20 Jahre Sophiensaele

Geburtstagsfeier mit der "Greatest Show on earth"

Die Sophiensäle in Berlin
Die Sophiensaele in Berlin © picture alliance / dpa / Claudia Esch-Kenkel
Von Jürgen Stratmann · 22.09.2016
Die Berliner Sophiensaele feiern ihr 20. jähriges Bestehen. Jürgen Stratmann war bei der Feier dabei und sprach mit Franziska Werner, der Leiterin des Hauses, über Performance-Kunst, die den Festsaal kurzerhand in eine Manege verwandelte.
"Hereinspaziert, hereinspaziert, hier sehen sie Sensationen."
Hereinspaziert, hereinspaziert, sang in traditioneller Eintänzer-Manier das Elektro-Duo "Les Truc" als zeitgemäße Zirkuskapelle. Zum 2o. Geburtstag wollten es die Sophiensaele-Macher wohl mal so richtig krachen lassen und das Kernstück der mehrtägigen Jubiläums-Festspiele bildete sicher die bereits in Hamburg und Frankfurt erprobte "GREATEST SHOW ON EARTH".
"Herzlich willkommen im Festsaal der Sophiensäle, der sich für Sie heute in eine Manege verwandelt hat."
Allerdings, so Franziska Werner, Leiterin des Hauses: das Festival heißt "MENSCHEN-KRISEN-SENSATIONEN" - und es gibt 3 Programmpunkte - "THE GREATEST SHOW ON EARTH "- ein Performance-Zirkus für das 21. Jahrhundert, das 2. ist "Neo Neo Dada – das ist ein Varieté für das 21. Jahrhundert - und dann gibt´s noch eine Hof-Installation unserer Gruppe "Monstertruck" und das wird ein Jahrmarkt der diversesten Körper sein!

Sex am Trapez

Varieté, Jahrmarkt, Zirkus, dazu passend: Gratis-Popcorn, das sich die Zuschauer auf den etwas zu Wanderzirkus-authentisch-unbequem-schmalen Holzbanktribünen teilen konnten. Betont derbe Volksbelustigung mit den Mitteln der Performance-Kunst? Es war auf jeden Fall ein Experiment - Stichwort: Zirkus – klar.
Werner: "Es gibt natürlich schon Akrobatik, Tiershows, Clowns-nummern – aber natürlich sind das alles eingefleischte Performance-Künstlerinnen, Choreografinnen, Tänzerinnen, die mit ´nem ganz andern Blick auf dieses alte Genre Zirkus schauen, d.h., man hat das nicht im klassischen Sinne, sondern immer mit´nem andern Dreh."
Wobei dieser "andere Dreh" oft eher zu Irritationen als zu Beifallsstürmen führte, wenn sich etwa die japanische Truppe "Contact Gonzo" mit hörbar heftigen Schlägen gegenseitig über die Bühne prügelten oder wenn die beiden Haustier-Dompteure Hendrik Quast & Maika Knoblich ihre Dressur-Darbietung jeweils aus der Perspektive von Hund und Katze erklärten. Aber auch, wenn der kater-faul-blasierte Blick der pompös-verpelzten Perserkatze Leo nach ironisch-dramatisiertem Sprung vom 1 1/2 Meter hohen Kratzbaum.
"Versuch es, versuch es - Trommelwirbel!"
... dann mit den Worten übersetzt wurde:
"Ich liebe das – Die Leute sind so einfach zu beeindrucken."
…verstärkte sich eher der Eindruck: einfach zu beeindrucken war das Publikum nicht! Andererseits, wenn Franziska Werner für die Performance-Kunst fordert:
"…dass es auch vor´nem Unterhaltungsanspruch und ´nem Schauwert nicht zurückschreckt..."
gelang das mit dem "Schauwert" – auf schauerliche Weise – sicher am besten den Performance-Künstlern Florentina Holzinger und Vincent Riebeek, die nach der Eingangsfrage:
"When are we gonna fuck?"
… eine amtliche Hardcore-Sex-am-Trapez-Nummer als übelst angefaulte Zombies mit kunstblutenden Schußwunden und herausgerissenen Hautstücken imitierten - zu herzzerfetzender Musik übrigens.

"Der ganze Scheiß der Performance-Kunst"

Bei der sich anschließenden Neo-Neo-Dada -Varietésshow wurden dann ebenfalls kernige Reize geboten - während vorn der Conferencier über die Unsinnigkeit seiner Darbietung schwadronierte.
"20 Jahre sind 20 Jahre zu viel – wir machen immer noch weiter mit diesem ganzen Scheiß der Performance-Kunst."
… erbrach sich hinter mir eine Dame in eine Blumenvase, um sie danach aus dekorativ-drapierten Strohalmen wieder auszutrinken, nebenbei ließ man kopulierende Weinbergschnecken auf Spiegelscherben durch die Reihen gehen, oder rezitierte Kurt-Schwitterige-Dada-Poesie:
Wie gesagt: man wollte es zum Jubelfeste krachen lassen, das Sensationelle, Spektakuläre, Unerhörte vorführen.
Werner: Performance-Kunst hat ja immer so´n Ruf: ja, das ist so verkopftes Zeug, was eh keiner versteht, das hat immer diesen Konzept-Ruf, ist eh nur´n für´n elitäres Publikum.
Zu sagen, wir machen Performance-Kunst als Nummern-Revue, als Jahrmarkt, geht genau in unsere Richtung, daß wir glauben, daß das Programm hier was für jedermann jederfrau etwas ist.
Die Performance-Kunst aus einer intelektuell vernagelten Kunst-Sphäre rauszuholen bleibt also Programm der Sophiensaele? Dieses Spektakel kann man wohl als deutliches Signal dafür werten – aber - von wegen: Menschen, KRISEN – Sensationen? - mit Krise sei hier nicht nur der Zustand der Welt oder Gesellschaft/gemeint - sondern:
"Es ist ja immer schon der künstlerische Prozess, der oft sehr krisenhaft ist: Krise kann halt auch bedeuten, daß auch was nicht gelingt, daß was völlig in die Hosen geht."
Oder um im Zirkus-Bild zu bleiben? Performance-Experimente ohne Netz und doppelten Boden – das muß man sich erst mal trauen!
Herzlichen Glückwunsch Sophiensaele.
Mehr zum Thema