14 Stunden Walkürenritt

Von Uwe Friedrich |
Patrice Chéreaus und Pierre Boulez Aufsehen erregende Produktion von Wagners "Der Ring des Nibelungen" aus dem Jahre 1976 kommt in die Kinos. In hervorragender digitaler Bild- und Tonqualität können Kinobesucher knapp 14 Stunden Walkürenritt und Siegfrieds Rheinfahrt, Feuerzauber und Walhalls Regenbogenbrücke erleben.
Dem Unterschichtenmacho Siegmund bläst der kapitalistische Gegenwind ganz schön ins Gesicht, bis er in Hundings sozialer Wärmestube wenigstens kurzfristig unterschlüpfen darf. Fördern und fordern, das lag dem opportunistischen Wirtschaftsführer offenbar schon in mythischer Frühzeit am Herzen. Erst wird der obdachlose Proletarier notdürftig aufgepäppelt, doch gleich am nächsten Morgen soll er wieder hinaus ins feindliche Leben.

Dass es sich bei Richard Wagners "Ring des Nibelungen" um Kapitalismuskritik handelt, ist natürlich nichts Neues. Die Jahrhundertinszenierung Patrice Chereaus aus Bayreuth erscheint jetzt auf DVD und kommt auch in die Kinos, und hat uns im Wahlkampfsommer 2005 einiges über Heuschrecken und Linksparteien zu sagen, nicht nur, weil auch zur Zeit der Fernsehaufzeichnung 1980/81 eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in den letzten Zügen lag.

Dem Chef des Clans ist in seinem protzigen Büro mit toller Aussicht natürlich schon lange klar, dass er’s versemmelt hat. Mit seinen schlampig verhandelten Gesetzen kriegt er seinen Laden nicht mehr in den Griff, die Untergebenen tanzen ihm auf der Nase rum, er hat keine Ahnung wie er die Kostenexplosion seiner Projekte in den Griff kriegen soll. Schließlich zieht er die Notbremse und will durch eine kühne Tat neue Legitimation erlangen. In Wahrheit ist es jedoch nur ein Abschied auf Raten.

Kurze Zeit später greift dann eine starke Frau entscheidend in die Handlung ein. Allerdings durchschaut sie die hochkorrupte Männergesellschaft nicht so ganz und hat eigentlich auch keinen Plan. Als die Geschichte erwartungsgemäß tragisch endet, finden das alle irgendwie schade, aber da ist es leider zu spät.

Richard Wagner hat zweifellos eines der größten deutschen Kunstwerke des 19. Jahrhunderts geschaffen und gleichsam als Nebenprodukt doch eine ganz Menge von unserem Nationalcharakter getroffen. Besonders deutlich wird das in der hellsichtigen Interpretation der beiden Franzosen, des Regisseurs Patrice Chereau und des Dirigenten Pierre Boulez.

So blitzblank sauber und klar war der Rhein wahrscheinlich nicht mehr, seit die ersten Germanen angefangen haben, da reinzupinkeln. So vollkommen pathosfrei, flott, vergnüglich und klischeefrei hat seitdem kein anderer Wagner dirigiert. Die Sänger, na ja, zugegeben, die sind so eine Sache, aber auch das erinnert bloß an unsere aktuelle Politikerriege. Manfred Jung als Siegfried kann das zwar alles irgendwie singen, macht das aber so unelegant, dass ihm nach einiger Zeit eigentlich niemand mehr dabei zuhören möchte. Die imposante Gwyneth Jones gibt sich hingegen als Brünnhilde alle Mühe, doch man ist sich bis zum Schluss nicht sicher, ob sie sich und uns damit einen Gefallen tut. Allerdings hat keiner hat die Mädchen je wieder so heiß gemacht, als wenn man das bei Wagnerianerinnen jetzt mal so sagen kann, wie Peter Hofmann in seiner Paraderolle als heroisch auf verlorenem Posten kämpfender Siegmund.

Diese inzwischen legendäre Inszenierung von Patrice Chereaus sorgte bei der Premiere 1976 übrigens für einen der größten Skandale in der Bayreuther Festspielgeschichte mit Pöbeleien, Saalschlachten und allem drum und dran. Als der mehrfach überarbeitete Zyklus 1980 verabschiedet wurde, applaudierte ein gerührtes Publikum den ebenso gerührten Künstlern mehr als anderthalb Stunden. So kann es gehen, in nur vier Jahren vom Hassobjekt zu kultischer Verehrung. Nun können alle, die damals dabei waren und alle, die damals keine Karten hatten, sich noch einmal im Kino an diese aufregende Aufführung erinnern.