150 Jahre Schloss Neuschwanstein

Touristenmassen im Siebenminutentakt

05:35 Minuten
Das Schloss Neuschwanstein steht oberhalb von Hohenschwangau bei Füssen im südöstlichen bayerischen Allgäu. Die Architektur und Innenausstattung sind vom romantischen Eklektizismus des 19. Jahrhunderts geprägt; das Schloss gilt als ein Hauptwerk des Historismus.
Blick auf romantischen Eklektizismus in Reinkultur: das bayrische Schloss Neuschwanstein. © unsplash / Marc Wieland
Von Tobias Krone · 05.09.2019
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Vor 150 Jahren legte König Ludwig II. von Bayern den Grundstein für das Schloss Neuschwanstein. Heute ist das Märchenschloss eine der meistbesuchten Attraktionen Deutschlands. Kritiker sprechen von „Overtourism“ am Fuße der Alpen.
Die Drehkreuze im Schlosshof klappern. Eine Reisegruppe aus Japan nimmt Aufstellung. Im Siebenminutentakt werden hier in Neuschwanstein die geführten Gruppen durchgeschleust. Die zwei Frauen Komiko und Riho haben trotz der Hitze festliches Make-up aufgetragen, sie lassen sich vom Trubel nichts anmerken, sie strahlen, weil sie endlich hier sind – im Schloss ihrer Prinzessinnenträume.
Zwei Japanerinnen stehen vor einer Mauer des Schlosses Neuschwanstein und lächeln in die Kamera.
Wie im Disney-Film "Cinderella", Komiko und Riho aus Japan sind glücklich, auf Schloss Neuschwanstein zu sein.© Deutschlandradio / Tobias Krone
"Die Idee von Cinderella kam von hier. Deshalb bin ich hergekommen", sagt eine der beiden und sie schwärmen, "es ist so schön, wie im Märchen".
Viel Zeit zum Schwelgen bleibt ihnen nicht auf ihrem Sieben-Tage-Trip durch Europa. Unten auf dem Parkplatz steht schon der Bus Richtung Schweiz und Paris bereit. Etwas mehr Zeit nimmt sich Manuela Loos aus Hessen, sie wartet mit Ehemann Thomas, Tickets in der Hand und mit pochendem Herzen auf ihre Führung.
"Das ist ein Märchenschloss, das ist einfach ein Märchenschloss! Mit diesen Türmchen und verwinkelten Stellen. Schon allein, wenn man es von unten sieht, ist es Wahnsinn! Und ich war vor ganz, ganz vielen Jahren mit meiner Tante hier – da war ich vielleicht sieben oder acht, ich weiß es gar nicht mehr genau. Da waren wir auch hier im Schloss. Und das hat einfach die Liebe zu den Schlössern geweckt. Ich habe schon viele Schlösser gesehen, aber Neuschwanstein ist einfach was ganz besonderes."

Manchen Besuchern ist der Rummel zu viel

Am Fuß des Schlossbergs schieben sich am sonnigen Vormittag Touristenmassen vom Parkplatz durch die Souvenirmeile. Natascha Hann und Thomas Elsner haben schon jetzt keine Lust mehr auf den Märchenrummel. "Nein, wir wollen nicht ins Schloss, wir sind nur auf der Durchreise, fahren gleich nach Innsbruck", sagen sie. "Wir sind hier vorbeigekommen und dachten, dann gucken wir uns das von außen mal an, und möchten uns nicht mit 5000 anderen Menschen irgendwo anstellen."
Acht Wochen nach dem Tod des Märchenkönigs anno 1886 öffnete Neuschwanstein seine Tore den Besuchern. Heute schleusen Fremdenführer 1,5 Millionen Besucher pro Jahr durch Thron- und Sängersaal. Das Schloss spült jährlich einige Millionen in den bayerischen Staatshaushalt. Doch leidet Neuschwanstein unter dem Massentourismus?
"Das neudeutsche Wort ´Overtourism` ist ja zurzeit sehr en vogue und wird auch mit Neuschwanstein in Verbindung gebracht", sagt Jürgen Schmude. Er ist Tourismus-Forscher an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und kennt die Debatten um europäische Hochburgen des Fremdenverkehrs. "An bestimmten Tagen zu bestimmten Stunden ist die Belastung für Neuschwanstein sicherlich extrem hoch."

Ein Paar macht ein Selfie von sich. Im Hintergrund das Schloss Neuschwanstein.
Viele wollen genau das Bild, das sie in den Sozialen Netzwerken gesehen haben, so Tourismus-Forscher Jürgen Schmude © Deutschlandradio / Tobias Krone
Die Bausubstanz und die Kunstwerke im Schloss leiden unter den Massen: Treppenstufen nutzen sich ab, die Luftfeuchtigkeit zersetzt die Farben. Doch auch die Wege um das Schloss herum sind gut besucht.
Ein wichtiger Spot ist die eiserne Marienbrücke über der Pöllatschlucht, von der aus man das Schloss in seiner ganzen Breite bestaunen und fotografieren kann. Geishof aus Chicago ist schon das zweite Mal hier oben. "Wir waren schon gestern Abend da, aber so ist es jetzt viel schöner mit dem Licht von Süden."

Beliebtes Fotomotiv bei Social Media

Geishof will für seinen Reise-Blog "Gindiantraveller" auf Instagram professionelle Fotos. Die macht ein Fotograf, den er in seiner airbnb-Wohnung kennengelernt hat. Geishof ist Teil einer neuen Form von Tourismus. Jürgen Schmude sagt:
"Social Media hat einen unwahrscheinlichen Einfluss auf den Tourismus und ist letztendlich nicht der einzige, aber einer der Treiber für Overtourism. Weil sich Touristen oft verhalten wie Lemminge. Wenn da der Influencer das entsprechende Foto platziert, dann versucht man unter Umständen genau dieses Foto in derselben Position nachzustellen, wie das über die sozialen Medien schon transportiert worden ist."
Die Marienbrücke hat einen automatischen Zähler, bei 328 Touristen sperrt ein Sicherheitsmann den Zugang ab, was hin und wieder vorkommt. Der Tourismusexperte Jürgen Schmude lobt die Besuchersteuerung, die das Schloss vor allem mit dem Online-Ticketverkauf betreibt.
"Die Organisation ist einfach hervorragend. Stellen Sie sich vor, diese Touristenströme kämen alle ohne Vorbuchung und wollten spontan Karten kaufen. So weiß ich genau, wann mein Slot ist. Das kann man natürlich auch negativ sehen, weil eine gewisse Spontaneität verloren geht."
Dem durchreisenden Spontanbesucher Thomas Elsner bleibt da nur die Schlange, unten am Kassenhäuschen.
"Wenn ich hier diese Schlangen sehe und hier dieses Abgefertigte – ´next entrance not before two o’clock`. Und es ist jetzt gerade mal 12 Uhr. Zwei Stunden warten, um da mal kurz durchgeschleust zu werden. Da fühlt man, wie einem das Geld aus der Tasche gezogen wird. Und das ist genau das, was ich nicht mag."
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