100 Tage ohne "echte" Regierung

Der schwierige Vergleich mit den "Weimarer Verhältnissen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel steht am 20.11.2017 während des Statements der Grünen zum Scheitern der Jamaika-Sondierungen von CDU, CSU, FDP und Grünen in der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin.
Bundeskanzlerin Merkel während eines Statements zum Scheitern der Jamaika-Sondierung am 20. November 2017 © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Eckart Conze im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.01.2018
Auch 100 Tage nach der Bundestagswahl hat die Bundesrepublik Deutschland noch keine neue Regierung. Ein Vergleich mit der "Weimarer Republik" sei diesbezüglich unpassend, sagte der Politikwissenschaftler Eckart Conze. Parallelen zu "Weimar" sieht er aber tendenziell bei der Entwicklung des Mediensystems.
Noch nie hat eine Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so lange gedauert: 100 Tage nach der Bundestagswahl hat Deutschland noch immer keine neue Regierung.
Der Marburger Politikwissenschaftler Eckart Conze hält das "sowohl innenpolitisch wie auch außenpolitisch" für "höchst problematisch" und rät den Vertretern von Union und SPD, ihre Sondierungen zu beschleunigen.
Dass kaum jemand eine "echte" im Gegensatz zur "geschäftsführenden" Regierung vermisse, sei für die Akzeptanz einer Demokratie ein "gravierendes Problem", sagte Conze:
"Es scheint ja kaum jemand sozusagen, eine nicht nur geschäftsführende Bundesregierung zu vermissen. Und das ist sozusagen für die Demokratie, auch für die Akzeptanz einer Demokratie, die ja von Wahlen abhängt und von Regierungen, die aus solchen hervorgehen, (...) ein gravierendes Problem."
Im Vergleich mit der Situation in der Weimarer Republik sei die aktuelle Situation jedoch politisch viel stabiler. Auch seien lange Regierungsbildungen "völlig untypisch gewesen für die Weimarer Republik".
Fragmentierte politische und mediale Kultur
Conze verortete die Gefahr von "Weimarer Verhältnissen" an anderer Stelle – nämlich bei einer politischen und medialen Kultur, "die sich stärker fragmentiert".
Auch mit rechtpopulistischen Parteien könne man grundsätzlich sehr gut leben, meinte Conze, es sei denn "bestimmte politische Richtungen – ich denke jetzt nicht zuletzt natürlich an den Rechtspopulismus mit seinen fließenden Übergängen in den Rechtsradikalismus" würden sich völlig isolieren.
"Dann wird aus einem sich erweiternden Parteiensystem auch ein Strukturproblem der Demokratie."

Aufstieg einer rechten Presselandschaft in der Weimarer Republik

Conze erinnerte in diesem Zusammenhang an den Aufstieg einer rechten Presselandschaft in der Weimarer Republik:
"(…) einer rechten Presselandschaft, die sich völlig isolierte und die dann eine Wähler- und Gesellschaftsklientel bediente, die nur auf diese Presselandschaft - damals die große Hugenberg-Presse im rechten, rechtsradikalen Bereich - sich bezog. Also, da gibt es schon Parallelen, und dann wurde von dieser Hugenberg-Presse gehetzt – hasserfüllt gehetzt – gegen das, was man die liberale Presse, die – in Anführungszeichen – Judenpresse nannte. Und wenn man dann heute die Angriffe gegen die so genannte Lügenpresse liest, dann drängen sich schon Parallelisierungen auf."
(huc)
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