20 Jahre Euro

"Politisch richtig, ökonomisch zu früh"

Kuznecvova steht lachend vor der Darstellung zweier übergroßer Scheine hinter ihr an der Wand. Sie hält die Arme so, als ob sie die Scheine mit den Händen halten würde.
Der Euro hat die europäische Integration deutlich vorangetrieben: Hier werden die überarbeiteten 100- und 200-Euro-Banknoten in der Zentrale der Europäischen Zentralbank vorgestellt. © Arne Dedert / dpa
Eckart Stratenschulte im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.01.2019
Der Euro hat zwanzigsten Geburtstag. Für Eckart Stratenschulte von der Deutschen Nationalstiftung ist die Gemeinschaftswährung bisher ein voller Erfolg. Nun müsse sie noch weiter abgesichert werden - und die Streitereien um den Euro sollten ein Ende haben.
"Politisch war die Einführung des Euro richtig und notwendig", sagte Eckart Stratenschulte, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Nationalstiftung, im Deutschlandfunk Kultur. Deutschland habe damit seinen Nachbarländern gezeigt, dass es bereit gewesen sei, sich auch nach der Wiedervereinigung weiter in die europäische Integration zu begeben. Ökonomisch sei die Einführung allerdings zu früh erfolgt, kritisierte Stratenschulte. Ein Rückblick zum 20-jährigen Jubiläum der Gemeinschaftswährung.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Eigentlich hatte der Euro gestern Geburtstag, den am 1. Januar 1999 wurde er als Buchgeld, drei Jahre später dann auch als Bargeld eingeführt. Aber gerade das Buchgeld hat natürlich vor allen Dingen für Banker und andere Leute, die professionell mit Geld hantieren, eine große Bedeutung, und auch damals, vor 20 Jahren, haben die überwiegend am Neujahrstag nicht gearbeitet.
Insofern ist es angemessen, finde ich, über 20 Jahre Euro erst heute zu reden. Das wollen wir jetzt auch tun, und zwar mit Professor Eckart Stratenschulte. Er ist jetzt der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Nationalstiftung und war vorher fast ein Vierteljahrhundert lang Leiter der Europäischen Akademie in Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Stratenschulte!
Eckart Stratenschulte: Ja, guten Morgen!
Kassel: Können Sie sich an diesen 1. oder 2. Januar 1999 noch persönlich erinnern, war das für Sie damals ein besonderer, ein freudiger Tag?
Stratenschulte: Für mich war das ein freudiger Tag und auch ein besonderer Tag. Es gab ja eine heftige Diskussion um die Einführung des Euro. Sie wissen, dass er in Deutschland nicht besonders beliebt war, die Menschen wollten die D-Mark behalten. Ich fand die Entscheidung, den Euro einzuführen, richtig, finde das auch heute noch und habe mich gefreut, dass das dann tatsächlich auch geschehen ist.
Der Vorstand der Deutschen Nationalstiftung,  Eckart  Stratenschulte.
Setzt sich für ein Ende der gegenseitigen Belehrungen rund um den Euro ein: der Vorstand der Deutschen Nationalstiftung, Eckart Stratenschulte.© Manja Elsässer / Imago
Kassel: Ich erinnere mich an, ich weiß bloß leider nicht mehr, wer es war, an einen Satiriker, der damals sagte, na ja, die Europäer haben noch nicht mal einheitliche Steckdosen, und jetzt wollen sie eine einheitliche Währung. Etwas seriöser haben das auch manche der Kritiker gesagt, nämlich grundsätzlich vielleicht irgendwann schon, aber 1999 ist ein bisschen zu früh. War das damals früh, war das plötzlich auch aus einer gewissen Hektik heraus, dass man den nun endlich einführen wollte?
Stratenschulte: Die Frage ist, aus welcher Perspektive man es sieht. Politisch war die Einführung des Euro richtig und war notwendig. Sie hatte natürlich auch damit zu tun, dass wir unseren Nachbarländern damit gezeigt haben, dass wir bereit sind, uns auch mit dem vereinigten Deutschland in die europäische Integration zu begeben. Ökonomisch war es früh, war es auch zu früh, deswegen sollten ja auch weitere Maßnahmen getroffen werden, die damals Maastricht 2 genannt wurden, Stichwort politische Union, zu denen es dann allerdings nicht gekommen ist. Also, politisch richtig, ökonomisch früh, Schrägstrich zu früh.

Berechtigte Kritik

Kassel: Es gab verschiedene Formen der Kritik damals, und viele, gerade in Deutschland, haben auch gesagt, man solle sich doch nicht einfach eine Währung teilen wollen mit Ländern, Staaten, deren Vorgängerwährungen so viel schwächer gewesen sind als die D-Mark. Und muss man nach der Schuldenkrise in Griechenland, den Bankenkrisen unter anderem in Irland, Portugal und Spanien nicht feststellen, diese Kritik war im Grunde genommen berechtigt?
Stratenschulte: Ja, die Kritik ist insofern berechtigt, als die Eurozone bis heute kein sogenannter optimaler Wirtschaftsraum ist, Währungsraum ist, genauer gesagt, aber die Frage ist ja, wie wäre man sonst mit der politischen Situation umgegangen. Wir haben gelegentlich tatsächlich die Lage, dass wir politische Entscheidungen treffen, die ökonomisch dann nachgearbeitet werden müssen.
Das betrifft ja auch die deutsch-deutsche Währungsunion. Was wir da gemacht haben 1990, auch mit dem Umtauschkurs, war natürlich politisch motiviert und nicht ökonomisch, aber letztendlich war es richtig. Man hat natürlich damals durchaus gesehen, dass dem Euro in gewisser Weise die ökonomische Grundlage fehlt, und hat gesagt, das holen wir in einer zweiten Konferenz nach – wie gesagt, die sollte Maastricht 2 heißen, Maastricht 1 war ja die Einführung der Währungsunion, 1993 in Kraft getreten.
Und zu diesem Maastricht 2 ist es dann nicht gekommen, sodass man versucht hat, das mit einem Stabilitäts- und Wachstumspakt abzufedern, den ja Deutschland dann als einer der ersten verletzt hat, und das war natürlich kein gutes Signal an die anderen. Das war schon holprig, nichtsdestotrotz muss man ja auch mal sagen nach 20 Jahren: Wir haben eine stabile Währung, nach innen und nach außen, also der Außenkurs ist stabil, der Austauschkurs, und nach innen ist der Euro auch stabil, wir haben eine ganz geringe Inflationsrate. Insofern können wir auch ökonomisch durchaus zufrieden sein nach 20 Jahren.
Eine Seniorin zieht einen 20 Euro Schein aus ihrem Portemonnaie.
Der Euro hat sich in vielen Ländern schon lange etabliert. © imago / imagebroker
Kassel: Das darf man auch nicht vergessen, wenn man heute über Italien diskutiert oder auch über viele andere Länder, was angemessen ist, aber Deutschland war ganz weit vorne damals mit der Nichteinhaltung der Kriterien, für eine Weile zumindest. Wirtschaftlich mag das ein Erfolg sein, gerade auch aus deutscher Sicht, aber das ist ja nicht alles. Was würden Sie sagen, hat die gemeinsame Währung die Europäer in den letzten 20 Jahren näher zueinander gebracht oder hat sie sie eher weiter auseinanderdividiert?
Stratenschulte: Ich glaube ehrlich gesagt, beides ist der Fall. Sie hat sie näher zusammengebracht, in dem Sinne auch, dass klar geworden ist, dass wir unser Schicksal miteinander verbunden haben und dass wir nur gemeinsam vorangehen können. Sie hat allerdings auch zu großen Streitigkeiten geführt. Das hat damit zu tun, dass wir hier sehr unterschiedliche Kulturen haben, die aufeinanderprallen.
Während die Deutschen sagen, Solidarität ist eine Zweibahnstraße, jeder muss seine Hausaufgaben machen, und wir sind für die anderen nicht verantwortlich, sagen die anderen – und man kann hinzufügen zu Recht –, Deutschland profitiert wie kein anderes Land von dieser Währungsunion, und deshalb kann es dafür auch etwas zahlen.
Also diese beiden Mentalitäten prallen aufeinander, und ich glaube, die Aufgabe jetzt der nächsten Jahre wird sein, nicht nur weitere Sicherungsmaßnahmen einzuführen, wie den Europäischen Währungsfonds, sondern tatsächlich auch hier miteinander ins Gespräch zu kommen, um zu einem Ausgleich zu kommen, statt sich gegenseitig zu belehren oder beleidigt zurückzuziehen.

Die Liebe zur D-Mark

Kassel: Geld hat ja, sollte man gar nicht glauben, aber wir wissen es eigentlich alle, auch so ein paar irrationale Aspekte, und die D-Mark wurde ja wirklich geliebt, interessanterweise auch von den Ostdeutschen, die sie ja gar nicht so lange hatten dann am Ende. Und beim Euro habe ich immer das Gefühl, gewöhnt hat man sich inzwischen daran, es rechnet eigentlich auch kaum noch jemand um, aber geliebt wird dieses Geld doch in Deutschland bis heute nicht. Haben Sie da eine Begründung für?
D-Mark-Geldscheine und -Münzen
Die Liebe der Deutschen galt lange der D-Mark. © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Stratenschulte: Die Liebe zur D-Mark hatte natürlich mit dem Nationalsozialismus zu tun, also die D-Mark, das war eine deutsche Identität, die war völlig frei von der Nazivergangenheit, von allen Verbrechen des Nationalsozialismus, vom Zweiten Weltkrieg. Das war eine Nachkriegsidentität, auf die man stolz sein konnte, mit der man sich identifizieren konnte. Insofern ist diese Liebe zur D-Mark auch eine Abgrenzung zur früheren deutschen Geschichte gewesen.
Bei den DDR-Bürgern war es natürlich so, für die war die D-Mark ja viele Jahre lang das erstrebenswerte Ziel. Selbst in der DDR gab es ja die schönsten Waren nur gegen D-Mark in den sogenannten Intershops, und von daher war natürlich verständlich, dass nachdem sie sie gerade hatten, sie sich schwertaten, sie wieder abzugeben. Ja, da gab's auch emotionale Momente, und man muss klar sehen, die Mehrheit der Deutschen war damals nicht für die Einführung des Euro, und Helmut Kohl hat Deutschland gegen den Willen der Mehrheit in den Euro geführt, ich halte das allerdings für eine große politische Leistung.
Kassel: Sagt Eckart Stratenschulte, er ist der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Nationalstiftung, war allerdings bei der Euroeinführung nur einige Jahre davor, das war er nämlich fast 24 Jahre lang, der Leiter der Europäischen Akademie in Berlin. Herr Stratenschulte, herzlichen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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