individualrecht auf Asyl ist erhalten. Aber wir erreichen eine Steuerung und Begrenzung, indem wir die wirklich politisch Verfolgten, die asylberechtigten Bewerber im eigentlichen Sinne des Wortes von jenen trennen, die aus anderen Gründen zu uns kommen. Wir schlagen vor eine erhebliche Beschleunigung der Verfahren in offensichtlich unbegründeten Fällen und wir haben, worum wir uns seit April dieses Jahres bemühen: Wir haben eine Regelung für ein Gesamtpaket erzielt."

Umstrittene Drittstaatenregelung

Gemeint war mit diesem Paket unter anderem ein Einwanderungsgesetz, das es bis heute nicht gibt. Dagegen wurde das umgesetzt, was Wolfgang Schäuble verkündete:
"Wir wollen das Asylrecht im Grundgesetz ergänzen, indem wir anstelle des bisherigen Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 einen neuen Artikel 16 a einfügen wollen, dessen erster Satz der bisherige Satz bleiben soll: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Asylrecht soll nicht genießen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder einem anderen Drittstaat, in dem die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist."
Es war vor allem diese sogenannte Drittstaatenregelung, die auf Kritik stieß. Scharf schilderte der FDP-Innenpolitiker Burkhard Hirsch, was sie für den einzelnen bedeuten würde:
"Es ist egal, ob er in seiner Heimat politisch verfolgt wird oder nicht. Es ist egal, ob ihm in seiner Heimat eine unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe droht. Es ist egal, ob das Transitland, dem wir den Flüchtling zuschieben, die Genfer Konvention nach denselben Grundsätzen auslegt und handhabt wie wir. Es ist egal, ob das Transitland nach seiner Asylpraxis den Flüchtling seinerseits weiterschieben wird oder nicht. Vor der Abschiebung aus der Bundesrepublik wird dem Flüchtling jeder noch so minimale Rechtsschutz verweigert."
Seine FDP beteiligte sich trotzdem am Asylkompromiss. Nicht so Linke und Grüne. Im Bundestag erklärten Gregor Gysi und Konrad Weiß:
"Sagen Sie Nein zur Abschaffung des Asylrechts. Sagen Sie Nein zur Liquidierung einer der wichtigsten Konsequenzen aus dem mörderischen Nazi-Regime!"
Der neue Artikel 16 a, aus dem Kompromiss-Kauderwelsch ins Deutsche übersetzt lautet: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Aber nicht in Deutschland."
Seit dem Asylkompromiss gilt für Angehörige bestimmter Herkunftsstaaten die gesetzliche Vermutung, dass sie nicht verfolgt werden. Das Gegenteil muss bewiesen werden ...
Eingeschränkt wurde auch die Möglichkeit gegen Asyl-Entscheidungen zu klagen. Über Flughäfen eingereiste Asylbewerber können bis zu 19 Tage dort festgehalten und gegebenenfalls gleich abgeschoben werden.

Verfassungsgericht weist Beschwerde zurück

Gegner des Kompromisses hofften auf das Bundesverfassungsgericht. Dort warb Bundesinnenminister Manfred Kanther, CDU, für die Verschärfungen. Im Vorfeld der viertägigen Verhandlung erklärte er:
"Ich meine, wir sollten jetzt erstmal diesen Kompromiss ganz weit ausloten. Er muss allerdings mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Er darf nicht durchlöchert werden."
"Im Namen des Volkes verkünde ich die folgenden Urteile. In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden der irakischen Staatsangehörigen …"
Gerichtspräsidentin Jutta Limbach trug im Mai 1996 die Entscheidung vor:
"Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen."
Im Wesentlichen akzeptierten die Verfassungsrichter also die Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl.
"Karlsruhe ist eingeknickt."
Urteilte daraufhin Günter Burkhardt von Pro Asyl.
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