"2007 ist das absolute Rekordjahr"

Moderation: Katja Schlesinger |
Der deutsche Polarforscher Arved Fuchs hat die Eisschmelze im Polarmeer als "atemberaubend" und "besorgniserregend" bezeichnet. "Das Atemberaubende ist die Geschwindigkeit, mit der sich das Eis zurückzieht", sagte Fuchs im Deutschlandradio Kultur nach seiner jüngsten Durchquerung der Nordwestpassage im Norden Amerikas.
Katja Schlesinger: Dass die Nordwestpassage eisfrei ist, liegt natürlich an der globalen Erwärmung. Allein im vergangenen Jahr ist die Eisfläche im Nordpolargebiet um eine Million Quadratkilometer zurückgegangen. Der Polarforscher Arved Fuchs ist gerade auf der Rückreise von einer Arktisexpedition. Wir erwischen ihn an der norwegischen Küste auf einem Schiff. Schönen guten Tag.

Arved Fuchs: Schönen guten Tag.

Schlesinger: Eine Million Quadratkilometer Eis sind weggeschmolzen innerhalb kürzester Zeit. Sie waren jetzt drei Monate auf Expedition in der Arktis. Sie müssen dem Eis ja förmlich beim Schmelzen zugeschaut haben. Wie haben Sie die Arktis erlebt?

Fuchs: Ja, das Überraschende ist eigentlich oder das Atemberaubende ist eigentlich die Geschwindigkeit, mit der sich insgesamt das Eis zurückzieht. Wir sind jetzt auf der diesjährigen Expedition in den Gewässern nördlich Spitzbergens unterwegs gewesen.

Und es ist in der Tat so, wie Sie sagen, also wir mussten schon sehr weit nach Norden fahren, um überhaupt auf das Eis zu treffen, weil dort von Wissenschaftlern Untersuchungen durchgeführt worden sind. Wir sind bis auf 500 Meilen quasi an den Nordpol herangekommen, bevor das erste Eis da war. Und das ist auch für die Gewässer um Spitzbergen etwas sehr, sehr Ungewöhnliches.

Schlesinger: Wie war das früher, wie weit kam man da ran?

Fuchs: Na ja, früher war eigentlich, wenn man so den 80. Breitengrad erreichen konnte, dann war das eigentlich schon eine kleine Sensation im Bereich von Spitzbergen. Das ist ohnehin eine Region, wo man sehr weit nach Norden gelangte, das hängt mit dem warmen Golfstrom zusammen. Aber wenn man dann weiter nach Osten kam, dann schloss sich das Eis sofort an die Küste Spitzbergens an. Das ist dieses Jahr überhaupt nicht der Fall gewesen. Wir sind komplett um Spitzbergen herum gefahren, wohl gemerkt, nicht mit einem Eisbrecher, sondern mit einem Segelschiff, und haben überhaupt keine Probleme im Eis gehabt beziehungsweise wir haben so gut wie kein Eis vorgefunden.

Schlesinger: Sie haben ja bereits die Nordwestpassage durchschifft, ich nehme an, damals mit einem Eisbrecher. Wie haben Sie das damals erlebt dort?

Fuchs: Das ist 1993 das erste Mal gewesen, und es war nicht mit einem Eisbrecher, sondern mit dem gleichen Schiff, der "Dagmar Aaen", unserem eisgängigen Expeditionsschiff, was wir haben. Aber damals haben wir schon große Schwierigkeiten gehabt, dort durchzukommen, was völlig normal war, weil die Eisbedeckung damals eben so war, wie sie sein sollte.

Es gab sehr viel Eis und wir mussten dort uns sehr mühsam Wege durchs Eis suchen, um auf der anderen Seite im Pazifik anzukommen. Und wir haben dann ja im Jahr 2003/2004, also vor wenigen Jahren, das zweite Mal diese Nordwestpassage durchsegelt und haben wiederum eigentlich sehr schwierige Eisverhältnisse vorgefunden. Und das ist das, was ich meine, wenn die Veränderung so atemberaubend schnell vor sich geht. 2005, 2006 und jetzt 2007 hat es dort immer weniger Eis gegeben, und 2007 ist nun das absolute Rekordjahr, was die Eisausdehnung angeht. Und das ist schon wirklich, finde ich, sehr besorgniserregend.

Schlesinger: Und wie hat sich da auch was für die Tierwelt verändert?

Fuchs: Wir können das auch gerade auf Spitzbergen sagen. Spitzbergen, dort gibt es einige Inseln, die sozusagen als die Kinderstube der Eisbären gelten, wo die Eisbärenmütter ihre Jungen bekommen, und die brauchen Eis, um zu überleben, weil sie ihre Beute - das sind Robben - im Packeis finden.

Nun sind diese Inseln, wo die jungen Eisbären geboren werden, schon sehr früh vom Eis abgeschnitten, das Eis ist weggetrieben, weggeschmolzen. Das heißt, die finden kaum noch Zugang zu ihrem Jagdrevier sozusagen. Und wir haben also sehr ausgezehrte Eisbären auch gesehen, die sehr, sehr mager waren und wo man sich wirklich die Frage stellen muss, wie die das so lange aushalten könnten, bis das Eis im Winter tatsächlich wieder zurückkehrt.

Schlesinger: In einem Interview haben Sie auch gesagt, man müsse das Abschmelzen der Nordpolarregion sehr ernst nehmen und man müsse etwas tun, damit diese Tendenz nicht ungebremst weitergeht. Was müsste denn getan werden?

Fuchs: Es warnen ja nun viele Menschen davor, insbesondere ja auch Wissenschaftler, die sich sehr intensiv damit beschäftigen. Ich möchte nur den IPCC-Report, diesen UN-Klimareport erwähnen, der ja noch gar nicht so lange auf dem Tisch liegt und der der vierte seiner Art ist.

Also es wird seit Jahren über diesen Trend, über diese Tendenz gewarnt, aber ich glaube, die ganzen Konsequenzen sind noch nicht richtig verstanden worden, die damit einhergehen. Es muss einfach auch ein gesellschaftliches Umdenken einsetzen. Das heißt, man kann nicht einfach so beliebig weitermachen, ein bisschen bagatellisieren und sagen, ja, wenn es wärmer wird, was macht das schon und so schlimm wird es schon nicht sein und der Mensch ist anpassungsfähig, man wird sich schon irgendwie drauf einstellen können.

Und das Klimageschehen ist ein sehr, sehr träges. Selbst wenn wir heute unsere CO2-Missionen quasi auf den Nullpunkt zurückschrauben würden, was ja überhaupt nicht möglich ist, dann würde diese Tendenz zunächst einmal trotzdem weitergehen. Aber wir haben eben noch eine Chance, das sagt auch dieser IPCC-Report, dass wir unsere CO2-Emissionen eben reduzieren müssen. Deshalb wird diese Klimaerwärmung vorerst weiter voranschreiten.

Aber wenn wir nicht in den nächsten acht oder zehn Jahren drastische Reduzierungen dort schaffen werden, dann wird sich das Klima in diesem Jahrhundert um eventuell bis zu sechs Grad - im globalen Mittel wohlgemerkt - erhöhen. Und das kann dann wirklich Folgen nach sich ziehen, die man, glaube ich, so genau gar nicht abschätzen kann. Dann wird das Eis sehr viel früher im Nordpolarmeer geschmolzen sein, als man es bisher noch angenommen hat.

Schlesinger: Herr Fuchs, was verändert sich eigentlich für Sie persönlich als Polarforscher, wenn die Nordwestpassage bald ja kommerziell genutzt werden kann, also beschifft werden kann?

Fuchs: Die Nordwestpassage ist ja immer so ein Mythos gewesen. Wenn man sich so ein bisschen mit der Polargeschichte auskennt, dann kennt man die Geschichten von John Franklin, von den historischen Expeditionen. Aber man braucht gar nicht so weit in die Geschichte zurückzugehen. Es ist eine unglaublich schwierige und mythenumwobene Region gewesen. Die Nordostpassage auf der anderen Seite, auf der sibirischen Seite, ganz ähnlich.

Es mag schade um diese Mythen sein, aber darüber zu lamentieren, das ist Anbetracht der Ernsthaftigkeit dieser Situation eher eine Nebensächlichkeit. Ich glaube, die Veränderungen, die mit dem Schmelzen des Eises einhergehen, sind so gravierend, und es ist wirklich ein globales Problem, dass mir persönlich die Unbefangenheit einfach abhanden gekommen ist. Früher bin ich zurückgekommen und war einfach begeistert von diesen Erlebnissen, den Eindrücken ...

Schlesinger: Worauf ich aber auch hinaus wollte, ist, was möglicherweise Schiffe, die dann eben dort oben entlang fahren, auch noch mal für Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten?

Fuchs: Ja, es gibt ganz konkrete Pläne. Ich weiß von großen Reedereien, die wirklich in den Startlöchern stehen, um Schiffe jetzt dort hindurchzuschicken, weil, wenn sie von Hamburg nach Yokohama, nach Japan fahren, oben über die Nordpolarroute, dann reduziert das die Strecke um etwa 40 Prozent. Das heißt auch 40 Prozent Brennstoff- und Kostenersparnis in diesem Falle.

Das mag also für diejenigen, die das betreiben, positiv klingen, weil man dadurch natürlich letztendlich schnellere Transportwege schafft. Auf der anderen Seite will man dort oben im Polarmeer natürlich auch Bodenschätze heben. Es ging ja auch durch die Medien jetzt, dass die Russen beispielsweise am Nordpol in einer spektakulären Aktion dort eine Flagge verankert haben. Das tun sie ja nicht irgendwie aus Jux und Dollerei, sondern das ist ja so dieser politische Claim abstecken.

Die große Frage, die dem vorangeht, ist ja, wem gehört der Nordpol. Die Kanadier haben ihre militärische Präsenz oben verstärkt, sie wollen einen Tiefwasserhafen bauen, die Dänen desgleichen. Das heißt, es sind eben alles Dinge, die von einer großen politischen und umweltpolitischen Brisanz zudem sind.

Schlesinger: In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von gestern war von einer Art Human-Arktis-Projekt die Rede zwischen Forschern, ein Netzwerk für den Nordpol, in dem Forscher aus aller Welt zusammenarbeiten, sich austauschen, voneinander profitieren.

Jetzt haben Sie gerade diese ganzen wirtschaftlichen und territorialen Ansprüche der verschiedenen Länder benannt. Wie schwierig wird denn die Zusammenarbeit von Forschern aus aller Welt angesichts dieser Ansprüche der einzelnen Länder?

Fuchs: Es gibt ja beispielsweise auch den Arktischen Rat. Der Arktische Rat ist ein Wissenschaftlergremium, in dem die Anrainerstaaten des Nordpols sich auf wissenschaftlicher Ebene treffen und sich austauschen und die auch schon vor Jahren vor diesem Klimawandel gewarnt haben.

Es gibt hier einerseits eben, ich sag mal die wissenschaftliche Fraktion, die sehr sachlich und sehr ernsthaft darüber informiert und warnt und auch forscht, und dann gibt es natürlich die Lobby derjenigen, die gerne Geld damit verdienen möchten, in dem Sinne, dass jetzt eben Bodenschätze ausgenutzt werden, dass neue Schifffahrtswege aufgegriffen und erschlossen werden.

Also hier wird es sicherlich zu einem Interessenkonflikt kommen und natürlich dadurch auch eine politische Präsenz. Im Moment, soweit ich informiert bin, funktioniert dieser Gedankenaustausch auf internationaler Ebene recht gut.

Schlesinger: Vielen Dank. Das war der deutsche Polarforscher Arved Fuchs. Er ist gerade auf der Rückreise von einer Arktis-Expedition. Auf dem Schiff haben wir ihn erreicht, an der norwegischen Küste. Vielen Dank, Herr Fuchs.

Fuchs: Danke auch.