100. Todestag von Gustav Klimt

"Die Schönheit der Frau auf einzigartige Weise porträtiert"

Ausschnitt aus Gustav Klimts Gemälde "Judith mit dem Haupt des Holofernes" aus dem Jahr 1909: Das Bild hängt heute in Venedig in der Ca' Persaro, Museo d'Arte Moderna.
Ausschnitt aus Gustav Klimts Gemälde "Judith mit dem Haupt des Holofernes" aus dem Jahr 1909: Das Bild hängt heute in Venedig in der Ca' Persaro, Museo d'Arte Moderna. © imago/Leemage
Agnes Husslein im Gespräch mit Stephan Karkowsky  · 06.02.2018
Viel Ornament und viel nackte Haut: Die Bilder des Wiener Malers Gustav Klimt sind in ihrer Darstellung der menschlichen Sexualität unvergleichlich. Dabei zeichne ihn ein sehr respektvoller Umgang mit seinen Modellen aus, sagt die österreichische Kunsthistorikerin Agnes Husslein.
Stephan Karkowsky: Der Maler Gustav Klimt starb heute vor 100 Jahren in Wien, und wahrscheinlich würde er sich doch sehr wundern über die aktuelle Sexismusdebatte in der Kunst, wo man in Berlin etwa ein Gedicht übermalt, weil die den Frauen darin entgegengebrachte Bewunderung kritisiert wird als – Achtung! – "wohlwollender Sexismus".
Auch Klimt war ein Bewunderer der Frauen, er malte sie am liebsten in Gold. Mal angezogen, aber nicht selten auch mit nackten Brüsten. Heute findet man seine Motive überall, auf Kissenbezügen, Smartphonetaschen, Krawatten, Kaffeetassen und so weiter. Eigentlich könnte man Klimts Frauenbilder also als Beweis dafür sehen, dass es so etwas gibt wie eine zeitlose Darstellung weiblicher Schönheit. Aber fragen wir lieber eine Expertin. Die österreichische Kunsthistorikerin Agnes Husslein arbeitete für Sotheby’s und das Guggenheim-Museum, und sie leitete viele Jahre lang das Belvedere in Wien. Frau Husslein, was sagen Sie?
Agnes Husslein: Ich meine, dass es in der Kunstgeschichte immer wieder ikonenhafte Frauendarstellungen gegeben hat, man denke nur an die Meisterwerke der Renaissance wie die Mona Lisa. Aber! Gustav Klimt ist schon ein herausragendes Beispiel, da er wirklich die Schönheit der Frau auf einzigartige Weise porträtiert hat.
Insbesondere waren natürlich seine Gemälde um 1900 eine außerordentliche Sensation, weil es ist ihm einfach gelungen, mit Hilfe seiner Formensprache und der Formensprache der damaligen Zeit und den für ihn so markanten Ornamenten die Schönheit seiner Modelle und der Frauen, die er gemalt hat, zu unterstreichen und hervorzuheben. Und bei alldem hat man immer gespürt, dass er die Frauen liebte, liebte, aber auch respektierte. Und das ist, glaube ich, der große Unterschied, das Spezielle bei ihm.
Karkowsky: Eine Frau zu bewundern, gleichzeitig aber zu respektieren, das schließt dann den Vorwurf des wohlwollenden Sexismus aus?

"Großartige Dokumente der Rolle der Frau damals"

Husslein: Ein Künstler hat immer eine andere Position, aber ich glaube, Klimts herausragende Rolle war wirklich, dass er der gehobenen Frau, die er gemalt hat, nicht den eleganten... – in seinen Porträts malt er ja in erster Linie Damen der österreichischen Gesellschaft, und das sind wirklich großartige Dokumente einfach der Rolle der Frau damals, die ja in erster Linie ein Schmuckstück ihrer Männer war, die diese teuren Gemälde gezahlt haben.
Aber das Tolle bei Klimt ist, dass er auch sich ganz bewusst war, dass bei – er gab sich ja – seine Modelle waren ja meistens unterprivilegierte Frauen, mit denen umgab er sich tagtäglich in seinem Atelier. Und er hatte auch diesen Frauen unheimlich hohen Respekt entgegengebracht. Zum Beispiel ist ganz bekannt, dass er sie wesentlich höher bezahlte, als sie sonst bezahlt wurden. Und er hat ihnen großen Respekt entgegengebracht.
Karkowsky: Und dennoch hat er sie ja zum Teil nackt dargestellt, mit nackten Brüsten. Letzte Woche etwa hat ja die Manchester Gallery für große Schlagzeilen gesorgt, die hat "Hylas und die Nymphen" von John William Waterhouse abgehängt, aus dem 19. Jahrhundert, wie man selbst sagt, um damit die Diskussion über Frauen in der Kunst voranzutreiben. Glauben Sie, dass der Frauenbewunderer Klimt in der heutigen Atmosphäre noch so malen könnte, wie er es zu seiner Zeit tat, oder wären die Bilder dann so unverkäuflich wie, sagen wir, ein neuer Film mit Kevin Spacey?

Sehr, sehr intelligent und mit der Zeit im Einklang

Husslein: Nein. Klimt war ja nun auch ein sehr intelligenter Mann, sehr, sehr intelligent, der immer mit der Zeit im Einklang war. Ich meine, das Besondere ist ja auch an ihm, dass er sich in der damaligen Zeit, wir wissen, waren die neuen Schriften zur Psychologie, besonders Freud, bekannt, und das hat er studiert, und das hat ja das Frauenbild, wir sind vor 100 Jahren, und hat das Frauenbild um 1900 ja schlagartig geändert. Und wir wissen wirklich, dass Klimt sich mit dieser neuen Weltanschauung wirklich auseinandergesetzt hat. Und wahrscheinlich würde er sich auch heute in seinem Oeuvre mit den aktuellen Entwicklungen beschäftigen, ganz einfach.
Er war ja immer, und das ist, glaube ich, wirklich das, was Klimts Werk auszeichnet, abgesehen von den dekorativen Elementen, die so markant sind, speziell, die ja jeder erkennt, mit einem hohen Wiedererkennungswert, und das macht ja auch seine Popularität aus. Aber andererseits diese – obwohl eine Frau nackt ist, aber sie ist wunderschön und sehr respektvoll und prachtvoll gemalt.
Karkowsky: Nun wurde darüber ja auch schon um 1900 gestritten. Ich habe gelernt, dass das prüde Beamtentum diese Bilder gar nicht haben wollte. Das liberale intellektuelle Bürgertum hingegen sah in Klimt den Maler der schönen Form und des Eros natürlich und feierte Klimt. Sehen Sie da Parallelen zur heutigen Diskussion?
Husslein: Ich glaube, das ist etwas, was sich immer, immer … - das ist eine unendliche Geschichte. Es spiegelt sich immer wider. Klimt musste in seinem Auftrag für die Aula der Universität, da mussten Bilder abgehängt werden, es war ein wahnsinniger Skandal. Trotzdem denkt man daran nicht mehr. Das macht jeder, der sich mit der Sexualität der Frau oder überhaupt des Menschen beschäftigt und das darstellt.

In die Mythologie geflüchtet, um den nackten Körper darstellen zu können

Das ist zu jeder Zeit ein großes Problem gewesen. Es war auch in der Renaissance, meine Güte, in der beginnenden …, da durfte nichts dargestellt werden. Da ist man in die Mythologie geflüchtet, um gewisse Dinge darstellen zu dürfen. Das ist ein Thema, das die Menschheit einfach beschäftigt und beschäftigen wird.
Karkowsky: Und hinter dem aktuellen Thema steht natürlich immer die übergeordnete Frage, wie überzeitlich Kunst wirken darf, oder ob sie immer in den Kontext gestellt werden sollte der Jetztzeit und dann neu bewertet. Was sagen Sie?
Husslein: Ich sag einmal, grundsätzlich muss man einfach respektieren, und das ist für mich völlig klar, dass Künstlerinnen und Künstler die Seismografen unserer Gesellschaft sind. Und das werden wir in ihrem Oeuvre einfach sehen. Er ist der Spiegel unserer Zeit, und wir blicken ehrlich gesagt bloß der Wahrheit ins Auge. Und, wie hat Ingeborg Bachmann so schön gesagt: "Die Wahrheit ist zumutbar."
Karkowsky: Das sagt die österreichische Kunsthistorikerin und Kunstmanagerin Agnes Husslein über die Bilder von Gustav Klimt, der heute vor 100 Jahren gestorben ist. Frau Husslein, Ihnen herzlichen Dank!
Husslein: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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