118 Mal das "Kölner Lächeln"

Von Kirsten Serup-Bilfeldt |
Die romanische Basilika St. Ursula in Köln hütet eine schaurige Sehenswürdigkeit: In der "Goldenen Kammer" stapeln sich Knochen und Schädel. Die Kunsthistorikerin Regina Urbanek hat den Schatz erstmals wissenschaftlich dokumentiert.
Die schwere Eisentür mit den Doppelschlössern öffnet sich rasselnd - und dann taucht der Besucher in ein Meer aus Gold und Lächeln ein: dem Lächeln von 118 goldschimmernden freundlichen Heiligen, mal sanft, mal andächtig, mal herzhaft. Und ganz unwillkürlich mag man sich fragen, warum diese schönen Heiligen eigentlich lächeln, denn immerhin sind sie ja alle einen schrecklichen Tod gestorben. Oder?

Nun lächelt auch Professor Regina Urbanek, die hier unter "ihren" Heiligen aus- und eingeht. Sie weist darauf hin, dass sich ihre Schützlinge ja alle im Himmel befinden und bereits der ewigen Seligkeit teilhaftig geworden sind; von daher, so sagt sie, sei ihr Lächeln durchaus berechtigt:

"Also, denen geht’s schon wunderbar im Himmel und deswegen ist auch die Farbigkeit, die wir hier vorfinden, diesen blauen Hintergrund, den wir jetzt wieder freigelegt haben, ganz wichtig. Man kann sich so die Heiligen, die hier aufgestellt sind in Form von Reliquienbüsten, vor dem Himmelsgewölbe sehr gut vorstellen."

Die Sonnenstrahlen, die durch das einzige große Fenster fallen, erhellen ein seltsames Sammelsurium: Bizarre Muster von Rippen-, Arm- und Beinknochen zieren die Wände; einige sind so angeordnet, dass sie Schriftzüge ergeben: "S. Ursula pro nobis ora" - "Heilige Ursula, bitte für uns." Auf Polstern ruhen Schädel, in Samt und Seide gehüllt und mit Perlen bestickt. Ihr Kopfteil, den sogenannten Kalottendeckel, kann man aufklappen und so die Knochen im Innern begutachten.

Das Herzstück der romanischen Kirche St. Ursula in Köln, deren Fundament auf einem römischen Gräberfeld errichtet wurde, bildet eine seltsame "Schreckenskammer" - das größte Beinhaus nördlich der Alpen.

"Manche Leute sind schockiert, andere Leute sind absolut begeistert von diesem Eindruck. Es ist ein hoher Raum mit Kreuzrippen überwölbt. Wir sehen zahlreiche Knochen, Reliquien an den Wänden, die sind zu Ornamenten montiert und darunter haben wir ein Regalsystem umlaufend angebracht. An der Ostseite haben wir einen Altar, überzogen mit Goldornamenten und Knochen und dazwischen stehen Reliquienbüsten und die sind auch in Gold und Silber gefasst. Und im Moment sehen wir auch noch zahlreiche Reliquienschädel, die im Zuge der Restaurierung sehr gut zu sehen sind."

Die "camera aurea", die "Goldene Kammer" in St. Ursula ist ein Schmuckstück
des Barocks. Als Stiftung des wohlhabenden Kölner Reichshofrates Johann v. Crane wurde sie 1643 zur Aufbewahrung von Reliquien eingerichtet. "Bestückt" wurde die Kammer praktischerweise aus den Beständen der Nachbarschaft:

"Diese Knochen stammen ursprünglich von einem römischen Friedhof, der wurde zur Zeit, als Köln römisch war hier angelegt - wir befinden uns an der nördlichen Ausfallstraße von Köln - und da gab es einen riesigen Friedhof. Aber schon auf diesem Friedhof haben wir einen Memorialbau überliefert aus dem 4. Jahrhundert, der dann später erneuert wurde und zuletzt im 12. Jahrhundert zu dieser Basilika geführt hat. Und die ältesten Bauteile der Basilika stammen aus dem 12. Jahrhundert. "

Dass die Knochen von einem Friedhof aus der Römerzeit stammten, focht nun die ebenso frommen wie pragmatischen Kölner nicht weiter an. Sie nämlich erklärten die Überreste kurzerhand zu denen der Heiligen Ursula und ihrer - eigentlich zunächst elf, später dann aber elftausend - hochadligen Gefährtinnen:

"Wir befinden uns ja im Zentrum der Ursula-Verehrung. Die Heilige Ursula ist eine Legende, die bis ins 4. Jahrhundert zurückreicht, die Legende einer britischen Königstochter, die zum katholischen Glauben übergetreten ist und erklärt hat, bevor sie ihren Bräutigam erhört, müsste sie nach Rom reisen. Und da wollte sie dann eine Schar von Jungfrauen mitnehmen. Rheinaufwärts ist sie gereist nach Rom, der Papst hat sich noch angeschlossen und auf dem Rückweg ist sie dann vor Köln von den Hunnen überfallen und niedergemetzelt worden mitsamt ihrer Gefolgschaft. Diese Legende hat sich immer weiter entwickelt und eines Tages waren’s dann eben elftausend Jungfrauen und das war auch glaubhaft, weil man ja bei den Reliquienerhebungen eine Unmenge von Knochen gefunden hat. Das ist eigentlich der Ursprung der Ursula-Verehrung."

Entstanden sind die meisten der Reliquienbüsten, die ursprünglich über und über mit Perlen, Samtbändern, Gold- und Korallenketten geschmückt waren, in den Werkstätten mittelalterlicher Kölner Meister. Nachdem gegen Ende des 13. Jahrhunderts ein Großteil der Arbeiten am Kölner Dom abgeschlossen war, hatten Steinmetze und Bildhauer offenbar Kapazitäten frei und betätigten sich anderweitig. So spricht man denn bei den Reliquienbüsten tatsächlich von einem "Kölner Stil". Und der hat ein ganz besonderes Kennzeichen:

"Und zwar den freundlichen Gesichtsausdruck. Man sagt auch, es ist das 'Kölner Lächeln'."

Regina Urbanek, Kunsthistorikerin und Restauratorin, hat jetzt im Zuge der umfassenden Renovierungsarbeiten die erste Dokumentation über den Zustand der "Goldenen Kammer" und ihres Reliquienschatzes fertiggestellt. Auslöser für die wissenschaftliche und restauratorische Bestandsaufnahme war der besorgniserregende Zustand der Kammer und ihres Inhaltes. Den Restaurierungsarbeiten vorangegangen waren langfristige Untersuchungen, die immer wieder neue Hiobsbotschaften zutage förderten:

"Wir haben leider an den Schildwänden - die Wände, an denen die Reliquien montiert sind - echten Hausschwamm gefunden und normalerweise ist das das Todesurteil für Holzteile. Wir konnten dann aber diesen Befall zum einen eingrenzen und andererseits feststellen, dass dieser Befall schon sehr, sehr lange zurückliegt, und zwar im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, wo es zu Wassereinbrüchen im Kirchenschiff gekommen ist. Im Zuge dieses Wassereinbruchs und der Abgeschlossenheit der Goldenen Kammer konnte sich ganz fröhlich der echte Hausschwamm entwickeln.

Man kann den bekämpfen, aber das sind natürlich sehr unangenehme Maßnahmen, unangenehme Gifte. Wir haben uns jetzt für eine - ich sag jetzt mal salopp "softe" Methode entschieden. Erstens haben wir festgestellt, dass der Befall schon lange nicht mehr aktiv ist und dann haben wir folgende Maßnahmen ergriffen: Die Luftfeuchte zu kontrollieren, dann regelmäßig für Lüftung zu sorgen - also dem möglichen Wiederbefall entgegenzuwirken durch Wartung, Pflege und Kontrolle."

Wissenschaftliche Dokumentationen, Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten und Kontrollen - die 118 goldenen Heiligen, deren Namen wir im übrigen nicht kennen - nehmen’s gelassen. Sie schauen uns an und - lächeln.