20 Jahre nach 9/11

Noch immer sind nicht alle Opfer identifiziert

07:08 Minuten
Ein Feuerwehrmann in New York City zeigt an, dass er zehn weitere Helfer braucht, in dem er alle zehn Finger in die Höhe streckt. Auf der Suche nach Toten am WTC am 14. September 2001.
Viele Menschen konnten nach den Anschlägen am 11. September 2001, auch dank der Feuerwehrleute, gerettet werden. 2753 Menschen überlebten nicht. © imago / ZUMA
Von Michael Stang · 14.10.2021
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Bei den Anschlägen am 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center starben 2753 Menschen. Die Identifizierung der Toten stellte sich als gewaltige Aufgabe dar. Nun konnten zwei weitere Opfer ermittelt werden.
Zu Dienstbeginn am frühen Morgen des 11. September 2001 hatte Rechtsmediziner Mark Desire noch keine Ahnung, dass dieser Tag sein Leben prägen wird. Dann rast ein Flugzeug in das World Trade Center.
"Als das erste Flugzeug einschlug, gab es noch die Möglichkeit, dass es sich um einen Unfall handelte. Aber dann sahen wir, meine Kollegen und ich, wie das zweite Flugzeug einschlug. Und da wussten wir, dass es eine Terrorattacke war. Alle Notfalleinheiten der Stadt wurden einberufen, mein Team gehörte dazu. Die Rechtsmedizin schickte vier von uns los, um Beweise zu sichern. Ich war schon vor Ort, bevor die Gebäude einstürzten", erinnert sich Mark Desire vor einigen Jahren an die ersten Stunden nach dem Terroranschlag von New York.


Noch am selben Tag beginnt das größte Rechtsmedizinprojekt der US-Geschichte. Und Desire war von Anfang an dabei. Heute leitet Desire das World Trade Center DNA-Identifizierungsprojekt. Das größte Kriminallabor in Nordamerika, sagt er zum 20. Jahrestag der Anschläge.

2753 Menschen starben bei den Anschlägen

"Eine der häufigsten Fragen, die uns in den 20 Jahren gestellt wurde, lautet: Warum habt ihre diese Arbeit noch nicht beendet? Nun, die menschlichen Überreste, an denen wir heute arbeiten, sind Überreste, an denen wir schon in den letzten 20 Jahren gearbeitet haben, also es ist nicht so, dass wir nichts erreicht haben. Es sind Proben, auf die wir immer und immer wieder zurückgegriffen haben."
Der Rechtsmediziner verweist auf ein Versprechen, dass es schon an Tag eins gegeben hat: So viele Opfer wie möglich zu identifizieren: Egal wie lange es dauert, egal was es kostet.

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Mark Desire sitzt in seinem Labor, knappe neun Kilometer von Ground Zero entfernt, an der First Avenue in Manhattan. Hier, im dritten Stock der Abteilung für forensische Biologie, untersucht sein Team seit 2001 die sterblichen Überreste, die bei den Aufräumarbeiten des World Trade Centers entdeckt wurden, rund 22.000 Proben, in erster Linie Knochen, Haare und Hautreste. Keine leichte Aufgabe.
"Wir haben immer die modernste Technologie für die Analysen verwendet, angefangen 2001 bis heute, aber das war nie ausreichend. Diese Überreste und das, was die Opfer mit dem Einsturz der Türme durchgemacht haben, waren allem Möglichen ausgesetzt, was die DNA zerstört: Feuer, Wasser, Kerosin, Diesel, Sonnenlicht oder Bakterien. Deshalb ist das nicht nur die größte rechtsmedizinische Untersuchung in der Geschichte der Vereinigten Staaten, sondern auch die schwierigste und herausforderndste."

Mehr als 1600 Opfer konnten identifiziert werden

Zunächst analysieren die Rechtsmediziner leichte Fälle: Überreste, bei denen klassische Methoden ausreichen, wie etwa eine Identifizierung über Fingerabdrücke, Röntgenaufnahmen oder persönliche Gegenstände. Wo das nicht ausreicht, werden genetische Merkmale untersucht.
"Für das World Trade Center Projekt haben wir 17.000 Referenzproben gesammelt, 17.000 Zahnbürsten, Rasierer, Proben von Mutter und Vater, Speichelproben von Geschwistern und Kindern. Die World Trade Center Datenbank ist die größte DNA-Datenbank ihrer Art."
Von den 2753 Opfern in New York konnten Mark Desire und sein Team bis heute 1647 Menschen eindeutig identifizieren. Kurz vor dem 20. Jahrestag der Anschläge gelang das für zwei weitere Tote: Dorothy Morgan aus Long Island, die im 94. Stock des Nordturms für eine Versicherung gearbeitet hatte, und ein Mann, dessen Name auf Wunsch seiner Familie nicht veröffentlicht wurde. Trotz dieser Erfolge: Das genaue Schicksal von 1106 Toten ist bis heute nicht vollständig geklärt.
"Vielleicht haben wir nicht alle Opfer, vielleicht wurden einige an Ground Zero so stark verbannt, dass es keine DNA mehr gibt. Und dann gibt es einige Opfer, für die wir keine Referenzprobe haben. Wir haben mehrere DNA-Profile von Überresten vorliegen, die nicht mit einer Referenzprobe übereinstimmen, weil entweder keine Familie vorhanden ist oder die Familie sich nicht gemeldet hat. Aber bis heute haben wir Familien, die sich bei uns melden und erfahren wollen, ob wir etwas über ihre Angehörigen wissen. Die Hoffnung ist, dass wir eines Tages mit neuen Technologien vielleicht doch noch ihre Lieben identifizieren können, damit sie sie nach Hause bringen können."

Manche Proben wurden schon 15 Mal untersucht

Einige Namen könnten sie theoretisch leicht zuordnen, wenn sich bisher unbekannte Hinterbliebene bei ihnen melden würden, sagt Carl Gajewski, der das DNA-Labor in Manhattan leitet.
"Denn wir haben Gruppen von menschlichen Überresten, für die wir zwar vollständige Profile haben, zu denen aber kein Name passt. Wir haben über 30 verschiedene Profile, die wir bisher nicht namentlich identifizieren können."
Die Arbeit geht also weiter, versichern beide Forscher. Und vielleicht, so Mark Desire, spielt ihnen die Zeit weiter in die Hände.
"Wir haben die Methoden immer wieder angepasst, immer verbessert und diese Wissenschaft in den vergangenen 20 Jahren vorangetrieben. Wir haben hier als Rechtsmediziner einige aufregende Dinge getan, wir konnten Methoden entwickeln, die es vorher nicht gab. 20 Jahre später bin ich jetzt das letzte Mitglied des ursprünglichen Teams. Und heute kommen immer noch Teammitglieder zu mir und sagen: Boss, wir haben eine neue Idee, wie wir eine Probe doch analysieren können. Also eine Probe, an der ich schon vor 18 Jahren gearbeitet habe, wir aber keinen Erfolg hatten und an der wir seither jedes Jahr gearbeitet haben. Das ist großartig."
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