20 Jahre danach: Der Blick von Außen

Von Hans Olink |
Darf ich Ihnen gratulieren liebe Deutsche, gratulieren zu Ihren, gar nicht so gut im Lande angesehenen, Berlinerinnen und Berlinern. Ob Sie darüber froh sind oder nicht, die Holländer lieben die Berliner und diese Stadt. Immer mehr Holländer finden den Weg nach Berlin.
Und als Begleiterscheinung dieser Berlinvisite, so wurde herausgefunden, besuchen meine Landsleute auch andere Teile Deutschlands. Und ich kann es mir vorstellen. Die Berliner wohnen in einer schönen und interessanten Stadt. Viele Museen, viele Cafés und Restaurants, freundliche Menschen, kaum Staus, keine langen Schlangen, viel Lebensraum. Berlin hat eine hohe Lebensqualität. Und das gilt auch für den größten Teil Deutschlands.

Aber warum hat Deutschland diese Attraktivität gerade erst in den letzten Jahren bekommen? Für die Holländer war das nämlich nicht immer so? 1993 gab es noch die "Ik ben woedend”-, die "Ich bin wütend”-Aktion, als Holländer mehr als eine Million Karten an Helmut Kohl schickten um gegen die Übergriffe auf Ausländer in Deutschland zu protestieren.

Für viele Holländer war Ihr Land vor knapp 20 Jahren noch immer das Symbol für das Böse, obwohl die politische Realität sich auch schon damals geändert hatte. Es war leichter, Deutschland wegen Rassismus und Intoleranz zu kritisieren, als zum Beispiel Frankreich oder Belgien. Und an kritische Bemerkungen zu Missständen in Bezug auf die Situation der Einwanderer in den Niederlanden selber war nicht zu denken.

Aber das änderte sich, als in unserem Land die Toleranz abnahm. Mit dem Aufstieg von Pim Fortuin und etwas später Geert Wilders wuchsen die Spannungen und die Holländer realisierten, dass Intoleranz und Rassismus überall entstehen konnte, sogar in den Niederlanden. Es bedeutete für die Haltung den Deutschen gegenüber, dass man die Deutschen auf einmal anders, menschlicher, betrachtete. Ein wichtiger Grund, um nicht nach Deutschland zu fahren, war damit abhanden gekommen. Die Deutschen, so stellte sich heraus, waren auch nur Menschen.

Ich glaube aber, dass es noch einen anderen Grund gibt für diese Mentalitätsänderung, nämlich die Wende. Endlich konnte jeder mit eigenen Augen sehen, was es im vereinigten Deutschland gab, im Westen, aber vor allem im Osten. Ein Nachholbedarf, ohne das Risiko verhaftet zu werden. Man konnte ungehindert von Stasi-Überwachung eine Entdeckungsreise durch die Geschichte und Kultur Deutschlands machen. Und Berlin wurde besonders spannend. Die Stadt entwickelte sich als ein Ort für kulturelle Experimente, offen und locker, wie Amsterdam das in den 60er, 70er Jahren war.

Wenn ich nach Berlin fahre, habe ich das Gefühl, ein warmes Bad zu nehmen. Und wenn ich das zu meinen Freunden sage, haben die mitfühlenden Blicke mittlerweile Platz gemacht für eifersüchtige Bemerkungen. Sie möchten auch gerne mitfahren oder vorbeikommen und mit mir Kneipen und Restaurants besuchen, ins Theater oder in die Museen zu gehen. In die lockere Atmosphäre des "Lebensraums Berlin" eintauchen.

Berlin ist cool und Deutschland warm. Und das hat seine Folgen. Ich habe beobachtet, dass die von mir geliebten deutschen Weine jetzt auch in Holland erhältlich sind. Ein Beweis unserer Mentalitätsänderung Deutschland gegenüber. Dornfelder, Frankenthaler, Blauburgunder sind keine unbekannten Namen mehr in den Niederlanden und der Verkauf erhöht sich von Jahr zu Jahr.

Endlich ist der Krieg auch in den Köpfen vorbei und Deutschland für Holländer ein angenehmes Land geworden. Die Holländer brauchen die Deutschen nicht mehr zu kritisieren, sie können sich jetzt sogar ein Beispiel an Deutschland nehmen.

Hans Olink, holländischer Soziologe, Publizist und Autor zahlreicher Bücher. Hat im niederländischen Rundfunk eine eigene Sendung zu historischen Themen. Hans Olink lebt in Amsterdam.
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