"1000 Serpentinen Angst" am Gorki-Theater

Störbilder zwischen den Stühlen

06:13 Minuten
Das Ensemble des Gorki-Theaters auf der Bühne.
Olivia Wenzels Roman "1000 Serpentinen Angst" ist eigentlich eine Selbstbefragung. Im Gorki-Theater wird der Dialog auf das ganze Ensemble verteilt. © Ute Langkafel MAIFOTO
Von André Mumot · 27.08.2021
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Olivia Wenzels Roman "1000 Serpentinen Angst" bleibt auch auf der Bühne des Berliner Gorki-Theaters ein lebenspraller Text. Anta Helena Reckes Inszenierung jedoch stellt vieles davon in eine unzugängliche Kältekammer distanzierter Erinnerungen.
Ihre Arbeiten fordern ein weißes Publikum offensiv heraus und brechen mit vertrauten Sehgewohnheiten. Die junge schwarze Regisseurin Anta Helena Recke war bereits mit zwei provokanten Arbeiten beim Berliner Theatertreffen: 2018 mit "Mittelreich" und im darauffolgenden Jahr mit "Die Kränkungen der Menschheit". Das waren stark konzeptionell entwickelte Inszenierungen, die vor allem zeigen wollten, wie wenig selbstverständlich es immer noch an deutschen Bühnen ist, schwarze Perspektiven in den Mittelpunkt zu rücken.


Am Berliner Maxim-Gorki-Theater widmet sie sich nun zum ersten Mal einer Romanadaption, also beinahe konventionellem Erzähltheater. In Olivia Wenzels Erfolgsbuch "1000 Serpentinen Angst" findet sie einen auch thematisch idealen Stoff.

Rassismus als Grunderfahrung ihrer Existenz

Die Geschichte einer jungen schwarzen Frau, die in der DDR zwischen den Stühlen und den unterschiedlichen Lebenserfahrungen ihrer Mutter und Großmutter aufwächst. Die Geschichte einer jungen schwarzen Frau, die mit ihrer Identität und ihrer Zugehörigkeit ringt – und auch mit dem alltäglichen Rassismus als Grunderfahrung ihrer Existenz.
Olivia Wenzels Roman ist als geschickte literarische Selbstbefragung verfasst, als skeptischer, herausfordernder Dialog, den die Hauptfigur mit sich selbst führt. Auf der Gorki-Bühne ist dieses Prinzip aufs ganze Ensemble verteilt, das sich gegenseitig die Bälle zuwirft und aus unterschiedlichen Positionen die Ich-Erzählung ausgestaltet. Im Zentrum steht aber ganz klar die fabelhafte Shari Asha Crosson, die die Protagonistin erkennbar zur Identifikationsfigur des Abends macht.

Zur ganz großen emotionalen Form aber darf hier keiner der allesamt großartigen Darsteller auflaufen, auch die trotzige Selbstironie, die unterschwellige Leichtigkeit des Textes darf sich nur in wenigen, kurzen Ansätzen entfalten. Zu sehr scheint Anta Helena Recke besorgt, ihre Inszenierung könne dann doch zu gefällig, zu konventionell geraten.
Moses Leo in "1000 Serpentinen Angst".
Das Bühnenbild ist karg, kühl und artifiziell.© Ute Langkafel MAIFOTO

Unzugängliche Kältekammer distanzierter Erinnerungen

In einem kargen Bühnenraum von Marta Dyachenko, durch den einzelne Farbflächen und Störbilder laufen, agiert das Ensemble in kühler, artifizieller Spielanordnung. Auffällig trist ist das und immer wieder irritierend blutleer. Ein Verfahren, das die Bedrückung, die Verstörung, die Trauer der Hauptfigur anschaulich macht, aber zu selten ihre Resilienz, ihr übersprudelndes Sich-nicht-unterkriegen-lassen.
"1000 Serpentinen Angst" bleibt auch auf der Bühne ein beeindruckender, vielschichtiger, lebenspraller Text, der das Politische, das Familiäre und das ganz Persönliche überaus dicht verschränkt. Die Inszenierung jedoch stellt vieles davon in eine unzugängliche Kältekammer distanzierter Erinnerungen. Wirklich aufgebrochen wird all das erst, als sich ganz am Ende junge Darstellerinnen auf der Bühne treffen, um die Generationen in einem gelösten, zärtlichen Tanz miteinander zu verbinden.

Maxim-Gorki-Theater
"1000 Serpentinen Angst" von Olivia Wenzel
Regie: Anta Helena Recke

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